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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.

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Die deutsche Auswanderung nach Brasilien

Unternehmungsgeist geltend, daß zu hoffen ist, es werde ihren vereinten Be¬
mühungen gelingen, die wichtige Sache der deutschen Auswanderung nach
Brasilien endlich einmal ins richtige Gleis zu bringen. Vor allem ist in
dieser Beziehung zu nennen der Entschluß des Direktoriums des Norddeutschen
Lloyd, den Bau von vier neuen großen Dampfern für die brasilische Linie
in Auftrag zu geben, sodann die von der Hamburger Südamerikanischen Dampf¬
schiffahrtsgesellschaft erlangte Konzession des Ankaufs von 100000 Hektaren Land
am Rio Pelotas in Rio Grande do Suk, ferner die Bildung einer neuen
deutschen Ansiedlungsgenossenschaft in Porte Alegre unter dem Namen Ooin-
pÄnbig Rural Lo1om8ii.ä0rii. Diese drei Maßnahmen und außerdem die den
genannten Dampferlinien bereits von Preußen gewährte Konzession zur Be¬
förderung von Auswanderern stehen schon in unmittelbarer Beziehung zu
der Aufhebung des v. d. Hehdtschen Reskripts. Wenn nicht alle Borzeichen
trügen, wird auch der norddeutsche Lloyd bald als dritter im Bunde der
Frage der Landerwerbung näher treten.

Sehen mir zunächst, welches Verfahren bisher bei der Einführung der
Einwanderer angewandt mürbe. Nehmen mir an, der Kongreß oder die Re¬
gierung eines einzelnen Staates habe die Einführung von 50000 Einwanderern
beschlossen, bis da und dahin lieferbar. Diese sollen bestimmten Nationalitäten
angehören dürfen, sagen wir Portugal, Italien, Deutschland, Österreich und
der Schweiz. Es wird nun eine Konkurrenz ausgeschrieben, worin die Negie¬
rung ihre Bedingungen mitteilt, worauf die Reflektanten dasselbe zu thun
haben. Die Unternehmer verlangen für den Kopf Summen, die zwischen vier¬
einhalb und sechs Pfund Sterling schwanken mögen, und unter ihnen wird
nun die Auswahl getroffen, wobei natürlich nicht immer rein sachliche Rück¬
sichten auf den Vorteil des Staatssäckels oder den guten Ruf der Negierung
ausschlaggebend sind. Hierauf schließt der Unternehmer, der die Konzession
erhalten hat, einen Vertrag mit einer Dampferlinie ab, wonach diese die 50000
Seelen zu ermüßigteu Preisen von einem bestimmten europäischen Hafen nach
dem festgesetzten brasilischen Seeplatz zu befördern hat. Daß bei diesem Ver¬
fahren auf die Güte der Leute keine Rücksicht genommen werden kam?, liegt
auf der Hand. Besonders gilt das von denen, die in den Hafenstädten Ita¬
liens angeworben werden. Auf sie paßt das Bibelwort: "Und die Knechte
gingen ans auf die Straßen und brachten zusammen, wen sie fanden, Böse
und Gute. Und die Tische wurden alle voll." Sind die neuen Ankömmlinge
dann aus den Händen des Agenten in die der Regierungsbevollmächtigter
übergegangen, so werden sie entweder, wenn die für sie bestimmten Län¬
dereien schon vermessen sind, bald dorthin abgeführt, oder man läßt sie
-- und das kommt häufig genug vor -- in den ihnen eingeräumten Em-
pfangshnusern solange warten, bis die notdürftigsten Vorbereitungen getroffen
sind. Ist nun von seiten der Regierung mit der nötigen Umsicht vorgegangen


Die deutsche Auswanderung nach Brasilien

Unternehmungsgeist geltend, daß zu hoffen ist, es werde ihren vereinten Be¬
mühungen gelingen, die wichtige Sache der deutschen Auswanderung nach
Brasilien endlich einmal ins richtige Gleis zu bringen. Vor allem ist in
dieser Beziehung zu nennen der Entschluß des Direktoriums des Norddeutschen
Lloyd, den Bau von vier neuen großen Dampfern für die brasilische Linie
in Auftrag zu geben, sodann die von der Hamburger Südamerikanischen Dampf¬
schiffahrtsgesellschaft erlangte Konzession des Ankaufs von 100000 Hektaren Land
am Rio Pelotas in Rio Grande do Suk, ferner die Bildung einer neuen
deutschen Ansiedlungsgenossenschaft in Porte Alegre unter dem Namen Ooin-
pÄnbig Rural Lo1om8ii.ä0rii. Diese drei Maßnahmen und außerdem die den
genannten Dampferlinien bereits von Preußen gewährte Konzession zur Be¬
förderung von Auswanderern stehen schon in unmittelbarer Beziehung zu
der Aufhebung des v. d. Hehdtschen Reskripts. Wenn nicht alle Borzeichen
trügen, wird auch der norddeutsche Lloyd bald als dritter im Bunde der
Frage der Landerwerbung näher treten.

Sehen mir zunächst, welches Verfahren bisher bei der Einführung der
Einwanderer angewandt mürbe. Nehmen mir an, der Kongreß oder die Re¬
gierung eines einzelnen Staates habe die Einführung von 50000 Einwanderern
beschlossen, bis da und dahin lieferbar. Diese sollen bestimmten Nationalitäten
angehören dürfen, sagen wir Portugal, Italien, Deutschland, Österreich und
der Schweiz. Es wird nun eine Konkurrenz ausgeschrieben, worin die Negie¬
rung ihre Bedingungen mitteilt, worauf die Reflektanten dasselbe zu thun
haben. Die Unternehmer verlangen für den Kopf Summen, die zwischen vier¬
einhalb und sechs Pfund Sterling schwanken mögen, und unter ihnen wird
nun die Auswahl getroffen, wobei natürlich nicht immer rein sachliche Rück¬
sichten auf den Vorteil des Staatssäckels oder den guten Ruf der Negierung
ausschlaggebend sind. Hierauf schließt der Unternehmer, der die Konzession
erhalten hat, einen Vertrag mit einer Dampferlinie ab, wonach diese die 50000
Seelen zu ermüßigteu Preisen von einem bestimmten europäischen Hafen nach
dem festgesetzten brasilischen Seeplatz zu befördern hat. Daß bei diesem Ver¬
fahren auf die Güte der Leute keine Rücksicht genommen werden kam?, liegt
auf der Hand. Besonders gilt das von denen, die in den Hafenstädten Ita¬
liens angeworben werden. Auf sie paßt das Bibelwort: „Und die Knechte
gingen ans auf die Straßen und brachten zusammen, wen sie fanden, Böse
und Gute. Und die Tische wurden alle voll." Sind die neuen Ankömmlinge
dann aus den Händen des Agenten in die der Regierungsbevollmächtigter
übergegangen, so werden sie entweder, wenn die für sie bestimmten Län¬
dereien schon vermessen sind, bald dorthin abgeführt, oder man läßt sie
— und das kommt häufig genug vor — in den ihnen eingeräumten Em-
pfangshnusern solange warten, bis die notdürftigsten Vorbereitungen getroffen
sind. Ist nun von seiten der Regierung mit der nötigen Umsicht vorgegangen


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[0210] Die deutsche Auswanderung nach Brasilien Unternehmungsgeist geltend, daß zu hoffen ist, es werde ihren vereinten Be¬ mühungen gelingen, die wichtige Sache der deutschen Auswanderung nach Brasilien endlich einmal ins richtige Gleis zu bringen. Vor allem ist in dieser Beziehung zu nennen der Entschluß des Direktoriums des Norddeutschen Lloyd, den Bau von vier neuen großen Dampfern für die brasilische Linie in Auftrag zu geben, sodann die von der Hamburger Südamerikanischen Dampf¬ schiffahrtsgesellschaft erlangte Konzession des Ankaufs von 100000 Hektaren Land am Rio Pelotas in Rio Grande do Suk, ferner die Bildung einer neuen deutschen Ansiedlungsgenossenschaft in Porte Alegre unter dem Namen Ooin- pÄnbig Rural Lo1om8ii.ä0rii. Diese drei Maßnahmen und außerdem die den genannten Dampferlinien bereits von Preußen gewährte Konzession zur Be¬ förderung von Auswanderern stehen schon in unmittelbarer Beziehung zu der Aufhebung des v. d. Hehdtschen Reskripts. Wenn nicht alle Borzeichen trügen, wird auch der norddeutsche Lloyd bald als dritter im Bunde der Frage der Landerwerbung näher treten. Sehen mir zunächst, welches Verfahren bisher bei der Einführung der Einwanderer angewandt mürbe. Nehmen mir an, der Kongreß oder die Re¬ gierung eines einzelnen Staates habe die Einführung von 50000 Einwanderern beschlossen, bis da und dahin lieferbar. Diese sollen bestimmten Nationalitäten angehören dürfen, sagen wir Portugal, Italien, Deutschland, Österreich und der Schweiz. Es wird nun eine Konkurrenz ausgeschrieben, worin die Negie¬ rung ihre Bedingungen mitteilt, worauf die Reflektanten dasselbe zu thun haben. Die Unternehmer verlangen für den Kopf Summen, die zwischen vier¬ einhalb und sechs Pfund Sterling schwanken mögen, und unter ihnen wird nun die Auswahl getroffen, wobei natürlich nicht immer rein sachliche Rück¬ sichten auf den Vorteil des Staatssäckels oder den guten Ruf der Negierung ausschlaggebend sind. Hierauf schließt der Unternehmer, der die Konzession erhalten hat, einen Vertrag mit einer Dampferlinie ab, wonach diese die 50000 Seelen zu ermüßigteu Preisen von einem bestimmten europäischen Hafen nach dem festgesetzten brasilischen Seeplatz zu befördern hat. Daß bei diesem Ver¬ fahren auf die Güte der Leute keine Rücksicht genommen werden kam?, liegt auf der Hand. Besonders gilt das von denen, die in den Hafenstädten Ita¬ liens angeworben werden. Auf sie paßt das Bibelwort: „Und die Knechte gingen ans auf die Straßen und brachten zusammen, wen sie fanden, Böse und Gute. Und die Tische wurden alle voll." Sind die neuen Ankömmlinge dann aus den Händen des Agenten in die der Regierungsbevollmächtigter übergegangen, so werden sie entweder, wenn die für sie bestimmten Län¬ dereien schon vermessen sind, bald dorthin abgeführt, oder man läßt sie — und das kommt häufig genug vor — in den ihnen eingeräumten Em- pfangshnusern solange warten, bis die notdürftigsten Vorbereitungen getroffen sind. Ist nun von seiten der Regierung mit der nötigen Umsicht vorgegangen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_223583/210>, abgerufen am 06.01.2025.