Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die deutsche Auswanderung nach Brasilien

Die Beruhigung des Landes ist ja nunmehr vollzogen, allein kein Mensch
glaubt wahrhaft an eine endgiltige Beilegung der politischen Wirren. Für
den Fall, daß also der Bürgerkrieg wieder ausbrechen sollte, von dessen Greueln
sich freilich der deutsche Philister in der Regel übertriebne Vorstellungen macht,
muß man sich auf deutscher Seite nach Bürgschaften umsehen, die einen wirk¬
samern Schutz der deutschen Ansiedler ermöglichen, als dies bisher der Fall
war. Da die Kolonisten, so wie die Verhältnisse liegen, zuweilen auf Selbst¬
hilfe angewiesen sind, so muß ganz entschieden die Absicht bekämpft werden, die
deutschen Ansiedler mit andern Nationalitüten zu vermischen. Nur wo Deutsche
in größerer Menge zusammenwohnen, können sie sich auch die Sicherheit von
Leben und Eigentum, die ihnen die Regierung nicht immer verschaffen kann,
durch eigne Kraft erringen. Das Verhalten der deutschen Kolonisten war
bisher so, daß ein Mißtrauen der Regierung gegen sie durchaus unberechtigt
wäre^ Noch nie ist es darum zu ähnlichen Kundgebungen gegen die Deutschen
gekommen, wie gegen die Italiener, die unlängst Straßen und Plätze von Rio
und Sav Paulo durchtobten und selbst dem abessinischen Negus Mcnelik die
Ehre verschafften, daß man auf ihn im fernen Südamerika Hochrufe ausbrachte.

Es wird Sache der deutschen Kolonisationsgesellschaften sein, sich solche
Bestimmungen, wie die zu Anfang von uns erwähnten, nicht bieten zu lassen.
Bei der jetzigen Spannung zwischen der brasilischen und der italienischen Re¬
gierung, deren Wirkungen auch im Fall einer baldigen Versöhnung nicht spurlos
verschwinden werden, hat die brasilische Negierung ohnehin keine Veranlassung,
sich allzusehr aufs hohe Pferd zu setzen. Was von deutscher Seite erstrebt
wird, liegt jeder politischen Machtbethätigung fern. Wir wollen den Überschuß
unsrer Volkskraft dorthin ablenken, wo er sich in redlicher Arbeit günstige
Lebensbedingungen sichern kann, und wollen zugleich unsrer heimischen Industrie
neue Absatzgebiete erschließen. Denn darüber sollte man doch heutzutage im
Klaren sein, daß in der Erschließung begriffne Ackerbanstanten mit einiger¬
maßen dichter Bevölkerung weit mehr Bedürfnisse und bald auch eine höhere
Kaufkraft haben als tropische Kolvnialländer, in denen wenige Europäer Plan¬
tagenwirtschaft mit einheimischen oder aus andern Tropenlündcrn eingeführten
Arbeitssklaven betreiben. Vielleicht wird dann auch für das übrige Brasilien
die Zeit kommen, wo man einsieht, daß manche Jndustrieerzeugnisse unmittelbar
von Deutschland billiger zu haben sind, als wenn sie erst auf dem Umweg
über Frankreich oder Belgien als die Erzeugnisse dieser Länder dem südameri-
kanischen Markte zugeführt werden.




Grenzboten IV 1800^7
Die deutsche Auswanderung nach Brasilien

Die Beruhigung des Landes ist ja nunmehr vollzogen, allein kein Mensch
glaubt wahrhaft an eine endgiltige Beilegung der politischen Wirren. Für
den Fall, daß also der Bürgerkrieg wieder ausbrechen sollte, von dessen Greueln
sich freilich der deutsche Philister in der Regel übertriebne Vorstellungen macht,
muß man sich auf deutscher Seite nach Bürgschaften umsehen, die einen wirk¬
samern Schutz der deutschen Ansiedler ermöglichen, als dies bisher der Fall
war. Da die Kolonisten, so wie die Verhältnisse liegen, zuweilen auf Selbst¬
hilfe angewiesen sind, so muß ganz entschieden die Absicht bekämpft werden, die
deutschen Ansiedler mit andern Nationalitüten zu vermischen. Nur wo Deutsche
in größerer Menge zusammenwohnen, können sie sich auch die Sicherheit von
Leben und Eigentum, die ihnen die Regierung nicht immer verschaffen kann,
durch eigne Kraft erringen. Das Verhalten der deutschen Kolonisten war
bisher so, daß ein Mißtrauen der Regierung gegen sie durchaus unberechtigt
wäre^ Noch nie ist es darum zu ähnlichen Kundgebungen gegen die Deutschen
gekommen, wie gegen die Italiener, die unlängst Straßen und Plätze von Rio
und Sav Paulo durchtobten und selbst dem abessinischen Negus Mcnelik die
Ehre verschafften, daß man auf ihn im fernen Südamerika Hochrufe ausbrachte.

Es wird Sache der deutschen Kolonisationsgesellschaften sein, sich solche
Bestimmungen, wie die zu Anfang von uns erwähnten, nicht bieten zu lassen.
Bei der jetzigen Spannung zwischen der brasilischen und der italienischen Re¬
gierung, deren Wirkungen auch im Fall einer baldigen Versöhnung nicht spurlos
verschwinden werden, hat die brasilische Negierung ohnehin keine Veranlassung,
sich allzusehr aufs hohe Pferd zu setzen. Was von deutscher Seite erstrebt
wird, liegt jeder politischen Machtbethätigung fern. Wir wollen den Überschuß
unsrer Volkskraft dorthin ablenken, wo er sich in redlicher Arbeit günstige
Lebensbedingungen sichern kann, und wollen zugleich unsrer heimischen Industrie
neue Absatzgebiete erschließen. Denn darüber sollte man doch heutzutage im
Klaren sein, daß in der Erschließung begriffne Ackerbanstanten mit einiger¬
maßen dichter Bevölkerung weit mehr Bedürfnisse und bald auch eine höhere
Kaufkraft haben als tropische Kolvnialländer, in denen wenige Europäer Plan¬
tagenwirtschaft mit einheimischen oder aus andern Tropenlündcrn eingeführten
Arbeitssklaven betreiben. Vielleicht wird dann auch für das übrige Brasilien
die Zeit kommen, wo man einsieht, daß manche Jndustrieerzeugnisse unmittelbar
von Deutschland billiger zu haben sind, als wenn sie erst auf dem Umweg
über Frankreich oder Belgien als die Erzeugnisse dieser Länder dem südameri-
kanischen Markte zugeführt werden.




Grenzboten IV 1800^7
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0217" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/223801"/>
          <fw type="header" place="top"> Die deutsche Auswanderung nach Brasilien</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_638" prev="#ID_637"> Die Beruhigung des Landes ist ja nunmehr vollzogen, allein kein Mensch<lb/>
glaubt wahrhaft an eine endgiltige Beilegung der politischen Wirren. Für<lb/>
den Fall, daß also der Bürgerkrieg wieder ausbrechen sollte, von dessen Greueln<lb/>
sich freilich der deutsche Philister in der Regel übertriebne Vorstellungen macht,<lb/>
muß man sich auf deutscher Seite nach Bürgschaften umsehen, die einen wirk¬<lb/>
samern Schutz der deutschen Ansiedler ermöglichen, als dies bisher der Fall<lb/>
war. Da die Kolonisten, so wie die Verhältnisse liegen, zuweilen auf Selbst¬<lb/>
hilfe angewiesen sind, so muß ganz entschieden die Absicht bekämpft werden, die<lb/>
deutschen Ansiedler mit andern Nationalitüten zu vermischen. Nur wo Deutsche<lb/>
in größerer Menge zusammenwohnen, können sie sich auch die Sicherheit von<lb/>
Leben und Eigentum, die ihnen die Regierung nicht immer verschaffen kann,<lb/>
durch eigne Kraft erringen. Das Verhalten der deutschen Kolonisten war<lb/>
bisher so, daß ein Mißtrauen der Regierung gegen sie durchaus unberechtigt<lb/>
wäre^ Noch nie ist es darum zu ähnlichen Kundgebungen gegen die Deutschen<lb/>
gekommen, wie gegen die Italiener, die unlängst Straßen und Plätze von Rio<lb/>
und Sav Paulo durchtobten und selbst dem abessinischen Negus Mcnelik die<lb/>
Ehre verschafften, daß man auf ihn im fernen Südamerika Hochrufe ausbrachte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_639"> Es wird Sache der deutschen Kolonisationsgesellschaften sein, sich solche<lb/>
Bestimmungen, wie die zu Anfang von uns erwähnten, nicht bieten zu lassen.<lb/>
Bei der jetzigen Spannung zwischen der brasilischen und der italienischen Re¬<lb/>
gierung, deren Wirkungen auch im Fall einer baldigen Versöhnung nicht spurlos<lb/>
verschwinden werden, hat die brasilische Negierung ohnehin keine Veranlassung,<lb/>
sich allzusehr aufs hohe Pferd zu setzen. Was von deutscher Seite erstrebt<lb/>
wird, liegt jeder politischen Machtbethätigung fern. Wir wollen den Überschuß<lb/>
unsrer Volkskraft dorthin ablenken, wo er sich in redlicher Arbeit günstige<lb/>
Lebensbedingungen sichern kann, und wollen zugleich unsrer heimischen Industrie<lb/>
neue Absatzgebiete erschließen. Denn darüber sollte man doch heutzutage im<lb/>
Klaren sein, daß in der Erschließung begriffne Ackerbanstanten mit einiger¬<lb/>
maßen dichter Bevölkerung weit mehr Bedürfnisse und bald auch eine höhere<lb/>
Kaufkraft haben als tropische Kolvnialländer, in denen wenige Europäer Plan¬<lb/>
tagenwirtschaft mit einheimischen oder aus andern Tropenlündcrn eingeführten<lb/>
Arbeitssklaven betreiben. Vielleicht wird dann auch für das übrige Brasilien<lb/>
die Zeit kommen, wo man einsieht, daß manche Jndustrieerzeugnisse unmittelbar<lb/>
von Deutschland billiger zu haben sind, als wenn sie erst auf dem Umweg<lb/>
über Frankreich oder Belgien als die Erzeugnisse dieser Länder dem südameri-<lb/>
kanischen Markte zugeführt werden.</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten IV 1800^7</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0217] Die deutsche Auswanderung nach Brasilien Die Beruhigung des Landes ist ja nunmehr vollzogen, allein kein Mensch glaubt wahrhaft an eine endgiltige Beilegung der politischen Wirren. Für den Fall, daß also der Bürgerkrieg wieder ausbrechen sollte, von dessen Greueln sich freilich der deutsche Philister in der Regel übertriebne Vorstellungen macht, muß man sich auf deutscher Seite nach Bürgschaften umsehen, die einen wirk¬ samern Schutz der deutschen Ansiedler ermöglichen, als dies bisher der Fall war. Da die Kolonisten, so wie die Verhältnisse liegen, zuweilen auf Selbst¬ hilfe angewiesen sind, so muß ganz entschieden die Absicht bekämpft werden, die deutschen Ansiedler mit andern Nationalitüten zu vermischen. Nur wo Deutsche in größerer Menge zusammenwohnen, können sie sich auch die Sicherheit von Leben und Eigentum, die ihnen die Regierung nicht immer verschaffen kann, durch eigne Kraft erringen. Das Verhalten der deutschen Kolonisten war bisher so, daß ein Mißtrauen der Regierung gegen sie durchaus unberechtigt wäre^ Noch nie ist es darum zu ähnlichen Kundgebungen gegen die Deutschen gekommen, wie gegen die Italiener, die unlängst Straßen und Plätze von Rio und Sav Paulo durchtobten und selbst dem abessinischen Negus Mcnelik die Ehre verschafften, daß man auf ihn im fernen Südamerika Hochrufe ausbrachte. Es wird Sache der deutschen Kolonisationsgesellschaften sein, sich solche Bestimmungen, wie die zu Anfang von uns erwähnten, nicht bieten zu lassen. Bei der jetzigen Spannung zwischen der brasilischen und der italienischen Re¬ gierung, deren Wirkungen auch im Fall einer baldigen Versöhnung nicht spurlos verschwinden werden, hat die brasilische Negierung ohnehin keine Veranlassung, sich allzusehr aufs hohe Pferd zu setzen. Was von deutscher Seite erstrebt wird, liegt jeder politischen Machtbethätigung fern. Wir wollen den Überschuß unsrer Volkskraft dorthin ablenken, wo er sich in redlicher Arbeit günstige Lebensbedingungen sichern kann, und wollen zugleich unsrer heimischen Industrie neue Absatzgebiete erschließen. Denn darüber sollte man doch heutzutage im Klaren sein, daß in der Erschließung begriffne Ackerbanstanten mit einiger¬ maßen dichter Bevölkerung weit mehr Bedürfnisse und bald auch eine höhere Kaufkraft haben als tropische Kolvnialländer, in denen wenige Europäer Plan¬ tagenwirtschaft mit einheimischen oder aus andern Tropenlündcrn eingeführten Arbeitssklaven betreiben. Vielleicht wird dann auch für das übrige Brasilien die Zeit kommen, wo man einsieht, daß manche Jndustrieerzeugnisse unmittelbar von Deutschland billiger zu haben sind, als wenn sie erst auf dem Umweg über Frankreich oder Belgien als die Erzeugnisse dieser Länder dem südameri- kanischen Markte zugeführt werden. Grenzboten IV 1800^7

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_223583
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_223583/217
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_223583/217>, abgerufen am 06.01.2025.