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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr.

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Deutschlands Lage

Es ist also für absehbare Zeit die Lage für Deutschland gegeben, denn
Frankreich wie Rußland kann gar nichts besseres thun, als den Zweibund be¬
haupten, vor allem Rußland, das damit zwei Eisen im Feuer hat. Mit Nu߬
land muß daher Deutschland ein möglichst gutes Einvernehmen aufrechterhalten,'
nicht nur um Frankreich zu fesseln, sondern auch um in dem Gegensatze zu
England eine festere Stellung nehmen zu können. Dieser Gegensatz tritt immer
wieder hervor, und unsre Negierung hat darnach erst jüngst wieder energisch
und glücklich gehandelt, indem sie den gestürzten Sultan Said Khalid von
Sansibar unter ihren Schutz stellte und, wie es scheint, damit den deutsche"
Einfluß auf die Araber und Inder Ostafrikas gegenüber der wieder einmal
rücksichtslos brutalen Politik Englands befestigte. Freilich, dieser Zwang,
Nußland bei guter Stimmung zu erhalten, ist auch el" Ergebnis unsrer
Schwäche, nämlich zur See, also für die Weltpolitik, die heute den Ausschlag
giebt. Solange unsre Flotte nicht stark genug ist, das Meer zu halten und
überall mit dem Nachdruck aufzutreten, der im Grunde für nötig gehalten
wird, aber jetzt nicht durchführbar ist, so lange können wir überseeische Erfolge
nur mittelbar erreichen, nämlich dadurch, daß wir eine uns günstige Gruppirung
der großen Mächte herbeizuführen suchen oder benutzen, wie es Fürst Bismarck
so meisterhaft verstanden hat, als er die afrikanischen Schutzgebiete erwarb.
Aus eigner Kraft vermögen wir wenig oder nichts, denn unsre herrliche Armee
kommt dafür wenig in Betracht. Das ist sehr demütigend, aber es ist so, und
es wird so bleiben, solange man bei uns nicht aufhört, immer nur auf die
Landverteidigung gegen zwei Fronten zu sinnen, die natürlich nicht vernach¬
lässigt werden darf, und solange man nicht begreift, daß die Verstärkung unsrer
Kriegsflotte eine Lebensfrage ist, an deren Entscheidung ein gutes Teil unsrer
Zukunft hängt. Aber von solcher Einsicht sind unsre Parteien samt und sonders
leider noch sehr weit entfernt, und die große Mehrheit unsers Volkes ist davon
noch ebenso weit entfernt, wie von der Erkenntnis, daß der Staat in erster
Linie Macht ist und nicht eine große Versicherungsgesellschaft. Es ist die
Pflicht der nationalen Presse, immer und immer wieder darauf hinzuweisen
und daran mitzuarbeiten, daß diese Erkenntnis endlich kommt, damit eine große
Wendung unser Volk nicht unvorbereitet trifft, und damit die großen Gedanken,
mit denen sich unser Kaiser ohne Zweifel trägt, im entscheidenden Augenblicke
Verständnis und Unterstützung finden.




Deutschlands Lage

Es ist also für absehbare Zeit die Lage für Deutschland gegeben, denn
Frankreich wie Rußland kann gar nichts besseres thun, als den Zweibund be¬
haupten, vor allem Rußland, das damit zwei Eisen im Feuer hat. Mit Nu߬
land muß daher Deutschland ein möglichst gutes Einvernehmen aufrechterhalten,'
nicht nur um Frankreich zu fesseln, sondern auch um in dem Gegensatze zu
England eine festere Stellung nehmen zu können. Dieser Gegensatz tritt immer
wieder hervor, und unsre Negierung hat darnach erst jüngst wieder energisch
und glücklich gehandelt, indem sie den gestürzten Sultan Said Khalid von
Sansibar unter ihren Schutz stellte und, wie es scheint, damit den deutsche»
Einfluß auf die Araber und Inder Ostafrikas gegenüber der wieder einmal
rücksichtslos brutalen Politik Englands befestigte. Freilich, dieser Zwang,
Nußland bei guter Stimmung zu erhalten, ist auch el» Ergebnis unsrer
Schwäche, nämlich zur See, also für die Weltpolitik, die heute den Ausschlag
giebt. Solange unsre Flotte nicht stark genug ist, das Meer zu halten und
überall mit dem Nachdruck aufzutreten, der im Grunde für nötig gehalten
wird, aber jetzt nicht durchführbar ist, so lange können wir überseeische Erfolge
nur mittelbar erreichen, nämlich dadurch, daß wir eine uns günstige Gruppirung
der großen Mächte herbeizuführen suchen oder benutzen, wie es Fürst Bismarck
so meisterhaft verstanden hat, als er die afrikanischen Schutzgebiete erwarb.
Aus eigner Kraft vermögen wir wenig oder nichts, denn unsre herrliche Armee
kommt dafür wenig in Betracht. Das ist sehr demütigend, aber es ist so, und
es wird so bleiben, solange man bei uns nicht aufhört, immer nur auf die
Landverteidigung gegen zwei Fronten zu sinnen, die natürlich nicht vernach¬
lässigt werden darf, und solange man nicht begreift, daß die Verstärkung unsrer
Kriegsflotte eine Lebensfrage ist, an deren Entscheidung ein gutes Teil unsrer
Zukunft hängt. Aber von solcher Einsicht sind unsre Parteien samt und sonders
leider noch sehr weit entfernt, und die große Mehrheit unsers Volkes ist davon
noch ebenso weit entfernt, wie von der Erkenntnis, daß der Staat in erster
Linie Macht ist und nicht eine große Versicherungsgesellschaft. Es ist die
Pflicht der nationalen Presse, immer und immer wieder darauf hinzuweisen
und daran mitzuarbeiten, daß diese Erkenntnis endlich kommt, damit eine große
Wendung unser Volk nicht unvorbereitet trifft, und damit die großen Gedanken,
mit denen sich unser Kaiser ohne Zweifel trägt, im entscheidenden Augenblicke
Verständnis und Unterstützung finden.




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[0116] Deutschlands Lage Es ist also für absehbare Zeit die Lage für Deutschland gegeben, denn Frankreich wie Rußland kann gar nichts besseres thun, als den Zweibund be¬ haupten, vor allem Rußland, das damit zwei Eisen im Feuer hat. Mit Nu߬ land muß daher Deutschland ein möglichst gutes Einvernehmen aufrechterhalten,' nicht nur um Frankreich zu fesseln, sondern auch um in dem Gegensatze zu England eine festere Stellung nehmen zu können. Dieser Gegensatz tritt immer wieder hervor, und unsre Negierung hat darnach erst jüngst wieder energisch und glücklich gehandelt, indem sie den gestürzten Sultan Said Khalid von Sansibar unter ihren Schutz stellte und, wie es scheint, damit den deutsche» Einfluß auf die Araber und Inder Ostafrikas gegenüber der wieder einmal rücksichtslos brutalen Politik Englands befestigte. Freilich, dieser Zwang, Nußland bei guter Stimmung zu erhalten, ist auch el» Ergebnis unsrer Schwäche, nämlich zur See, also für die Weltpolitik, die heute den Ausschlag giebt. Solange unsre Flotte nicht stark genug ist, das Meer zu halten und überall mit dem Nachdruck aufzutreten, der im Grunde für nötig gehalten wird, aber jetzt nicht durchführbar ist, so lange können wir überseeische Erfolge nur mittelbar erreichen, nämlich dadurch, daß wir eine uns günstige Gruppirung der großen Mächte herbeizuführen suchen oder benutzen, wie es Fürst Bismarck so meisterhaft verstanden hat, als er die afrikanischen Schutzgebiete erwarb. Aus eigner Kraft vermögen wir wenig oder nichts, denn unsre herrliche Armee kommt dafür wenig in Betracht. Das ist sehr demütigend, aber es ist so, und es wird so bleiben, solange man bei uns nicht aufhört, immer nur auf die Landverteidigung gegen zwei Fronten zu sinnen, die natürlich nicht vernach¬ lässigt werden darf, und solange man nicht begreift, daß die Verstärkung unsrer Kriegsflotte eine Lebensfrage ist, an deren Entscheidung ein gutes Teil unsrer Zukunft hängt. Aber von solcher Einsicht sind unsre Parteien samt und sonders leider noch sehr weit entfernt, und die große Mehrheit unsers Volkes ist davon noch ebenso weit entfernt, wie von der Erkenntnis, daß der Staat in erster Linie Macht ist und nicht eine große Versicherungsgesellschaft. Es ist die Pflicht der nationalen Presse, immer und immer wieder darauf hinzuweisen und daran mitzuarbeiten, daß diese Erkenntnis endlich kommt, damit eine große Wendung unser Volk nicht unvorbereitet trifft, und damit die großen Gedanken, mit denen sich unser Kaiser ohne Zweifel trägt, im entscheidenden Augenblicke Verständnis und Unterstützung finden.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_223583/116>, abgerufen am 06.01.2025.