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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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Agrarische Sünden vor hundert Jahren

wohl unterrichteter und erfahrner Landwirte wisse mehr als zu gut, daß die
Güter und überhaupt alle Feldgrundstücke nicht den ihnen beigelegten Wert
Hütten, und sähe daher auch das Steigen der Güterpreise als ein "wahres
Unglück für den Staat" an. Aber ihr gesundes Urteil werde durch den
"Schwindelgeist der Zeit" und durch die große Menge von Gegnern zum
Schweigen gebracht. Der größte Teil der Grundbesitzer suche auch "selbst
gegen eigne innere Überzeugung" die öffentliche Meinung von dem so hoch
gestiegnen Wert der Grundstücke zu erhalten, weil dadurch eines jeden Be¬
sitzung, wenn er auch nicht die Absicht habe, sie um den höchsten Preis wieder
zu verkaufen, wenigstens dem Anschein nach einen weit größern Wert erhalte
und im Falle einer Veräußerung Hoffnung auf Gewinn gebe. Noch andre
suchten jenen Hang zur Leichtgläubigkeit, der auf Unkenntnis landwirtschaft¬
licher Verhältnisse beruhe, besonders zu ihrem Vorteil zu lenken und die über¬
triebne Meinung von den Grundstückswerten noch zu vergrößern, was ihrer
Spekulation nicht wenig zu statten komme. "Denn dn diese die Idee einer
allgemein verbesserten und erhöhten Kultur bisher durchgängig auszubreiten
sich angelegen sein lassen, so kann es nicht fehlen, daß man nicht auch denen
alle Kenntnisse der bessern Kultur zugestehen müsse, die sich in dieses Fach
ohne die hierzu erforderlichen Einsichten mischen und diese Spekulation be¬
fördern sollen. Freilich setzt man bei dem, der eine Kunst oder Wissenschaft
treiben will, oder sie wohl gern noch besser, als sie bisher betrieben worden
ist, zu verstehen vorgiebt, voraus, daß er nicht nur die zu diesem Fache er¬
forderlichen gewöhnlichen Kenntnisse, sondern auch noch solche haben müsse,
die alle jene übertreffen." Hier sei das aber nicht erforderlich, weil der ganze
Handel "auf einer Täuschung zum Vorteil der Klügern" beruhe und nach
allgemein gewordner Erkenntnis des Wahren aufhören müsse. Fänden sich
Uneingeweihte, die gleichwohl Vorteile von der Spekulation hätten, so sei das
um so verlockender für die noch unentschlossenen Liebhaber zu ähnlichen Unter¬
nehmungen. "Kenner und dnrch Erfahrung überzeugte, die zwar ein unglück¬
liches Ende vou diesem dem Staate höchst nachteiligen Spiele voraus sehen,
aber von der Gelegenheit eines so allgemeinen Schwindels mit gewinnen Wollen,
glauben ihrer größern Klugheit halber noch vor der Epoche des einbrechenden
Unglücks sich bestens herauszuziehen."

Wer in den fünfziger, sechziger und siebziger Jahren -- ja sogar noch
in der ersten Hälfte der achtziger Jahre -- unter den Rittergntsbesitzern östlich
von der Elbe gelebt und mit unbefangnen Auge die Verhältnisse beim Kauf
und Verlauf der Güter verfolgt hat, der wird zugestehen, daß diese Schilde¬
rungen fast in jedem einzelnen Zuge aus dem Leben gegriffen sind. Auch noch
1850 war wie 1805 der "Gedankengang" des Gutsbesitzers im Osten, wie
Meitzen 1884 so treffend sagt, der: "Ich werde schon einen Narren finden, der
nur 20 Prozent mehr bezahlt." Die Folgen find dann in den zwanziger wie


Agrarische Sünden vor hundert Jahren

wohl unterrichteter und erfahrner Landwirte wisse mehr als zu gut, daß die
Güter und überhaupt alle Feldgrundstücke nicht den ihnen beigelegten Wert
Hütten, und sähe daher auch das Steigen der Güterpreise als ein „wahres
Unglück für den Staat" an. Aber ihr gesundes Urteil werde durch den
„Schwindelgeist der Zeit" und durch die große Menge von Gegnern zum
Schweigen gebracht. Der größte Teil der Grundbesitzer suche auch „selbst
gegen eigne innere Überzeugung" die öffentliche Meinung von dem so hoch
gestiegnen Wert der Grundstücke zu erhalten, weil dadurch eines jeden Be¬
sitzung, wenn er auch nicht die Absicht habe, sie um den höchsten Preis wieder
zu verkaufen, wenigstens dem Anschein nach einen weit größern Wert erhalte
und im Falle einer Veräußerung Hoffnung auf Gewinn gebe. Noch andre
suchten jenen Hang zur Leichtgläubigkeit, der auf Unkenntnis landwirtschaft¬
licher Verhältnisse beruhe, besonders zu ihrem Vorteil zu lenken und die über¬
triebne Meinung von den Grundstückswerten noch zu vergrößern, was ihrer
Spekulation nicht wenig zu statten komme. „Denn dn diese die Idee einer
allgemein verbesserten und erhöhten Kultur bisher durchgängig auszubreiten
sich angelegen sein lassen, so kann es nicht fehlen, daß man nicht auch denen
alle Kenntnisse der bessern Kultur zugestehen müsse, die sich in dieses Fach
ohne die hierzu erforderlichen Einsichten mischen und diese Spekulation be¬
fördern sollen. Freilich setzt man bei dem, der eine Kunst oder Wissenschaft
treiben will, oder sie wohl gern noch besser, als sie bisher betrieben worden
ist, zu verstehen vorgiebt, voraus, daß er nicht nur die zu diesem Fache er¬
forderlichen gewöhnlichen Kenntnisse, sondern auch noch solche haben müsse,
die alle jene übertreffen." Hier sei das aber nicht erforderlich, weil der ganze
Handel „auf einer Täuschung zum Vorteil der Klügern" beruhe und nach
allgemein gewordner Erkenntnis des Wahren aufhören müsse. Fänden sich
Uneingeweihte, die gleichwohl Vorteile von der Spekulation hätten, so sei das
um so verlockender für die noch unentschlossenen Liebhaber zu ähnlichen Unter¬
nehmungen. „Kenner und dnrch Erfahrung überzeugte, die zwar ein unglück¬
liches Ende vou diesem dem Staate höchst nachteiligen Spiele voraus sehen,
aber von der Gelegenheit eines so allgemeinen Schwindels mit gewinnen Wollen,
glauben ihrer größern Klugheit halber noch vor der Epoche des einbrechenden
Unglücks sich bestens herauszuziehen."

Wer in den fünfziger, sechziger und siebziger Jahren — ja sogar noch
in der ersten Hälfte der achtziger Jahre — unter den Rittergntsbesitzern östlich
von der Elbe gelebt und mit unbefangnen Auge die Verhältnisse beim Kauf
und Verlauf der Güter verfolgt hat, der wird zugestehen, daß diese Schilde¬
rungen fast in jedem einzelnen Zuge aus dem Leben gegriffen sind. Auch noch
1850 war wie 1805 der „Gedankengang" des Gutsbesitzers im Osten, wie
Meitzen 1884 so treffend sagt, der: „Ich werde schon einen Narren finden, der
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/59>, abgerufen am 22.11.2024.