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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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Ungedruckte Briefe Seuines

ständen sicher berechnet hatte; und damals war mein Gefühl noch nicht zu der Hohe
gestiegen, auf der es jetzt steht. Aber ich muß, muß enden. Ich kenne die meisten
Ihrer Verhältnisse und habe Sie für Ihre Jugend tadellos gefunden. Nun
kommen ernstere Jahre. Gehen Sie immer in Ihr Herz, es wird hoffentlich immer
rein sein; fragen Sie Ihren eignen feinen Verstand, und lassen ihn nie von einer
kleinlichen Leidenschaft bestechen; seien Sie mißtrauisch gegen die Mode; sie ist eine
schleichende Verderben", sucht schmeichelnd Eingang, verderbt den reinen Geschmack,
erzeugt Langeweile und lohnt zuletzt mit Angst, vielleicht gar mit Elend. Nur
Wahrheit und Tugend dauern. -- Sie haben mich einige mal unvermerkt ans
meinem Charakter geführt; wenn ich wieder spielen werde, so verdammen Sie
mich: das Geld gilt mir wenig; aber Grundsätze desto mehr. Wenn ich Sie
vielleicht einmal wieder sehe, sind Sie wahrscheinlich Matrone; und gebe der
Himmel, daß dann meine Empfindung in ganz reine Hochachtung beruhigt ist.


Seume an Johanna

(Anfang des Jahres 1805)

Sie erwarten vermutlich keinen Brief mehr. Sein Sie ruhig, ich werde uicht
weiter zudringlich sein, als bis ich nach meiner Überzeugung meine Pflicht ganz
erfüllt habe. Ihre Erklärung ist sehr freundlich; sie hat mich tief gerührt, aber
sie hat mich nicht überzeugt, sie hat mich für Sie nicht ganz beruhigt. Meine
Ansichten gründen sich ans Thatsachen, und meine Furcht auf Erfahrungen, Die
Lage Ihres Herzens ist ungefähr, wie ich sie mir gedacht habe, mit allen psycho¬
logischen Veränderungen. Ich habe Recht gehabt zu glauben, daß Sie in Ihrer
schönsten Jngend mit den herrlichsten Hoffnungen fast verwaist waren. Sie thun
Ihrem Vater Unrecht, wenn Sie glauben, daß er seine Augen nach Geld wende.
Er sucht nnr die Sicherheit und die anständige Erscheinung seiner Kinder.
Daß das Geld nicht die Absicht Ihres Vaters ist, hat er, glaube ich, hin¬
länglich auch gegen H. D. gezeigt. Verkennen Sie ja nicht seine Fürsorge für
sein Kind. Ihre Anhänglichkeit und Hingebung an den Mann, den Sie mit Zu¬
stimmung Ihrer ganzen Familie gewählt haben, macht Ihnen Ehre und Sie mir
noch teurer, wenn es möglich ist. Ich erwartete von Ihrer Seele nichts anderes.
Behüte der Himmel, daß ich es je wagen wollte, eine Harmonie zu störe", die
Sie selbst geschaffen haben und als das Glück Ihres Lebens betrachten. Aber
haben Sie keine Beispiele gehört und gelesen, daß Leute dnrch gegenseitige Liebe
in aller Gemütlichkeit bis an den Rand des Verderbens gingen? Ich will nnr
Ihre eigene Vorsichtigkeit wecken. Opfern Sie Herrn D. aus Pflicht alles,
was Sie ihm aus Pflicht opfern dürfen. Ich bleibe bei den Angaben in
meinem vorigen Briefe. Welchen Gewinn könnte ich davon haben, Ihnen
einen Rat zu gebe", den ich nicht für Sie für den besten hielte? Ich kenne
die Verhältnisse Ihres Vermögens nicht. Nur schlagen Sie uicht das in
Gefahr, wovon vielleicht einst Sie mit Ihrer Familie anständig leben müssen.
Das Urteil darüber bleibt freilich Ihnen; und es ist nun Ihre Pflicht, sich
auf alle Fälle eine Übersicht über das Leben zu verschaffen, wenn auch Ihr
Schicksal Sie nötigen sollte, allein zu stehen. H. D. könnte ja sterben. Die
UnWahrscheinlichkeit schließt die Klugheit uicht aus. Meine Meinung ist bloß, daß
Sie in den Aufopferungen Maß halten und so viel als möglich Ihre und der
Ihrigen Existenz sichern. Wenn H. D. dieses nicht fühlen und sich bei der Gränze
nicht beruhigen sollte, so hätte er auch die erste, kleinste Aufopferung nicht verdient.


Ungedruckte Briefe Seuines

ständen sicher berechnet hatte; und damals war mein Gefühl noch nicht zu der Hohe
gestiegen, auf der es jetzt steht. Aber ich muß, muß enden. Ich kenne die meisten
Ihrer Verhältnisse und habe Sie für Ihre Jugend tadellos gefunden. Nun
kommen ernstere Jahre. Gehen Sie immer in Ihr Herz, es wird hoffentlich immer
rein sein; fragen Sie Ihren eignen feinen Verstand, und lassen ihn nie von einer
kleinlichen Leidenschaft bestechen; seien Sie mißtrauisch gegen die Mode; sie ist eine
schleichende Verderben», sucht schmeichelnd Eingang, verderbt den reinen Geschmack,
erzeugt Langeweile und lohnt zuletzt mit Angst, vielleicht gar mit Elend. Nur
Wahrheit und Tugend dauern. — Sie haben mich einige mal unvermerkt ans
meinem Charakter geführt; wenn ich wieder spielen werde, so verdammen Sie
mich: das Geld gilt mir wenig; aber Grundsätze desto mehr. Wenn ich Sie
vielleicht einmal wieder sehe, sind Sie wahrscheinlich Matrone; und gebe der
Himmel, daß dann meine Empfindung in ganz reine Hochachtung beruhigt ist.


Seume an Johanna

(Anfang des Jahres 1805)

Sie erwarten vermutlich keinen Brief mehr. Sein Sie ruhig, ich werde uicht
weiter zudringlich sein, als bis ich nach meiner Überzeugung meine Pflicht ganz
erfüllt habe. Ihre Erklärung ist sehr freundlich; sie hat mich tief gerührt, aber
sie hat mich nicht überzeugt, sie hat mich für Sie nicht ganz beruhigt. Meine
Ansichten gründen sich ans Thatsachen, und meine Furcht auf Erfahrungen, Die
Lage Ihres Herzens ist ungefähr, wie ich sie mir gedacht habe, mit allen psycho¬
logischen Veränderungen. Ich habe Recht gehabt zu glauben, daß Sie in Ihrer
schönsten Jngend mit den herrlichsten Hoffnungen fast verwaist waren. Sie thun
Ihrem Vater Unrecht, wenn Sie glauben, daß er seine Augen nach Geld wende.
Er sucht nnr die Sicherheit und die anständige Erscheinung seiner Kinder.
Daß das Geld nicht die Absicht Ihres Vaters ist, hat er, glaube ich, hin¬
länglich auch gegen H. D. gezeigt. Verkennen Sie ja nicht seine Fürsorge für
sein Kind. Ihre Anhänglichkeit und Hingebung an den Mann, den Sie mit Zu¬
stimmung Ihrer ganzen Familie gewählt haben, macht Ihnen Ehre und Sie mir
noch teurer, wenn es möglich ist. Ich erwartete von Ihrer Seele nichts anderes.
Behüte der Himmel, daß ich es je wagen wollte, eine Harmonie zu störe», die
Sie selbst geschaffen haben und als das Glück Ihres Lebens betrachten. Aber
haben Sie keine Beispiele gehört und gelesen, daß Leute dnrch gegenseitige Liebe
in aller Gemütlichkeit bis an den Rand des Verderbens gingen? Ich will nnr
Ihre eigene Vorsichtigkeit wecken. Opfern Sie Herrn D. aus Pflicht alles,
was Sie ihm aus Pflicht opfern dürfen. Ich bleibe bei den Angaben in
meinem vorigen Briefe. Welchen Gewinn könnte ich davon haben, Ihnen
einen Rat zu gebe», den ich nicht für Sie für den besten hielte? Ich kenne
die Verhältnisse Ihres Vermögens nicht. Nur schlagen Sie uicht das in
Gefahr, wovon vielleicht einst Sie mit Ihrer Familie anständig leben müssen.
Das Urteil darüber bleibt freilich Ihnen; und es ist nun Ihre Pflicht, sich
auf alle Fälle eine Übersicht über das Leben zu verschaffen, wenn auch Ihr
Schicksal Sie nötigen sollte, allein zu stehen. H. D. könnte ja sterben. Die
UnWahrscheinlichkeit schließt die Klugheit uicht aus. Meine Meinung ist bloß, daß
Sie in den Aufopferungen Maß halten und so viel als möglich Ihre und der
Ihrigen Existenz sichern. Wenn H. D. dieses nicht fühlen und sich bei der Gränze
nicht beruhigen sollte, so hätte er auch die erste, kleinste Aufopferung nicht verdient.


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[0618] Ungedruckte Briefe Seuines ständen sicher berechnet hatte; und damals war mein Gefühl noch nicht zu der Hohe gestiegen, auf der es jetzt steht. Aber ich muß, muß enden. Ich kenne die meisten Ihrer Verhältnisse und habe Sie für Ihre Jugend tadellos gefunden. Nun kommen ernstere Jahre. Gehen Sie immer in Ihr Herz, es wird hoffentlich immer rein sein; fragen Sie Ihren eignen feinen Verstand, und lassen ihn nie von einer kleinlichen Leidenschaft bestechen; seien Sie mißtrauisch gegen die Mode; sie ist eine schleichende Verderben», sucht schmeichelnd Eingang, verderbt den reinen Geschmack, erzeugt Langeweile und lohnt zuletzt mit Angst, vielleicht gar mit Elend. Nur Wahrheit und Tugend dauern. — Sie haben mich einige mal unvermerkt ans meinem Charakter geführt; wenn ich wieder spielen werde, so verdammen Sie mich: das Geld gilt mir wenig; aber Grundsätze desto mehr. Wenn ich Sie vielleicht einmal wieder sehe, sind Sie wahrscheinlich Matrone; und gebe der Himmel, daß dann meine Empfindung in ganz reine Hochachtung beruhigt ist. Seume an Johanna (Anfang des Jahres 1805) Sie erwarten vermutlich keinen Brief mehr. Sein Sie ruhig, ich werde uicht weiter zudringlich sein, als bis ich nach meiner Überzeugung meine Pflicht ganz erfüllt habe. Ihre Erklärung ist sehr freundlich; sie hat mich tief gerührt, aber sie hat mich nicht überzeugt, sie hat mich für Sie nicht ganz beruhigt. Meine Ansichten gründen sich ans Thatsachen, und meine Furcht auf Erfahrungen, Die Lage Ihres Herzens ist ungefähr, wie ich sie mir gedacht habe, mit allen psycho¬ logischen Veränderungen. Ich habe Recht gehabt zu glauben, daß Sie in Ihrer schönsten Jngend mit den herrlichsten Hoffnungen fast verwaist waren. Sie thun Ihrem Vater Unrecht, wenn Sie glauben, daß er seine Augen nach Geld wende. Er sucht nnr die Sicherheit und die anständige Erscheinung seiner Kinder. Daß das Geld nicht die Absicht Ihres Vaters ist, hat er, glaube ich, hin¬ länglich auch gegen H. D. gezeigt. Verkennen Sie ja nicht seine Fürsorge für sein Kind. Ihre Anhänglichkeit und Hingebung an den Mann, den Sie mit Zu¬ stimmung Ihrer ganzen Familie gewählt haben, macht Ihnen Ehre und Sie mir noch teurer, wenn es möglich ist. Ich erwartete von Ihrer Seele nichts anderes. Behüte der Himmel, daß ich es je wagen wollte, eine Harmonie zu störe», die Sie selbst geschaffen haben und als das Glück Ihres Lebens betrachten. Aber haben Sie keine Beispiele gehört und gelesen, daß Leute dnrch gegenseitige Liebe in aller Gemütlichkeit bis an den Rand des Verderbens gingen? Ich will nnr Ihre eigene Vorsichtigkeit wecken. Opfern Sie Herrn D. aus Pflicht alles, was Sie ihm aus Pflicht opfern dürfen. Ich bleibe bei den Angaben in meinem vorigen Briefe. Welchen Gewinn könnte ich davon haben, Ihnen einen Rat zu gebe», den ich nicht für Sie für den besten hielte? Ich kenne die Verhältnisse Ihres Vermögens nicht. Nur schlagen Sie uicht das in Gefahr, wovon vielleicht einst Sie mit Ihrer Familie anständig leben müssen. Das Urteil darüber bleibt freilich Ihnen; und es ist nun Ihre Pflicht, sich auf alle Fälle eine Übersicht über das Leben zu verschaffen, wenn auch Ihr Schicksal Sie nötigen sollte, allein zu stehen. H. D. könnte ja sterben. Die UnWahrscheinlichkeit schließt die Klugheit uicht aus. Meine Meinung ist bloß, daß Sie in den Aufopferungen Maß halten und so viel als möglich Ihre und der Ihrigen Existenz sichern. Wenn H. D. dieses nicht fühlen und sich bei der Gränze nicht beruhigen sollte, so hätte er auch die erste, kleinste Aufopferung nicht verdient.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/618>, abgerufen am 22.11.2024.