Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.Line Geschichte der Juden Nehmen wir nun aus seiner eignen Darstellung der Sache einen Satz Der Schuldner erhält zunächst von der mis der Hauptschuld und den rück¬ Nun wissen wir genau, wie es dabei zugegangen ist, und Hegel ist wider¬ Line Geschichte der Juden Nehmen wir nun aus seiner eignen Darstellung der Sache einen Satz Der Schuldner erhält zunächst von der mis der Hauptschuld und den rück¬ Nun wissen wir genau, wie es dabei zugegangen ist, und Hegel ist wider¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0219" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/223803"/> <fw type="header" place="top"> Line Geschichte der Juden</fw><lb/> <p xml:id="ID_641" prev="#ID_640"> Nehmen wir nun aus seiner eignen Darstellung der Sache einen Satz<lb/> — einen Satz! — heraus, der zugleich als Stilprobe dienen mag:</p><lb/> <p xml:id="ID_642"> Der Schuldner erhält zunächst von der mis der Hauptschuld und den rück¬<lb/> ständigen Zinsen und Zinseszinsen neu gebildeten Schuldsumme 25 vom Hundert<lb/> Nachlaß, sodann giebt er seiner Laudesherrschcift die sogenannte „anezal," d. h.<lb/> eine Zahlung oder Abschlagszahlung vou 15 bis 50 vom Hundert, welche die<lb/> Stadtknmmer dazu verwendet, um die Forderungen der Neichskammer für die in<lb/> deren Patronat stehenden Juden und die rückständigen Forderungen einzelner reicher<lb/> Städtebürger, welche der Stadtkammer im Jahre 1385 das Geld vorgeschossen<lb/> sollen, durch welches die Stadt die Forderungen ihrer Juden bei auswärtigen<lb/> Herrschaften immens dieser Herrschaften den Juden heimbezahlt hatte, auszugleichen,<lb/> wie wir dies in Nürnberg fehen, wo die Stadtgemeinde von allen ihren Bürgern,<lb/> welche einem Juden etwas schuldig sind, 30 vom Hundert der Forderung einzieht<lb/> und die so erhaltenen 10781 Pfund und 1,5 sah. Haller in der Art verwendet,<lb/> daß sie 4000 Gulden an die Neichskammer abliefert und weitere 652 Gulden<lb/> 1 Ort und 19 sah. an einzelne Nürnberger Bürger für deren Forderungen an<lb/> auswärtige Herrschaften auszahlt, worauf die Schuldner ihrer Schulden bei deu<lb/> Juden losgesagt werden, dafür aber der Landesherrschaft die Summe schuldig sind,<lb/> die sie in der Weise ablösen, daß sie deu Rest durch Kriegs- oder Zivildienste im<lb/> Dienste der Laudesherrschafteu verdienen, (S. 400—401.)</p><lb/> <p xml:id="ID_643" next="#ID_644"> Nun wissen wir genau, wie es dabei zugegangen ist, und Hegel ist wider¬<lb/> legt, nicht wahr? Die Urkunden mögen ja unklar sein, aber dem Forscher<lb/> ist damit nicht gedient, daß unklare Urkunden unklar umschrieben werden, er<lb/> will sie selbst lesen. Nübling hatte sich also zu entscheiden, ob er für Forscher<lb/> oder für das Publikum schreiben wollte. Im ersten Falle hatte er die Ur¬<lb/> kunden im Wortlaut abzudrucken, was er mit keiner einzigen thut, im zweiten<lb/> hatte er die Leser mit unverständlichen Auseinandersetzungen zu verschonen.<lb/> Der Stil, der Sperrdruck jedes dritten Wortes, die Unordnung — alles liegt<lb/> wie Kraut und Rüben untereinander, in die Judengeschichten sind lange Ge¬<lb/> schichten von Streitigkeiten der Städte mit Rittern und Grafen verflochten,<lb/> die mit den Judengeschichten teils mir sehr lose, teils gar nicht zusammen¬<lb/> hängen, und ein halbes dutzend mal fängt die Darstellung wieder von vorn an,<lb/> von den Parthern und Römern und von den Kirchenvätern — das alles zu¬<lb/> sammen macht, daß man beim Lesen fortwährend die Empfindung des ver-<lb/> dorbnen Magens hat; nicht viele werden die Geduld haben, das Buch durch-<lb/> zulesen. Und eine Urkundensammlung ist es, wie gesagt, auch nicht; nicht<lb/> einmal eine Sammlung urkundlich beglaubigten Stoffes, die ein späterer Dar¬<lb/> steller als zuverlässige Grundlage benutzen könnte. Seite 516—518 werden<lb/> eine Anzahl Berichte über Ritualmorde angeführt; und worin besteht der<lb/> Quellennachweis? „Veröffentlichungen über die sogenannten Ritualmorde der<lb/> Juden," steht in der Anmerkung, sonst nichts! Aber darum handelt es sich<lb/> ja eben, auf kritischem Wege festzustellen, wie weit diese Veröffentlichungen er¬<lb/> wiesenes und erweisbares enthalten! Von seiner eignen ?is e-ritiou. legt</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0219]
Line Geschichte der Juden
Nehmen wir nun aus seiner eignen Darstellung der Sache einen Satz
— einen Satz! — heraus, der zugleich als Stilprobe dienen mag:
Der Schuldner erhält zunächst von der mis der Hauptschuld und den rück¬
ständigen Zinsen und Zinseszinsen neu gebildeten Schuldsumme 25 vom Hundert
Nachlaß, sodann giebt er seiner Laudesherrschcift die sogenannte „anezal," d. h.
eine Zahlung oder Abschlagszahlung vou 15 bis 50 vom Hundert, welche die
Stadtknmmer dazu verwendet, um die Forderungen der Neichskammer für die in
deren Patronat stehenden Juden und die rückständigen Forderungen einzelner reicher
Städtebürger, welche der Stadtkammer im Jahre 1385 das Geld vorgeschossen
sollen, durch welches die Stadt die Forderungen ihrer Juden bei auswärtigen
Herrschaften immens dieser Herrschaften den Juden heimbezahlt hatte, auszugleichen,
wie wir dies in Nürnberg fehen, wo die Stadtgemeinde von allen ihren Bürgern,
welche einem Juden etwas schuldig sind, 30 vom Hundert der Forderung einzieht
und die so erhaltenen 10781 Pfund und 1,5 sah. Haller in der Art verwendet,
daß sie 4000 Gulden an die Neichskammer abliefert und weitere 652 Gulden
1 Ort und 19 sah. an einzelne Nürnberger Bürger für deren Forderungen an
auswärtige Herrschaften auszahlt, worauf die Schuldner ihrer Schulden bei deu
Juden losgesagt werden, dafür aber der Landesherrschaft die Summe schuldig sind,
die sie in der Weise ablösen, daß sie deu Rest durch Kriegs- oder Zivildienste im
Dienste der Laudesherrschafteu verdienen, (S. 400—401.)
Nun wissen wir genau, wie es dabei zugegangen ist, und Hegel ist wider¬
legt, nicht wahr? Die Urkunden mögen ja unklar sein, aber dem Forscher
ist damit nicht gedient, daß unklare Urkunden unklar umschrieben werden, er
will sie selbst lesen. Nübling hatte sich also zu entscheiden, ob er für Forscher
oder für das Publikum schreiben wollte. Im ersten Falle hatte er die Ur¬
kunden im Wortlaut abzudrucken, was er mit keiner einzigen thut, im zweiten
hatte er die Leser mit unverständlichen Auseinandersetzungen zu verschonen.
Der Stil, der Sperrdruck jedes dritten Wortes, die Unordnung — alles liegt
wie Kraut und Rüben untereinander, in die Judengeschichten sind lange Ge¬
schichten von Streitigkeiten der Städte mit Rittern und Grafen verflochten,
die mit den Judengeschichten teils mir sehr lose, teils gar nicht zusammen¬
hängen, und ein halbes dutzend mal fängt die Darstellung wieder von vorn an,
von den Parthern und Römern und von den Kirchenvätern — das alles zu¬
sammen macht, daß man beim Lesen fortwährend die Empfindung des ver-
dorbnen Magens hat; nicht viele werden die Geduld haben, das Buch durch-
zulesen. Und eine Urkundensammlung ist es, wie gesagt, auch nicht; nicht
einmal eine Sammlung urkundlich beglaubigten Stoffes, die ein späterer Dar¬
steller als zuverlässige Grundlage benutzen könnte. Seite 516—518 werden
eine Anzahl Berichte über Ritualmorde angeführt; und worin besteht der
Quellennachweis? „Veröffentlichungen über die sogenannten Ritualmorde der
Juden," steht in der Anmerkung, sonst nichts! Aber darum handelt es sich
ja eben, auf kritischem Wege festzustellen, wie weit diese Veröffentlichungen er¬
wiesenes und erweisbares enthalten! Von seiner eignen ?is e-ritiou. legt
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