Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.Albert Dult Überwindung des subjektiven Wähnens und Wünschcns ist in den Helden und Auf Albert Dulks Werke trifft dieser Satz vollkommen zu, gegen seine Albert Dult Überwindung des subjektiven Wähnens und Wünschcns ist in den Helden und Auf Albert Dulks Werke trifft dieser Satz vollkommen zu, gegen seine <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0622" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/223564"/> <fw type="header" place="top"> Albert Dult</fw><lb/> <p xml:id="ID_1732" prev="#ID_1731"> Überwindung des subjektiven Wähnens und Wünschcns ist in den Helden und<lb/> Handlungen sämtlicher Drinnen Dulks nichts zu spüren; wie der Dichter eine<lb/> selbstherrliche Individualität war, so sind seine dramatischen Gebilde meist<lb/> Verherrlichungen gewaltiger, über das gemeine Maß der Menschheit empor¬<lb/> ragender Gestalten. Dulks Stellung als Sozialdemokrat kommt für die Be¬<lb/> urteilung seiner Dichtung gar nicht in Frage; die Fäden, die sich von diesen<lb/> Dramen zu der jüngsten politischen Heilslehre hinüberspinnen, sind so dünn<lb/> und vereinzelt, daß sie besser unberührt bleiben. Höchstens könnte man sagen,<lb/> daß Dult, wie er immer in der äußersten, gerade modischen Opposition gestanden<lb/> hat, sich darin auch während seiner letzten Jahrzehnte treu geblieben sei. Als<lb/> Zeugnisse eines Talents — doch eines jener problematischen Talente, an denen<lb/> keine Litteratur so reich ist wie die deutsche —, als Zeugnisse weit nachwirkender,<lb/> das Leben vergangner und unsrer Tage durchsetzender litterarischer und<lb/> tiefer liegender Irrtümer, als Zeugnisse der Gühruugszeit der vierziger<lb/> Jahre unsers Jahrhunderts, von der Dult stärker und dauernder beeinflußt<lb/> worden ist als die Mehrzahl seiner Zeitgenossen, verdienen die Dramen ganz<lb/> sicher eine eingehendere kritische Würdigung und eine gewisse ernste Teilnahme<lb/> solcher Litteraturfreunde, denen die Litteratur mehr ist als eine Tohuwabohn<lb/> einander verschlingender Büchermassen. Der Herausgeber, Ernst Ziel, sagt in<lb/> seinem Vorwort: „Die politischen und religiösen Tendenzen, sür welche diese<lb/> Dramen eintreten, sind zum großen Teil Tendenzen der Vergangenheit, die<lb/> Kunstanschauuugen aber, aus denen sie erwachsen, sind leine modernen. Das<lb/> Interesse, das die hier dargebotnen Dichtungen anzurufen vermögen, ist daher<lb/> einzig ein literarhistorisches — ein historisches in der That; denn bei der<lb/> nahezu völligen, wenn auch unverdienten Vergessenheit, welche über sie herein¬<lb/> gebrochen, gehören diese geiht- und phantasievollen Schöpfungen eines durchaus<lb/> eigenartigen Poeten nicht mehr dem Leben — sie gehören nur noch der<lb/> Historie an."</p><lb/> <p xml:id="ID_1733" next="#ID_1734"> Auf Albert Dulks Werke trifft dieser Satz vollkommen zu, gegen seine<lb/> Verallgemeinerung würde man starken Widerspruch erheben müssen. Ob echte<lb/> Dichtungen aus „modernen" Kunstanschanungen erwachsen sind oder nicht,<lb/> wenn sie Leben atmen und Leben wecken, so gehören sie dem Leben an, und<lb/> wenn sie Jahrhunderte alt sind und in allen Litteraturgeschichten Bogen an-<lb/> füllen. Goethes Faust gehört ohne Zweifel der „Historie" an, und die Historie<lb/> macht sich das reichlich zu nutze, aber wer bezweifelt darum seine „aktuelle Bedeu¬<lb/> tung," oder vielmehr, wer ist so unempfänglich und so verbildet, daß ihn der<lb/> glühende Odem unverwelklichen Lebens aus dieser Dichtung nicht berührte oder<lb/> ergriffe? Selbst „Tendenzen der Vergangenheit" können wahrhaft lebensvolle<lb/> Werke nicht zur Eiusargung in der Litteraturgeschichte verurteilen, wie Lessings<lb/> „Nathan" und Klcists „Hermannsschlacht" entscheidend beweisen, und die ganze<lb/> jüngste Vorstellung, daß das Leben immer nur aus den neuesten Abnormitäten</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0622]
Albert Dult
Überwindung des subjektiven Wähnens und Wünschcns ist in den Helden und
Handlungen sämtlicher Drinnen Dulks nichts zu spüren; wie der Dichter eine
selbstherrliche Individualität war, so sind seine dramatischen Gebilde meist
Verherrlichungen gewaltiger, über das gemeine Maß der Menschheit empor¬
ragender Gestalten. Dulks Stellung als Sozialdemokrat kommt für die Be¬
urteilung seiner Dichtung gar nicht in Frage; die Fäden, die sich von diesen
Dramen zu der jüngsten politischen Heilslehre hinüberspinnen, sind so dünn
und vereinzelt, daß sie besser unberührt bleiben. Höchstens könnte man sagen,
daß Dult, wie er immer in der äußersten, gerade modischen Opposition gestanden
hat, sich darin auch während seiner letzten Jahrzehnte treu geblieben sei. Als
Zeugnisse eines Talents — doch eines jener problematischen Talente, an denen
keine Litteratur so reich ist wie die deutsche —, als Zeugnisse weit nachwirkender,
das Leben vergangner und unsrer Tage durchsetzender litterarischer und
tiefer liegender Irrtümer, als Zeugnisse der Gühruugszeit der vierziger
Jahre unsers Jahrhunderts, von der Dult stärker und dauernder beeinflußt
worden ist als die Mehrzahl seiner Zeitgenossen, verdienen die Dramen ganz
sicher eine eingehendere kritische Würdigung und eine gewisse ernste Teilnahme
solcher Litteraturfreunde, denen die Litteratur mehr ist als eine Tohuwabohn
einander verschlingender Büchermassen. Der Herausgeber, Ernst Ziel, sagt in
seinem Vorwort: „Die politischen und religiösen Tendenzen, sür welche diese
Dramen eintreten, sind zum großen Teil Tendenzen der Vergangenheit, die
Kunstanschauuugen aber, aus denen sie erwachsen, sind leine modernen. Das
Interesse, das die hier dargebotnen Dichtungen anzurufen vermögen, ist daher
einzig ein literarhistorisches — ein historisches in der That; denn bei der
nahezu völligen, wenn auch unverdienten Vergessenheit, welche über sie herein¬
gebrochen, gehören diese geiht- und phantasievollen Schöpfungen eines durchaus
eigenartigen Poeten nicht mehr dem Leben — sie gehören nur noch der
Historie an."
Auf Albert Dulks Werke trifft dieser Satz vollkommen zu, gegen seine
Verallgemeinerung würde man starken Widerspruch erheben müssen. Ob echte
Dichtungen aus „modernen" Kunstanschanungen erwachsen sind oder nicht,
wenn sie Leben atmen und Leben wecken, so gehören sie dem Leben an, und
wenn sie Jahrhunderte alt sind und in allen Litteraturgeschichten Bogen an-
füllen. Goethes Faust gehört ohne Zweifel der „Historie" an, und die Historie
macht sich das reichlich zu nutze, aber wer bezweifelt darum seine „aktuelle Bedeu¬
tung," oder vielmehr, wer ist so unempfänglich und so verbildet, daß ihn der
glühende Odem unverwelklichen Lebens aus dieser Dichtung nicht berührte oder
ergriffe? Selbst „Tendenzen der Vergangenheit" können wahrhaft lebensvolle
Werke nicht zur Eiusargung in der Litteraturgeschichte verurteilen, wie Lessings
„Nathan" und Klcists „Hermannsschlacht" entscheidend beweisen, und die ganze
jüngste Vorstellung, daß das Leben immer nur aus den neuesten Abnormitäten
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