Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches Parteien, die nichts wollen, als das Bestehende konserviren und womöglich Den Sozialdemokraten muß mau die unbeschränkte Öffentlichkeit, in der sie Und diesen Nationalsozialen stehen unsre Sozialdemokraten überhaupt gar Maßgebliches und Unmaßgebliches Parteien, die nichts wollen, als das Bestehende konserviren und womöglich Den Sozialdemokraten muß mau die unbeschränkte Öffentlichkeit, in der sie Und diesen Nationalsozialen stehen unsre Sozialdemokraten überhaupt gar <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0204" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/223788"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_604"> Parteien, die nichts wollen, als das Bestehende konserviren und womöglich<lb/> vergangne, lebensunfähige Zustände wiederherstelle«, solche Parteien haben natürlich<lb/> keine Zukunft. Für Personen fängt es erst zehn Jahre vorm Tode an, als Lob<lb/> zu gelten, daß sie sich gut konservirt haben. Nach vorwärts, uicht unes rückwärts<lb/> schaut die deutsche Volkspartei, und die hat nun den Mut gefunden, in Ulm<lb/> öffentlich zu tagen. Zahlreicher ist sie ja vielleicht auch nicht als die Antisemiten¬<lb/> partei, aber sie hegt wenigstens Zukunftsgedanken. Als zwei besonders wichtige<lb/> Ergebnisse des Ulmer Parteitages hebt die Frankfurter Zeitung hervor, daß die<lb/> Partei ihre frühern freundschaftlichen Beziehungen zu dem freiheitsfeindlich ge-<lb/> wordnen Zentrum abgebrochen habe und dieses jetzt als Feind behandle, und daß<lb/> aus Norddeutschland Freunde in größerer Zahl erschienen seien, sodaß die Partei<lb/> aus eiuer süddeutschen eine deutsche geworden sei.</p><lb/> <p xml:id="ID_605"> Den Sozialdemokraten muß mau die unbeschränkte Öffentlichkeit, in der sie<lb/> zu tagen pflegen, um so höher anrechnen, als es nicht eben Schmeicheleien sind,<lb/> die sie einander zu sagen haben. Eben dieses frisch von der Leber weg reden<lb/> scheint die Verhandlungen auch den erbittertsten Gegnern der Sozialdemokratie<lb/> interessant zu macheu, wenigstens bringen deren Organe ziemlich ausführliche Be¬<lb/> richte. Das wäre ja nun schon ein Erfolg, der die „Genossen" einigermaßen für<lb/> den Londoner Mißerfolg entschädigt, denn daß sich der Sozialismus auf dem letzten<lb/> internationalen Kongreß mit dem Gegenteil von Ruhm bedeckt hat, leugnen jetzt<lb/> mich die Sozialdemokraten selbst nicht mehr. In der Neuen Zeit schreibt ein<lb/> „Genosse," der Kongreß in seiner bisherigen Form habe sich überlebt; er müsse<lb/> aufhören, eine bloße Demonstration zu sein, und zur Aktion übergehen. (Zu was<lb/> für einer Aktion, wird vorläufig nicht verraten.) Das könne er aber uicht in der<lb/> alten Form; die Zahl der zu beratenden Gegenstände müsse auf zwei oder drei,<lb/> und auch die Zahl der Mitglieder müsse beschränkt werden. Das ist recht schlau<lb/> ersonnen, nur erinnert es einigermaßen an die Religionsgespräche des sechzehnten<lb/> Jahrhunderts. Auch dort hoffte man leichter zum Ziele zu kommen, wenn man<lb/> die Zahl der Fragen und die Zahl der Mitglieder beschränkte. Und in der That<lb/> wurden die wenigen vernünftigen Vertreter der beiden Konfessionen, die zuletzt<lb/> noch übrig blieben, gewöhnlich handelseins; nur mußten sie, wenn sie einander die<lb/> Hände gedrückt hatten und sich dann umsahen, leider bemerken, daß niemand mehr<lb/> hinter ihnen stand. So wird auch den „Genossen" die bittere Erfahrung nicht<lb/> erspart bleiben, daß das Sprüchlein von den Proletariern aller Länder eine Illusion<lb/> gewesen ist. Mögen sich einzelne Führer verständigen, die Arbeitermassen der ver-<lb/> schiednen Länder sind nicht zusammenzubringen. Ihnen allen sitzt das Hemd<lb/> näher als der Rock. Die englischen Arbeiter sind ans das nuräs in (xsrwa.n^ so<lb/> wütend wie die Unternehmer und wünschen Einwandermigsverbote, die französischen,<lb/> belgischen, schweizerischen und italienischen Arbeiter fahren bei Grenzüberschreitungen<lb/> fort, einander zu „verhauen," und den dentschen Arbeitern wird zuletzt nichts übrig<lb/> bleiben, als statt der versagenden ausländischen Hilfe Bundesgenossen im Vater¬<lb/> lande zu suchen. Wenn sie sich dieser Erkenntnis nicht mehr werden verschließen<lb/> können, dann wird die Zeit der Nmuuann und Göhre gekommen sein.</p><lb/> <p xml:id="ID_606" next="#ID_607"> Und diesen Nationalsozialen stehen unsre Sozialdemokraten überhaupt gar<lb/> nicht mehr so fern. Der große Kladderadatsch, das revolutionäre Proletariat und<lb/> die Vergesellschaftung aller Produktionsmittel sind bloß noch Ornamente, keine Gegen¬<lb/> stände ernsthafter Diskussion mehr. Man richtet sich mit der verflixten bürgerlichen<lb/> Gesellschaft ein, in der man nun eiumnl lebt, und wirft sich mit löblichem Eifer<lb/> auf Arbeiterschutz und ähnliche nützliche Dinge, bei denen man nicht umhin kann</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0204]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
Parteien, die nichts wollen, als das Bestehende konserviren und womöglich
vergangne, lebensunfähige Zustände wiederherstelle«, solche Parteien haben natürlich
keine Zukunft. Für Personen fängt es erst zehn Jahre vorm Tode an, als Lob
zu gelten, daß sie sich gut konservirt haben. Nach vorwärts, uicht unes rückwärts
schaut die deutsche Volkspartei, und die hat nun den Mut gefunden, in Ulm
öffentlich zu tagen. Zahlreicher ist sie ja vielleicht auch nicht als die Antisemiten¬
partei, aber sie hegt wenigstens Zukunftsgedanken. Als zwei besonders wichtige
Ergebnisse des Ulmer Parteitages hebt die Frankfurter Zeitung hervor, daß die
Partei ihre frühern freundschaftlichen Beziehungen zu dem freiheitsfeindlich ge-
wordnen Zentrum abgebrochen habe und dieses jetzt als Feind behandle, und daß
aus Norddeutschland Freunde in größerer Zahl erschienen seien, sodaß die Partei
aus eiuer süddeutschen eine deutsche geworden sei.
Den Sozialdemokraten muß mau die unbeschränkte Öffentlichkeit, in der sie
zu tagen pflegen, um so höher anrechnen, als es nicht eben Schmeicheleien sind,
die sie einander zu sagen haben. Eben dieses frisch von der Leber weg reden
scheint die Verhandlungen auch den erbittertsten Gegnern der Sozialdemokratie
interessant zu macheu, wenigstens bringen deren Organe ziemlich ausführliche Be¬
richte. Das wäre ja nun schon ein Erfolg, der die „Genossen" einigermaßen für
den Londoner Mißerfolg entschädigt, denn daß sich der Sozialismus auf dem letzten
internationalen Kongreß mit dem Gegenteil von Ruhm bedeckt hat, leugnen jetzt
mich die Sozialdemokraten selbst nicht mehr. In der Neuen Zeit schreibt ein
„Genosse," der Kongreß in seiner bisherigen Form habe sich überlebt; er müsse
aufhören, eine bloße Demonstration zu sein, und zur Aktion übergehen. (Zu was
für einer Aktion, wird vorläufig nicht verraten.) Das könne er aber uicht in der
alten Form; die Zahl der zu beratenden Gegenstände müsse auf zwei oder drei,
und auch die Zahl der Mitglieder müsse beschränkt werden. Das ist recht schlau
ersonnen, nur erinnert es einigermaßen an die Religionsgespräche des sechzehnten
Jahrhunderts. Auch dort hoffte man leichter zum Ziele zu kommen, wenn man
die Zahl der Fragen und die Zahl der Mitglieder beschränkte. Und in der That
wurden die wenigen vernünftigen Vertreter der beiden Konfessionen, die zuletzt
noch übrig blieben, gewöhnlich handelseins; nur mußten sie, wenn sie einander die
Hände gedrückt hatten und sich dann umsahen, leider bemerken, daß niemand mehr
hinter ihnen stand. So wird auch den „Genossen" die bittere Erfahrung nicht
erspart bleiben, daß das Sprüchlein von den Proletariern aller Länder eine Illusion
gewesen ist. Mögen sich einzelne Führer verständigen, die Arbeitermassen der ver-
schiednen Länder sind nicht zusammenzubringen. Ihnen allen sitzt das Hemd
näher als der Rock. Die englischen Arbeiter sind ans das nuräs in (xsrwa.n^ so
wütend wie die Unternehmer und wünschen Einwandermigsverbote, die französischen,
belgischen, schweizerischen und italienischen Arbeiter fahren bei Grenzüberschreitungen
fort, einander zu „verhauen," und den dentschen Arbeitern wird zuletzt nichts übrig
bleiben, als statt der versagenden ausländischen Hilfe Bundesgenossen im Vater¬
lande zu suchen. Wenn sie sich dieser Erkenntnis nicht mehr werden verschließen
können, dann wird die Zeit der Nmuuann und Göhre gekommen sein.
Und diesen Nationalsozialen stehen unsre Sozialdemokraten überhaupt gar
nicht mehr so fern. Der große Kladderadatsch, das revolutionäre Proletariat und
die Vergesellschaftung aller Produktionsmittel sind bloß noch Ornamente, keine Gegen¬
stände ernsthafter Diskussion mehr. Man richtet sich mit der verflixten bürgerlichen
Gesellschaft ein, in der man nun eiumnl lebt, und wirft sich mit löblichem Eifer
auf Arbeiterschutz und ähnliche nützliche Dinge, bei denen man nicht umhin kann
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