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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.

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Die preußischen Richter und Gerichtsassessoren

Hauses, den er wenige Stunden vorher als Referendar auf dem Gerichte hatte
seines Amtes walten fehen!

Im allgemeinen sind das nicht die Kreise, wo die Eindrücke und An¬
schauungen gewonnen werden, die zum Richteramte geschickt machen. Der
Richter soll über Hoch und Niedrig gleichmäßig urteilen; er darf deshalb selbst
nicht aus der Tiefe stammen, wo es nur einen beschränkten Umblick giebt,
sondern von der Höhe, die ihm einen Überblick über die Verhältnisse und Be¬
dürfnisse aller Kreise gewährt. Fort müssen ferner aus einem Staatsamte,
dem jeder Bürger gezwungen ist sich zu unterwerfen, alle die, die nach ihrer
eingebornen Grundanschauung mit ihrem sittlichen und ästhetischen Em¬
pfinden nicht auf dem Boden der Volksseele stehen. Darüber kann kein
Streit sein!

Wieder aber ist es die Art der von der Justizverwaltung zur Heilung
des Schadens vorgenommenen Operation, wodurch sie ihre Absichten ver¬
dächtigt und ihre Position geschwächt hat. Wenn man -- so hat sich offenbar
die Mehrheit der Volksvertretung gesagt -- wirklich nichts weiter will als die
Beseitigung der bezeichneten Schäden, so ist es unerklärlich, weshalb man die
Auswahl bis nach der Richterprüfung und bis zum achtundzwanzigsten oder
dreißigsten Lebensjahre hinausschieben will. Wenn sich der Regiments¬
kommandeur seine Offiziere ans den Schülern der Gymnasien und Realschulen
aussuchen kann, ohne daß man Klagen über allzu häufige Mißgriffe hört, so
muß sich der Oberlandesgerichtspräsident seine Leute noch viel leichter aus¬
wählen können unter solchen, die bereits die Reifeprüfung der Schule, die
Universitätsjahre und das Referendarexamen hinter sich haben. Der Einwand,
daß es auf diesen Stufen an genügenden Anhaltepunkten für die Beurteilung
fehle, erschien der Volksvertretung völlig hinfällig.

Ebenso hinfällig und auffällig erschien ihr mit Recht der weitere Einwand,
daß die Rechtsanwaltschaft ein Gewerbe sei, zu dem reichsgesetzlich die Nichter-
befähigung gehöre, daß man also ohne Eingriff in das Reichsrecht niemanden
vor Erlangung der Richterbefähigung ausschließen und ihm dadurch das Ge¬
werbe unzugänglich machen dürfe. Wäre das richtig, so würden die Ober-
landesgerichtsprüsidenten niemandem, dem die bürgerlichen Ehrenrechte noch
nicht aberkannt sind, das Referendariat versagen können. Und wenn zur Rechts¬
anwaltschaft Richterbefähigung erforderlich sein soll, so soll sie es doch Wohl
nach jeder Seite sein, nicht nur nach der wissenschaftlichen, sondern auch in
der Erziehung. Wollte man nur die gut erzognen Leute zu Richtern und die
schlecht erzogen zu Anwälten machen, so würde man den Geist der Reichs-
gesetzgebung viel eher verletzen, als durch eine Sichtung vor dem Richter¬
examen. Nur soweit, als es sich um besondre persönliche und Charakter¬
eigenschaften handelt, die der Staatsbeamte deshalb haben muß, weil jeder
Staatsbürger gezwungen ist, sich an ihn zu wenden, und ihm nicht auszuweichen


Die preußischen Richter und Gerichtsassessoren

Hauses, den er wenige Stunden vorher als Referendar auf dem Gerichte hatte
seines Amtes walten fehen!

Im allgemeinen sind das nicht die Kreise, wo die Eindrücke und An¬
schauungen gewonnen werden, die zum Richteramte geschickt machen. Der
Richter soll über Hoch und Niedrig gleichmäßig urteilen; er darf deshalb selbst
nicht aus der Tiefe stammen, wo es nur einen beschränkten Umblick giebt,
sondern von der Höhe, die ihm einen Überblick über die Verhältnisse und Be¬
dürfnisse aller Kreise gewährt. Fort müssen ferner aus einem Staatsamte,
dem jeder Bürger gezwungen ist sich zu unterwerfen, alle die, die nach ihrer
eingebornen Grundanschauung mit ihrem sittlichen und ästhetischen Em¬
pfinden nicht auf dem Boden der Volksseele stehen. Darüber kann kein
Streit sein!

Wieder aber ist es die Art der von der Justizverwaltung zur Heilung
des Schadens vorgenommenen Operation, wodurch sie ihre Absichten ver¬
dächtigt und ihre Position geschwächt hat. Wenn man — so hat sich offenbar
die Mehrheit der Volksvertretung gesagt — wirklich nichts weiter will als die
Beseitigung der bezeichneten Schäden, so ist es unerklärlich, weshalb man die
Auswahl bis nach der Richterprüfung und bis zum achtundzwanzigsten oder
dreißigsten Lebensjahre hinausschieben will. Wenn sich der Regiments¬
kommandeur seine Offiziere ans den Schülern der Gymnasien und Realschulen
aussuchen kann, ohne daß man Klagen über allzu häufige Mißgriffe hört, so
muß sich der Oberlandesgerichtspräsident seine Leute noch viel leichter aus¬
wählen können unter solchen, die bereits die Reifeprüfung der Schule, die
Universitätsjahre und das Referendarexamen hinter sich haben. Der Einwand,
daß es auf diesen Stufen an genügenden Anhaltepunkten für die Beurteilung
fehle, erschien der Volksvertretung völlig hinfällig.

Ebenso hinfällig und auffällig erschien ihr mit Recht der weitere Einwand,
daß die Rechtsanwaltschaft ein Gewerbe sei, zu dem reichsgesetzlich die Nichter-
befähigung gehöre, daß man also ohne Eingriff in das Reichsrecht niemanden
vor Erlangung der Richterbefähigung ausschließen und ihm dadurch das Ge¬
werbe unzugänglich machen dürfe. Wäre das richtig, so würden die Ober-
landesgerichtsprüsidenten niemandem, dem die bürgerlichen Ehrenrechte noch
nicht aberkannt sind, das Referendariat versagen können. Und wenn zur Rechts¬
anwaltschaft Richterbefähigung erforderlich sein soll, so soll sie es doch Wohl
nach jeder Seite sein, nicht nur nach der wissenschaftlichen, sondern auch in
der Erziehung. Wollte man nur die gut erzognen Leute zu Richtern und die
schlecht erzogen zu Anwälten machen, so würde man den Geist der Reichs-
gesetzgebung viel eher verletzen, als durch eine Sichtung vor dem Richter¬
examen. Nur soweit, als es sich um besondre persönliche und Charakter¬
eigenschaften handelt, die der Staatsbeamte deshalb haben muß, weil jeder
Staatsbürger gezwungen ist, sich an ihn zu wenden, und ihm nicht auszuweichen


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[0189] Die preußischen Richter und Gerichtsassessoren Hauses, den er wenige Stunden vorher als Referendar auf dem Gerichte hatte seines Amtes walten fehen! Im allgemeinen sind das nicht die Kreise, wo die Eindrücke und An¬ schauungen gewonnen werden, die zum Richteramte geschickt machen. Der Richter soll über Hoch und Niedrig gleichmäßig urteilen; er darf deshalb selbst nicht aus der Tiefe stammen, wo es nur einen beschränkten Umblick giebt, sondern von der Höhe, die ihm einen Überblick über die Verhältnisse und Be¬ dürfnisse aller Kreise gewährt. Fort müssen ferner aus einem Staatsamte, dem jeder Bürger gezwungen ist sich zu unterwerfen, alle die, die nach ihrer eingebornen Grundanschauung mit ihrem sittlichen und ästhetischen Em¬ pfinden nicht auf dem Boden der Volksseele stehen. Darüber kann kein Streit sein! Wieder aber ist es die Art der von der Justizverwaltung zur Heilung des Schadens vorgenommenen Operation, wodurch sie ihre Absichten ver¬ dächtigt und ihre Position geschwächt hat. Wenn man — so hat sich offenbar die Mehrheit der Volksvertretung gesagt — wirklich nichts weiter will als die Beseitigung der bezeichneten Schäden, so ist es unerklärlich, weshalb man die Auswahl bis nach der Richterprüfung und bis zum achtundzwanzigsten oder dreißigsten Lebensjahre hinausschieben will. Wenn sich der Regiments¬ kommandeur seine Offiziere ans den Schülern der Gymnasien und Realschulen aussuchen kann, ohne daß man Klagen über allzu häufige Mißgriffe hört, so muß sich der Oberlandesgerichtspräsident seine Leute noch viel leichter aus¬ wählen können unter solchen, die bereits die Reifeprüfung der Schule, die Universitätsjahre und das Referendarexamen hinter sich haben. Der Einwand, daß es auf diesen Stufen an genügenden Anhaltepunkten für die Beurteilung fehle, erschien der Volksvertretung völlig hinfällig. Ebenso hinfällig und auffällig erschien ihr mit Recht der weitere Einwand, daß die Rechtsanwaltschaft ein Gewerbe sei, zu dem reichsgesetzlich die Nichter- befähigung gehöre, daß man also ohne Eingriff in das Reichsrecht niemanden vor Erlangung der Richterbefähigung ausschließen und ihm dadurch das Ge¬ werbe unzugänglich machen dürfe. Wäre das richtig, so würden die Ober- landesgerichtsprüsidenten niemandem, dem die bürgerlichen Ehrenrechte noch nicht aberkannt sind, das Referendariat versagen können. Und wenn zur Rechts¬ anwaltschaft Richterbefähigung erforderlich sein soll, so soll sie es doch Wohl nach jeder Seite sein, nicht nur nach der wissenschaftlichen, sondern auch in der Erziehung. Wollte man nur die gut erzognen Leute zu Richtern und die schlecht erzogen zu Anwälten machen, so würde man den Geist der Reichs- gesetzgebung viel eher verletzen, als durch eine Sichtung vor dem Richter¬ examen. Nur soweit, als es sich um besondre persönliche und Charakter¬ eigenschaften handelt, die der Staatsbeamte deshalb haben muß, weil jeder Staatsbürger gezwungen ist, sich an ihn zu wenden, und ihm nicht auszuweichen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_223583/189>, abgerufen am 08.01.2025.