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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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Albert Dult

nicht der geistigen Originalität, aber der dichterischen Ursprünglichkeit und der
überzeugenden Wärme. Da sie nicht gewinnen, sondern verblüffen, nicht den
Reichtum des Lebens offenbaren, sondern einer den Dichter gerade beherr¬
schenden Reflexion den Schein des Lebens leihen will, so verraten selbst die
unzweifelhaft poetischen Einzelheiten solcher Schöpfungen, daß in ihnen kein
Ganzes aus einem lebensvollen Keim entwickelt ward. Ein entscheidendes
Beispiel dafür ist Dnlks Hauptwerk "Jesus der Christ," von dem der
Herausgeber freilich meint, daß in ihm ein eigentümlicher und bedauerlicher
Widerspruch zwischen Gehalt und Gestalt wahrnehmbar sei, daß der Dichter
den feurigen Wein der modernen Bibelkritik in die dumpfigen Schläuche
des mittelalterlichen Mhsterienschauspiels fülle, eine längst überwundne Form¬
losigkeit gegen die endlich errungne Form eintausche und einer rückläufigen
Bewegung in ästhetischen Dingen folge. "Einer längst toten Volksbühne zu
Liebe läßt der Dichter im "Jesus" überall die dramatische Kraft in opern¬
artige Kollektivwirkungen, sowie beschreibende und malende Abschweifungen
zerbröckeln und zerfließen, und nur in einzelnen Momenten empfangen wir
einen wirklich dramatischen Eindruck." So wahr das alles ist, so rührt es
zuletzt doch nur davon her, daß dieses Buchdrama aus einem unmöglichen, von
müßen her gegebnen Vorsatz entsprungen ist. Freilich war es Dult im höchsten
Grade Ernst damit, die Ergebnisse der modernen Bibelkritik künstlerisch vor¬
zuführen, aber der Vorsatz selbst wäre in jeder Form, in der streng drama¬
tischen der neuern Bühne wie in der halb epischen der Mysterienbühne, ein
undichterischer, uuküustlerischer geblieben. Man mißverstehe das nicht. Eben¬
sowohl wie ein Dichter Jesus durchaus als den Gottessohn, den Erlöser
schauen, fühle" und verkörpern kann, ebensowohl mag ein andrer lediglich den
Menschensohn, den reinen und heiligen Lehrer, den Blutzeugen einer neuen
Lehre, der die Zukunft der Welt gehört, in ihm erblicken und ihm Gestalt
geben. Beidemal ist eine rein dichterische Schöpfung möglich, die Ver¬
menschlichung des Heilandes schlösse die tiefere und ergreifende Wirkung nicht
aus, obwohl sie mit der gewaltigsten und geheiligtsten Überlieferung zu kämpfen
Hütte. Aber die Schlichtheit einer lebendigen, vollen, wenn auch noch so ratio¬
nalistischen Anschauung und ihrer Gestaltung war Dulks von Religionsphilo-
sophie und Dogmeukritik, von revolutionärem Pathos und agitatorischer Re¬
flexion erfüllten Geiste völlig fremd. Ihn reizte die herausfordernde Erklä¬
rung der biblischen Wunder durch eine Reihe von physiologischen, optischen,
physikalischen und pathologischen Vorgängen, ihm gefiel das Trugspiel, durch
das Joseph von Arimathia der Vater von Jesus wird, und dnrch das die
Essäer den Tod Jesu am Kreuze hindern und deu scheintoten ins Leben
zurückrufen, er setzte sein Pathos dafür ein, Judas Ischarioth als den erleuch¬
teten revolutionären Geist darzustellen, der Christus zum jüdischen Messias,
zum römerbesiegenden Volkskönig erheben und zuletzt zwingen will, dafür die


Albert Dult

nicht der geistigen Originalität, aber der dichterischen Ursprünglichkeit und der
überzeugenden Wärme. Da sie nicht gewinnen, sondern verblüffen, nicht den
Reichtum des Lebens offenbaren, sondern einer den Dichter gerade beherr¬
schenden Reflexion den Schein des Lebens leihen will, so verraten selbst die
unzweifelhaft poetischen Einzelheiten solcher Schöpfungen, daß in ihnen kein
Ganzes aus einem lebensvollen Keim entwickelt ward. Ein entscheidendes
Beispiel dafür ist Dnlks Hauptwerk „Jesus der Christ," von dem der
Herausgeber freilich meint, daß in ihm ein eigentümlicher und bedauerlicher
Widerspruch zwischen Gehalt und Gestalt wahrnehmbar sei, daß der Dichter
den feurigen Wein der modernen Bibelkritik in die dumpfigen Schläuche
des mittelalterlichen Mhsterienschauspiels fülle, eine längst überwundne Form¬
losigkeit gegen die endlich errungne Form eintausche und einer rückläufigen
Bewegung in ästhetischen Dingen folge. „Einer längst toten Volksbühne zu
Liebe läßt der Dichter im »Jesus« überall die dramatische Kraft in opern¬
artige Kollektivwirkungen, sowie beschreibende und malende Abschweifungen
zerbröckeln und zerfließen, und nur in einzelnen Momenten empfangen wir
einen wirklich dramatischen Eindruck." So wahr das alles ist, so rührt es
zuletzt doch nur davon her, daß dieses Buchdrama aus einem unmöglichen, von
müßen her gegebnen Vorsatz entsprungen ist. Freilich war es Dult im höchsten
Grade Ernst damit, die Ergebnisse der modernen Bibelkritik künstlerisch vor¬
zuführen, aber der Vorsatz selbst wäre in jeder Form, in der streng drama¬
tischen der neuern Bühne wie in der halb epischen der Mysterienbühne, ein
undichterischer, uuküustlerischer geblieben. Man mißverstehe das nicht. Eben¬
sowohl wie ein Dichter Jesus durchaus als den Gottessohn, den Erlöser
schauen, fühle» und verkörpern kann, ebensowohl mag ein andrer lediglich den
Menschensohn, den reinen und heiligen Lehrer, den Blutzeugen einer neuen
Lehre, der die Zukunft der Welt gehört, in ihm erblicken und ihm Gestalt
geben. Beidemal ist eine rein dichterische Schöpfung möglich, die Ver¬
menschlichung des Heilandes schlösse die tiefere und ergreifende Wirkung nicht
aus, obwohl sie mit der gewaltigsten und geheiligtsten Überlieferung zu kämpfen
Hütte. Aber die Schlichtheit einer lebendigen, vollen, wenn auch noch so ratio¬
nalistischen Anschauung und ihrer Gestaltung war Dulks von Religionsphilo-
sophie und Dogmeukritik, von revolutionärem Pathos und agitatorischer Re¬
flexion erfüllten Geiste völlig fremd. Ihn reizte die herausfordernde Erklä¬
rung der biblischen Wunder durch eine Reihe von physiologischen, optischen,
physikalischen und pathologischen Vorgängen, ihm gefiel das Trugspiel, durch
das Joseph von Arimathia der Vater von Jesus wird, und dnrch das die
Essäer den Tod Jesu am Kreuze hindern und deu scheintoten ins Leben
zurückrufen, er setzte sein Pathos dafür ein, Judas Ischarioth als den erleuch¬
teten revolutionären Geist darzustellen, der Christus zum jüdischen Messias,
zum römerbesiegenden Volkskönig erheben und zuletzt zwingen will, dafür die


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[0628] Albert Dult nicht der geistigen Originalität, aber der dichterischen Ursprünglichkeit und der überzeugenden Wärme. Da sie nicht gewinnen, sondern verblüffen, nicht den Reichtum des Lebens offenbaren, sondern einer den Dichter gerade beherr¬ schenden Reflexion den Schein des Lebens leihen will, so verraten selbst die unzweifelhaft poetischen Einzelheiten solcher Schöpfungen, daß in ihnen kein Ganzes aus einem lebensvollen Keim entwickelt ward. Ein entscheidendes Beispiel dafür ist Dnlks Hauptwerk „Jesus der Christ," von dem der Herausgeber freilich meint, daß in ihm ein eigentümlicher und bedauerlicher Widerspruch zwischen Gehalt und Gestalt wahrnehmbar sei, daß der Dichter den feurigen Wein der modernen Bibelkritik in die dumpfigen Schläuche des mittelalterlichen Mhsterienschauspiels fülle, eine längst überwundne Form¬ losigkeit gegen die endlich errungne Form eintausche und einer rückläufigen Bewegung in ästhetischen Dingen folge. „Einer längst toten Volksbühne zu Liebe läßt der Dichter im »Jesus« überall die dramatische Kraft in opern¬ artige Kollektivwirkungen, sowie beschreibende und malende Abschweifungen zerbröckeln und zerfließen, und nur in einzelnen Momenten empfangen wir einen wirklich dramatischen Eindruck." So wahr das alles ist, so rührt es zuletzt doch nur davon her, daß dieses Buchdrama aus einem unmöglichen, von müßen her gegebnen Vorsatz entsprungen ist. Freilich war es Dult im höchsten Grade Ernst damit, die Ergebnisse der modernen Bibelkritik künstlerisch vor¬ zuführen, aber der Vorsatz selbst wäre in jeder Form, in der streng drama¬ tischen der neuern Bühne wie in der halb epischen der Mysterienbühne, ein undichterischer, uuküustlerischer geblieben. Man mißverstehe das nicht. Eben¬ sowohl wie ein Dichter Jesus durchaus als den Gottessohn, den Erlöser schauen, fühle» und verkörpern kann, ebensowohl mag ein andrer lediglich den Menschensohn, den reinen und heiligen Lehrer, den Blutzeugen einer neuen Lehre, der die Zukunft der Welt gehört, in ihm erblicken und ihm Gestalt geben. Beidemal ist eine rein dichterische Schöpfung möglich, die Ver¬ menschlichung des Heilandes schlösse die tiefere und ergreifende Wirkung nicht aus, obwohl sie mit der gewaltigsten und geheiligtsten Überlieferung zu kämpfen Hütte. Aber die Schlichtheit einer lebendigen, vollen, wenn auch noch so ratio¬ nalistischen Anschauung und ihrer Gestaltung war Dulks von Religionsphilo- sophie und Dogmeukritik, von revolutionärem Pathos und agitatorischer Re¬ flexion erfüllten Geiste völlig fremd. Ihn reizte die herausfordernde Erklä¬ rung der biblischen Wunder durch eine Reihe von physiologischen, optischen, physikalischen und pathologischen Vorgängen, ihm gefiel das Trugspiel, durch das Joseph von Arimathia der Vater von Jesus wird, und dnrch das die Essäer den Tod Jesu am Kreuze hindern und deu scheintoten ins Leben zurückrufen, er setzte sein Pathos dafür ein, Judas Ischarioth als den erleuch¬ teten revolutionären Geist darzustellen, der Christus zum jüdischen Messias, zum römerbesiegenden Volkskönig erheben und zuletzt zwingen will, dafür die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/628>, abgerufen am 30.07.2024.