Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.Erlebtes und Beobachtetes aus Rußland löste die Reaktion und der Fremdenhaß Alexanders III. ab. Schießt der neue Der Metropolit von Petersburg begrüßte den Kaiser an der Schwelle Erlebtes und Beobachtetes aus Rußland löste die Reaktion und der Fremdenhaß Alexanders III. ab. Schießt der neue Der Metropolit von Petersburg begrüßte den Kaiser an der Schwelle <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0235" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/223819"/> <fw type="header" place="top"> Erlebtes und Beobachtetes aus Rußland</fw><lb/> <p xml:id="ID_682" prev="#ID_681"> löste die Reaktion und der Fremdenhaß Alexanders III. ab. Schießt der neue<lb/> Herrscher, wenn er liberal ist, nicht übers Ziel hinaus, weiß er die unklaren,<lb/> aber stürmischen Wünsche der Klugen, Ehrlichen und Wohlmeinenden in<lb/> seinem Volke richtig zu deuten, weiß er die Sehnsucht nach Selbstbestimmung<lb/> in richtige Bahnen zu leiten, dann kann schon unter ihm das russische Volk<lb/> einer Blütezeit entgegengehen. Was Nußland jetzt braucht, ist Friede,<lb/> Sammlung seiner Kräfte zur wirtschaftlichen Organisation seiner ungeheuern<lb/> Besitzungen in Asien, allmählicher Ausbau der im Entstehen begriffnen Selbst¬<lb/> verwaltung, Reform des Beamtenwesens. Darum gilt es, die Hitzköpfe der<lb/> Kriegspartei, die sich am liebsten mit einem Schlag in den Besitz von<lb/> Konstantinopel setzen und nebenbei Bulgarien und womöglich die übrigen<lb/> Balkanstaaten einheimsen möchten, im Zaum zu halten und sich zu beschränken<lb/> auf das Notwendige und Nächstliegende. „Es ist zu wünschen, daß nicht<lb/> Persönlichkeiten mit abenteuerlich radikalen Ideen dem Kaiser als Berater nahe<lb/> kommen, und es ist zu wünschen, daß er mit ersten Versuchen keine allzu arge<lb/> Enttäuschung erleidet oder sonst unangenehme Erfahrungen macht. Das ge¬<lb/> fährlichste, das aber bei seiner Natur durchaus nicht unmöglich ist, wäre, wenn<lb/> er allzu greifbare Proben der Verderbnis auf der einen, der Roheit auf der<lb/> andern Seite kennen lernte und dann die Achtung vor seinem Volke verlöre<lb/> und damit die Lust, nach einem wirklichen System zu regieren." So schrieb<lb/> ich in einem Briefe aus Nußland wenige Tage vor der Krönung. Möchte<lb/> die Katastrophe auf der Chodhnka nicht eine solche Enttäuschung für ihn<lb/> geworden sein! Möchte sie den Kaiser namentlich nicht veranlassen, sich völlig<lb/> in die Hand der Geistlichkeit zu geben, wie es sein Vater nach dem Tage von<lb/> Borki that!</p><lb/> <p xml:id="ID_683"> Der Metropolit von Petersburg begrüßte den Kaiser an der Schwelle<lb/> der Krönungskirche mit den Worten, er übernehme nun „das höchste, schönste<lb/> Amt der Welt, aber auch das schwerste, die größte Bürde, die ein Mensch<lb/> zu tragen habe." Auch im Interesse des deutschen Volks muß man wünschen,<lb/> daß er dieser Bürde gewachsen sei.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0235]
Erlebtes und Beobachtetes aus Rußland
löste die Reaktion und der Fremdenhaß Alexanders III. ab. Schießt der neue
Herrscher, wenn er liberal ist, nicht übers Ziel hinaus, weiß er die unklaren,
aber stürmischen Wünsche der Klugen, Ehrlichen und Wohlmeinenden in
seinem Volke richtig zu deuten, weiß er die Sehnsucht nach Selbstbestimmung
in richtige Bahnen zu leiten, dann kann schon unter ihm das russische Volk
einer Blütezeit entgegengehen. Was Nußland jetzt braucht, ist Friede,
Sammlung seiner Kräfte zur wirtschaftlichen Organisation seiner ungeheuern
Besitzungen in Asien, allmählicher Ausbau der im Entstehen begriffnen Selbst¬
verwaltung, Reform des Beamtenwesens. Darum gilt es, die Hitzköpfe der
Kriegspartei, die sich am liebsten mit einem Schlag in den Besitz von
Konstantinopel setzen und nebenbei Bulgarien und womöglich die übrigen
Balkanstaaten einheimsen möchten, im Zaum zu halten und sich zu beschränken
auf das Notwendige und Nächstliegende. „Es ist zu wünschen, daß nicht
Persönlichkeiten mit abenteuerlich radikalen Ideen dem Kaiser als Berater nahe
kommen, und es ist zu wünschen, daß er mit ersten Versuchen keine allzu arge
Enttäuschung erleidet oder sonst unangenehme Erfahrungen macht. Das ge¬
fährlichste, das aber bei seiner Natur durchaus nicht unmöglich ist, wäre, wenn
er allzu greifbare Proben der Verderbnis auf der einen, der Roheit auf der
andern Seite kennen lernte und dann die Achtung vor seinem Volke verlöre
und damit die Lust, nach einem wirklichen System zu regieren." So schrieb
ich in einem Briefe aus Nußland wenige Tage vor der Krönung. Möchte
die Katastrophe auf der Chodhnka nicht eine solche Enttäuschung für ihn
geworden sein! Möchte sie den Kaiser namentlich nicht veranlassen, sich völlig
in die Hand der Geistlichkeit zu geben, wie es sein Vater nach dem Tage von
Borki that!
Der Metropolit von Petersburg begrüßte den Kaiser an der Schwelle
der Krönungskirche mit den Worten, er übernehme nun „das höchste, schönste
Amt der Welt, aber auch das schwerste, die größte Bürde, die ein Mensch
zu tragen habe." Auch im Interesse des deutschen Volks muß man wünschen,
daß er dieser Bürde gewachsen sei.
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