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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.

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Line Geschichte der Juden

iisdem, bald von den Juden abgeleitet werden, und wie bei jeder solchen ein¬
seitigen Ableitung die Macht der angegriffnen Partei oder Körperschaft ins
ungeheuerliche übertrieben wird. Nach Nübling haben die Juden die Parther
und die Hunnen aufs Römerreich gehetzt, deu Goten und Alemannen (?) zur
Eroberung Galliens und Spaniens verholfen, in Nußland ein großes Reich
mit der Hauptstadt Astrachan gegründet; durch die Einfuhr aus der Levante
richten sie die abendländische Landwirtschaft schon im Zeitalter der Kreuzzttge
zu Grunde und bewirken dadurch die großartigsten politischen Umwälzungen,
kurz, sie machen die Weltgeschichte. "Weil die Juden immer da sind, wo
der Mittelpunkt des Weltverkehrs ist, sind sie auch stets im Mittelpunkt
des geistigen Lebens, der wirtschaftlichen Fragen und der Politik." Die
Juden finden sich nun aber heute besonders zahlreich in Galizien, russisch
Polen und sonstigen Gegenden Halbasiens, die keineswegs Mittelpunkte des
Weltverkehrs sind, in London, Newyork und Hamburg dagegen herrschen
andre Leute. In Berlin und Wien freilich sind sie zahlreich, aber in Wien
haben sie die eine Zeit lang behauptete Herrschaft verloren, und in Berlin be¬
herrschen sie zwar einen Teil der Tagespresse und, wie es scheint, das Theater,
aber doch wohl nicht die Politik. Daß die Geschichte des Welthandels die
Geschichte des Judentums sei, wie wiederholt versichert wird, ist einfach nicht
wahr. Jedermann weiß, daß in alten Zeiten die Phönizier und die Karthager,
im spätern Mittelalter die italienischen und die Hauseatischen Hcmdelsrepublikeu,
dann die Spanier und Portugiesen, dann die Holländer den Welthandel in
den Händen gehabt haben, und daß seit zweihundert Jahren die Engländer
das mächtigste Handelsvolk der Welt sind, denen die Vorherrschaft in neuerer
Zeit von den Amerikanern, Deutschen, Chinesen und Jcipauern streitig gemacht
wird. Die Juden haben sich des Welthandels nur in der Zeit vom Nieder¬
gang des römischen Reichs bis zum Emporkommen der romanischen und ger¬
manischen Städte bemächtigt und demnach die Rolle von Lückenbüßern im
großen gespielt, die wir sie bis auf den heutigen Tag im kleinen spielen
sehen, indem sie überall dort als Händler thätig sind, wo es keinen ein¬
heimischen leistungsfähigen Handelsstand giebt. Gerade von antisemitischer
Seite ist vor einigen Jahren darauf hingewiesen worden, daß die Juden in
der angesehensten Act von Handel, im Export- und Jmporthmidel, keine oder
nur eine untergeordnete Rolle spielen, und es ist ihnen geradezu die Befähigung
dafür abgesprochen worden. Ihre Gebiete sind der kleine Schacher und der
Geldhandel. Wie sie für diesen im Mittelalter sozusagen erzogen worden sind,
ist ja allgemein bekannt.

Und daß sie, nachdem man ihnen einmal die Geldleihe als Lebensberuf
zugewiesen hatte, in die lebhafteste Berührung mit der "Landwirtschaft" kommen
mußten, sofern man den Ritter für deren Hauptvertreter ansieht, versteht sich
von selbst, denn wie des Juden, so ist auch des Ritters Natur unveränderlich;


Line Geschichte der Juden

iisdem, bald von den Juden abgeleitet werden, und wie bei jeder solchen ein¬
seitigen Ableitung die Macht der angegriffnen Partei oder Körperschaft ins
ungeheuerliche übertrieben wird. Nach Nübling haben die Juden die Parther
und die Hunnen aufs Römerreich gehetzt, deu Goten und Alemannen (?) zur
Eroberung Galliens und Spaniens verholfen, in Nußland ein großes Reich
mit der Hauptstadt Astrachan gegründet; durch die Einfuhr aus der Levante
richten sie die abendländische Landwirtschaft schon im Zeitalter der Kreuzzttge
zu Grunde und bewirken dadurch die großartigsten politischen Umwälzungen,
kurz, sie machen die Weltgeschichte. „Weil die Juden immer da sind, wo
der Mittelpunkt des Weltverkehrs ist, sind sie auch stets im Mittelpunkt
des geistigen Lebens, der wirtschaftlichen Fragen und der Politik." Die
Juden finden sich nun aber heute besonders zahlreich in Galizien, russisch
Polen und sonstigen Gegenden Halbasiens, die keineswegs Mittelpunkte des
Weltverkehrs sind, in London, Newyork und Hamburg dagegen herrschen
andre Leute. In Berlin und Wien freilich sind sie zahlreich, aber in Wien
haben sie die eine Zeit lang behauptete Herrschaft verloren, und in Berlin be¬
herrschen sie zwar einen Teil der Tagespresse und, wie es scheint, das Theater,
aber doch wohl nicht die Politik. Daß die Geschichte des Welthandels die
Geschichte des Judentums sei, wie wiederholt versichert wird, ist einfach nicht
wahr. Jedermann weiß, daß in alten Zeiten die Phönizier und die Karthager,
im spätern Mittelalter die italienischen und die Hauseatischen Hcmdelsrepublikeu,
dann die Spanier und Portugiesen, dann die Holländer den Welthandel in
den Händen gehabt haben, und daß seit zweihundert Jahren die Engländer
das mächtigste Handelsvolk der Welt sind, denen die Vorherrschaft in neuerer
Zeit von den Amerikanern, Deutschen, Chinesen und Jcipauern streitig gemacht
wird. Die Juden haben sich des Welthandels nur in der Zeit vom Nieder¬
gang des römischen Reichs bis zum Emporkommen der romanischen und ger¬
manischen Städte bemächtigt und demnach die Rolle von Lückenbüßern im
großen gespielt, die wir sie bis auf den heutigen Tag im kleinen spielen
sehen, indem sie überall dort als Händler thätig sind, wo es keinen ein¬
heimischen leistungsfähigen Handelsstand giebt. Gerade von antisemitischer
Seite ist vor einigen Jahren darauf hingewiesen worden, daß die Juden in
der angesehensten Act von Handel, im Export- und Jmporthmidel, keine oder
nur eine untergeordnete Rolle spielen, und es ist ihnen geradezu die Befähigung
dafür abgesprochen worden. Ihre Gebiete sind der kleine Schacher und der
Geldhandel. Wie sie für diesen im Mittelalter sozusagen erzogen worden sind,
ist ja allgemein bekannt.

Und daß sie, nachdem man ihnen einmal die Geldleihe als Lebensberuf
zugewiesen hatte, in die lebhafteste Berührung mit der „Landwirtschaft" kommen
mußten, sofern man den Ritter für deren Hauptvertreter ansieht, versteht sich
von selbst, denn wie des Juden, so ist auch des Ritters Natur unveränderlich;


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[0222] Line Geschichte der Juden iisdem, bald von den Juden abgeleitet werden, und wie bei jeder solchen ein¬ seitigen Ableitung die Macht der angegriffnen Partei oder Körperschaft ins ungeheuerliche übertrieben wird. Nach Nübling haben die Juden die Parther und die Hunnen aufs Römerreich gehetzt, deu Goten und Alemannen (?) zur Eroberung Galliens und Spaniens verholfen, in Nußland ein großes Reich mit der Hauptstadt Astrachan gegründet; durch die Einfuhr aus der Levante richten sie die abendländische Landwirtschaft schon im Zeitalter der Kreuzzttge zu Grunde und bewirken dadurch die großartigsten politischen Umwälzungen, kurz, sie machen die Weltgeschichte. „Weil die Juden immer da sind, wo der Mittelpunkt des Weltverkehrs ist, sind sie auch stets im Mittelpunkt des geistigen Lebens, der wirtschaftlichen Fragen und der Politik." Die Juden finden sich nun aber heute besonders zahlreich in Galizien, russisch Polen und sonstigen Gegenden Halbasiens, die keineswegs Mittelpunkte des Weltverkehrs sind, in London, Newyork und Hamburg dagegen herrschen andre Leute. In Berlin und Wien freilich sind sie zahlreich, aber in Wien haben sie die eine Zeit lang behauptete Herrschaft verloren, und in Berlin be¬ herrschen sie zwar einen Teil der Tagespresse und, wie es scheint, das Theater, aber doch wohl nicht die Politik. Daß die Geschichte des Welthandels die Geschichte des Judentums sei, wie wiederholt versichert wird, ist einfach nicht wahr. Jedermann weiß, daß in alten Zeiten die Phönizier und die Karthager, im spätern Mittelalter die italienischen und die Hauseatischen Hcmdelsrepublikeu, dann die Spanier und Portugiesen, dann die Holländer den Welthandel in den Händen gehabt haben, und daß seit zweihundert Jahren die Engländer das mächtigste Handelsvolk der Welt sind, denen die Vorherrschaft in neuerer Zeit von den Amerikanern, Deutschen, Chinesen und Jcipauern streitig gemacht wird. Die Juden haben sich des Welthandels nur in der Zeit vom Nieder¬ gang des römischen Reichs bis zum Emporkommen der romanischen und ger¬ manischen Städte bemächtigt und demnach die Rolle von Lückenbüßern im großen gespielt, die wir sie bis auf den heutigen Tag im kleinen spielen sehen, indem sie überall dort als Händler thätig sind, wo es keinen ein¬ heimischen leistungsfähigen Handelsstand giebt. Gerade von antisemitischer Seite ist vor einigen Jahren darauf hingewiesen worden, daß die Juden in der angesehensten Act von Handel, im Export- und Jmporthmidel, keine oder nur eine untergeordnete Rolle spielen, und es ist ihnen geradezu die Befähigung dafür abgesprochen worden. Ihre Gebiete sind der kleine Schacher und der Geldhandel. Wie sie für diesen im Mittelalter sozusagen erzogen worden sind, ist ja allgemein bekannt. Und daß sie, nachdem man ihnen einmal die Geldleihe als Lebensberuf zugewiesen hatte, in die lebhafteste Berührung mit der „Landwirtschaft" kommen mußten, sofern man den Ritter für deren Hauptvertreter ansieht, versteht sich von selbst, denn wie des Juden, so ist auch des Ritters Natur unveränderlich;

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_223583/222>, abgerufen am 08.01.2025.