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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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Lvangelisch-sozial

Konservativen entfernen, um so weniger verfallen sie jener falschen Vermengung
innerlich getrennter Sachen. Göhre will nachweisen, daß Stöcker wenigstens
in der ersten Zeit für eine richtige Unterscheidung zwischen beiden eingetreten sei.
Ich glaube, daß sie weder bei ihm noch bei Todt vorhanden gewesen ist. Für
die spätere Zeit beweist Stöckers Wort auf dem Kongreß von 1894, Christus
habe auch eine unmittelbare Gewalt über das wirtschaftliche Leben, daß er
weit davon entfernt war. Bei Stöcker ist das sicher in seinen konservativen
Ansichten begründet. Für diese Partei ist die Verbindung von christlich und
konservativ samt der Lehre vom christlichen Staat altes Inventarstück, und
dadurch werden die politischen Forderungen wie die Monarchie auch christlich.
Die Christlich-sozialen haben diesen Fehler mitgenommen. Naumann hat
ihn ^ und darin sehe ich einen besondern Vorzug von ihm vor Stöcker --
schon einige Zeit überwunden. Auch in der Göhrischen Darstellung ist er
vermieden. Nach ihm soll das Christentum mit dem Programm, der Politik,
der Volkswirtschaft und der parlamentarischen Taktik der neuen Partei nichts
zu thun haben, sondern nur neben der Wirkung auf die einzelnen Mitglieder
ihrem sozialpolitischen Handeln das letzte Ideal geben. Die liberale Theologie
hat auf diesem Gebiete eher als die orthodoxe die scharfe Scheidung gefunden;
wir erinnern nur an die Schriften des Protestantenvereinlers P. Kambli in
der Schweiz.

Göhre fordert zum Schluß für den Geistlichen ein Zurücktreten von aktiver
Beteiligung am Parteileben -- in dieser Allgemeinheit entschieden eine harte
Forderung. Hier hat Naumann, der grundsätzlich sonst mit Göhre überein¬
stimmt, Recht, daß dies von den Umständen abhänge und dem Amtsgewissen
des Einzelnen überlassen bleiben müsse. Übrigens ist Todt nicht der erste, der
die sozialpolitische Thätigkeit der Geistlichen ausführlicher erörtert. Die Frage
ist dieselbe, wie die alte nach der politischen Thätigkeit der Geistlichen über¬
haupt. Sie ist in Deutschland so alt wie die Anfänge des konstitutionellen
Staats. Im Anfange der sechziger Jahre hat sie z. B. zu längern Auseinander¬
setzungen zwischen lutherischen Theologen geführt. Ich erinnere nur an das
Pamphlet des Mecklenburger Theologen Kliefoth gegen Schenkel und Hofmann:
"Zwei politische Theologen." Schon Hofmann giebt in seinen vermischten
Aufsätzen sehr hübsche Ausführungen über diese Frage.


Lhr. Jas per


Lvangelisch-sozial

Konservativen entfernen, um so weniger verfallen sie jener falschen Vermengung
innerlich getrennter Sachen. Göhre will nachweisen, daß Stöcker wenigstens
in der ersten Zeit für eine richtige Unterscheidung zwischen beiden eingetreten sei.
Ich glaube, daß sie weder bei ihm noch bei Todt vorhanden gewesen ist. Für
die spätere Zeit beweist Stöckers Wort auf dem Kongreß von 1894, Christus
habe auch eine unmittelbare Gewalt über das wirtschaftliche Leben, daß er
weit davon entfernt war. Bei Stöcker ist das sicher in seinen konservativen
Ansichten begründet. Für diese Partei ist die Verbindung von christlich und
konservativ samt der Lehre vom christlichen Staat altes Inventarstück, und
dadurch werden die politischen Forderungen wie die Monarchie auch christlich.
Die Christlich-sozialen haben diesen Fehler mitgenommen. Naumann hat
ihn ^ und darin sehe ich einen besondern Vorzug von ihm vor Stöcker —
schon einige Zeit überwunden. Auch in der Göhrischen Darstellung ist er
vermieden. Nach ihm soll das Christentum mit dem Programm, der Politik,
der Volkswirtschaft und der parlamentarischen Taktik der neuen Partei nichts
zu thun haben, sondern nur neben der Wirkung auf die einzelnen Mitglieder
ihrem sozialpolitischen Handeln das letzte Ideal geben. Die liberale Theologie
hat auf diesem Gebiete eher als die orthodoxe die scharfe Scheidung gefunden;
wir erinnern nur an die Schriften des Protestantenvereinlers P. Kambli in
der Schweiz.

Göhre fordert zum Schluß für den Geistlichen ein Zurücktreten von aktiver
Beteiligung am Parteileben — in dieser Allgemeinheit entschieden eine harte
Forderung. Hier hat Naumann, der grundsätzlich sonst mit Göhre überein¬
stimmt, Recht, daß dies von den Umständen abhänge und dem Amtsgewissen
des Einzelnen überlassen bleiben müsse. Übrigens ist Todt nicht der erste, der
die sozialpolitische Thätigkeit der Geistlichen ausführlicher erörtert. Die Frage
ist dieselbe, wie die alte nach der politischen Thätigkeit der Geistlichen über¬
haupt. Sie ist in Deutschland so alt wie die Anfänge des konstitutionellen
Staats. Im Anfange der sechziger Jahre hat sie z. B. zu längern Auseinander¬
setzungen zwischen lutherischen Theologen geführt. Ich erinnere nur an das
Pamphlet des Mecklenburger Theologen Kliefoth gegen Schenkel und Hofmann:
„Zwei politische Theologen." Schon Hofmann giebt in seinen vermischten
Aufsätzen sehr hübsche Ausführungen über diese Frage.


Lhr. Jas per


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[0090] Lvangelisch-sozial Konservativen entfernen, um so weniger verfallen sie jener falschen Vermengung innerlich getrennter Sachen. Göhre will nachweisen, daß Stöcker wenigstens in der ersten Zeit für eine richtige Unterscheidung zwischen beiden eingetreten sei. Ich glaube, daß sie weder bei ihm noch bei Todt vorhanden gewesen ist. Für die spätere Zeit beweist Stöckers Wort auf dem Kongreß von 1894, Christus habe auch eine unmittelbare Gewalt über das wirtschaftliche Leben, daß er weit davon entfernt war. Bei Stöcker ist das sicher in seinen konservativen Ansichten begründet. Für diese Partei ist die Verbindung von christlich und konservativ samt der Lehre vom christlichen Staat altes Inventarstück, und dadurch werden die politischen Forderungen wie die Monarchie auch christlich. Die Christlich-sozialen haben diesen Fehler mitgenommen. Naumann hat ihn ^ und darin sehe ich einen besondern Vorzug von ihm vor Stöcker — schon einige Zeit überwunden. Auch in der Göhrischen Darstellung ist er vermieden. Nach ihm soll das Christentum mit dem Programm, der Politik, der Volkswirtschaft und der parlamentarischen Taktik der neuen Partei nichts zu thun haben, sondern nur neben der Wirkung auf die einzelnen Mitglieder ihrem sozialpolitischen Handeln das letzte Ideal geben. Die liberale Theologie hat auf diesem Gebiete eher als die orthodoxe die scharfe Scheidung gefunden; wir erinnern nur an die Schriften des Protestantenvereinlers P. Kambli in der Schweiz. Göhre fordert zum Schluß für den Geistlichen ein Zurücktreten von aktiver Beteiligung am Parteileben — in dieser Allgemeinheit entschieden eine harte Forderung. Hier hat Naumann, der grundsätzlich sonst mit Göhre überein¬ stimmt, Recht, daß dies von den Umständen abhänge und dem Amtsgewissen des Einzelnen überlassen bleiben müsse. Übrigens ist Todt nicht der erste, der die sozialpolitische Thätigkeit der Geistlichen ausführlicher erörtert. Die Frage ist dieselbe, wie die alte nach der politischen Thätigkeit der Geistlichen über¬ haupt. Sie ist in Deutschland so alt wie die Anfänge des konstitutionellen Staats. Im Anfange der sechziger Jahre hat sie z. B. zu längern Auseinander¬ setzungen zwischen lutherischen Theologen geführt. Ich erinnere nur an das Pamphlet des Mecklenburger Theologen Kliefoth gegen Schenkel und Hofmann: „Zwei politische Theologen." Schon Hofmann giebt in seinen vermischten Aufsätzen sehr hübsche Ausführungen über diese Frage. Lhr. Jas per

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/90>, abgerufen am 01.09.2024.