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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches
Zu den österreichischen Landtagswahlen.

Österreich gehört in diesem
Augenblicke zu deu beachtenswertesten Gegenden des Welttheaters; so unbedeutend
und teilweise jämmerlich die Handelnden sein mögen, die Handlung hat welt¬
geschichtliche Bedeutung. Wie überall, wo einander nicht zwei Parteien gegenüber¬
stehen, sondern ein halbes oder ganzes Dutzend durcheinander quirlen, war bei dem
Parteien- und Nationalitätenkampfe seit l866 rein nichts herausgekommen, nußer
etwa, daß die Deutschen mehr und mehr an Einfluß verloren. Da setzte Graf
Taaffe mit seinem Wahlgesetzeutwurf den sozialdemokratischen Hecht in den Karpfen¬
teich, und die Karpfen fingen an lebhafter zu zappeln und allerlei ungewohnte Be¬
wegungen zu vollführen. Am schlimmsten erging es den Deutschliberalen: was
ohnehin alle Welt wußte, daß sie ohne eine Spur liberaler Gesinnung und weiter
nichts waren als die Vertreter des mobilen Kapitals, des Handels und einiger
Zweige der Großindustrie, das offenbarte sich in ihrer Haltung bei den Verhand¬
lungen über die Wahlreform so deutlich, daß sie allen Kredit verloren und zunächst
bei den Wiener Gemeinderatswahlen, dann bei den Landtagswahlen der verschiednen
Länder ins Hintertreffen gerieten; bei den nächsten Wahlen zum Abgeordnetenhause
wird es ihnen schlimm ergehen, und die Umtnufnng in eine deutsche Fortschritts¬
partei wird ihnen nichts helfen. Von ihren verschiednen Gegnern haben bis jetzt
die reinen Antisemiten das beste Geschäft gemacht, die sich, weil das schöner klingt,
Christlichsvziale nennen. Neben diesen, die vorzugsweise in den Großstädten ge¬
deihen, stehen die Klerikalen, d. h. die Alpenbauern mit ihren Pfarrern, am
kräftigsten da; nicht allein erfreuen sie sich im Großgrundbesitz einer gewaltigen
Stütze, sondern sie haben nun auch auf dem Snlzbnrger Katholikentage den Segen
der Regierung empfangen, der in dieser schlechten Welt beim Angeln nach Mandaten
wirksamer ist als der Segen des heiligen Vaters. Als kluge Leute jedoch, die alle
Umstände in Betracht ziehen, sind die Prälaten und die Pfarrer vom Grafen
Hohenwart, der den Aristokraten und zugleich den Absolutisten zu schroff heraus¬
kehrt, ein wenig abgerückt und nennen sich katholische Volkspartei. Selbstverständ¬
lich versprechen sie allen Bedrängten zu helfen. Am rührigsten sind die Dentsch-
nntionalen. Zunächst haben sie alles Hochverräterische abgestreift und ihren alten
Patron schönerer gänzlich verleugnet, dann sich den Namen deutsche Volkspartei
beigelegt und ihr Programm mit einer reichen Fülle sozialer Forderungen aus¬
gestattet. Endlich suchen sie durch Wahlbündnisse zu erlangen, was sie aus eigner
Kraft nicht zu erringen hoffen dürfen; so haben sie sich in Oberösterreich mit den
dort angeblich weniger vcrjndeten Liberalen gegen die katholische Volkspartei ver¬
bündet, die sie natürlich in ihrer Polemik niemals so sondern immer Klerikale
nennen, in Niederösterreich dagegen mit deu Christlichsvzinlen gegen die Liberalen,
in Mähren mit den Liberalen gegen die Tschechen, in Kärnten mit den Liberalen
gegen die Klerikalen und Slowenen. In Steiermark haben Liberale nud Deutsch-
nationale nur zur Verdrängung des Hohenwarticmers Kcütenegger, der sich in dem
Streit um das Gymnasium zu Cilli auf die Seite der Slowenen gestellt hatte,
einen Kompromiß geschlossen, im übrigen gehen beide Parteien ihre eignen Wege.
In Schlesien haben die Deutschnationalcu die Liberalen grimmig bekämpft und ihnen
ihre beiden Landtagsmandate der Landgemeinden schon entrissen. Gegen die Liberalen
werden sie auch noch in andern Ländern, und erst recht bei den nächsten Reichsrntwcchlen,
Erfolge erringen, aber schwerlich gegen die Klerikalen und die Slawen; sie werden also


Maßgebliches und Unmaßgebliches
Zu den österreichischen Landtagswahlen.

Österreich gehört in diesem
Augenblicke zu deu beachtenswertesten Gegenden des Welttheaters; so unbedeutend
und teilweise jämmerlich die Handelnden sein mögen, die Handlung hat welt¬
geschichtliche Bedeutung. Wie überall, wo einander nicht zwei Parteien gegenüber¬
stehen, sondern ein halbes oder ganzes Dutzend durcheinander quirlen, war bei dem
Parteien- und Nationalitätenkampfe seit l866 rein nichts herausgekommen, nußer
etwa, daß die Deutschen mehr und mehr an Einfluß verloren. Da setzte Graf
Taaffe mit seinem Wahlgesetzeutwurf den sozialdemokratischen Hecht in den Karpfen¬
teich, und die Karpfen fingen an lebhafter zu zappeln und allerlei ungewohnte Be¬
wegungen zu vollführen. Am schlimmsten erging es den Deutschliberalen: was
ohnehin alle Welt wußte, daß sie ohne eine Spur liberaler Gesinnung und weiter
nichts waren als die Vertreter des mobilen Kapitals, des Handels und einiger
Zweige der Großindustrie, das offenbarte sich in ihrer Haltung bei den Verhand¬
lungen über die Wahlreform so deutlich, daß sie allen Kredit verloren und zunächst
bei den Wiener Gemeinderatswahlen, dann bei den Landtagswahlen der verschiednen
Länder ins Hintertreffen gerieten; bei den nächsten Wahlen zum Abgeordnetenhause
wird es ihnen schlimm ergehen, und die Umtnufnng in eine deutsche Fortschritts¬
partei wird ihnen nichts helfen. Von ihren verschiednen Gegnern haben bis jetzt
die reinen Antisemiten das beste Geschäft gemacht, die sich, weil das schöner klingt,
Christlichsvziale nennen. Neben diesen, die vorzugsweise in den Großstädten ge¬
deihen, stehen die Klerikalen, d. h. die Alpenbauern mit ihren Pfarrern, am
kräftigsten da; nicht allein erfreuen sie sich im Großgrundbesitz einer gewaltigen
Stütze, sondern sie haben nun auch auf dem Snlzbnrger Katholikentage den Segen
der Regierung empfangen, der in dieser schlechten Welt beim Angeln nach Mandaten
wirksamer ist als der Segen des heiligen Vaters. Als kluge Leute jedoch, die alle
Umstände in Betracht ziehen, sind die Prälaten und die Pfarrer vom Grafen
Hohenwart, der den Aristokraten und zugleich den Absolutisten zu schroff heraus¬
kehrt, ein wenig abgerückt und nennen sich katholische Volkspartei. Selbstverständ¬
lich versprechen sie allen Bedrängten zu helfen. Am rührigsten sind die Dentsch-
nntionalen. Zunächst haben sie alles Hochverräterische abgestreift und ihren alten
Patron schönerer gänzlich verleugnet, dann sich den Namen deutsche Volkspartei
beigelegt und ihr Programm mit einer reichen Fülle sozialer Forderungen aus¬
gestattet. Endlich suchen sie durch Wahlbündnisse zu erlangen, was sie aus eigner
Kraft nicht zu erringen hoffen dürfen; so haben sie sich in Oberösterreich mit den
dort angeblich weniger vcrjndeten Liberalen gegen die katholische Volkspartei ver¬
bündet, die sie natürlich in ihrer Polemik niemals so sondern immer Klerikale
nennen, in Niederösterreich dagegen mit deu Christlichsvzinlen gegen die Liberalen,
in Mähren mit den Liberalen gegen die Tschechen, in Kärnten mit den Liberalen
gegen die Klerikalen und Slowenen. In Steiermark haben Liberale nud Deutsch-
nationale nur zur Verdrängung des Hohenwarticmers Kcütenegger, der sich in dem
Streit um das Gymnasium zu Cilli auf die Seite der Slowenen gestellt hatte,
einen Kompromiß geschlossen, im übrigen gehen beide Parteien ihre eignen Wege.
In Schlesien haben die Deutschnationalcu die Liberalen grimmig bekämpft und ihnen
ihre beiden Landtagsmandate der Landgemeinden schon entrissen. Gegen die Liberalen
werden sie auch noch in andern Ländern, und erst recht bei den nächsten Reichsrntwcchlen,
Erfolge erringen, aber schwerlich gegen die Klerikalen und die Slawen; sie werden also


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[0580] Maßgebliches und Unmaßgebliches Zu den österreichischen Landtagswahlen. Österreich gehört in diesem Augenblicke zu deu beachtenswertesten Gegenden des Welttheaters; so unbedeutend und teilweise jämmerlich die Handelnden sein mögen, die Handlung hat welt¬ geschichtliche Bedeutung. Wie überall, wo einander nicht zwei Parteien gegenüber¬ stehen, sondern ein halbes oder ganzes Dutzend durcheinander quirlen, war bei dem Parteien- und Nationalitätenkampfe seit l866 rein nichts herausgekommen, nußer etwa, daß die Deutschen mehr und mehr an Einfluß verloren. Da setzte Graf Taaffe mit seinem Wahlgesetzeutwurf den sozialdemokratischen Hecht in den Karpfen¬ teich, und die Karpfen fingen an lebhafter zu zappeln und allerlei ungewohnte Be¬ wegungen zu vollführen. Am schlimmsten erging es den Deutschliberalen: was ohnehin alle Welt wußte, daß sie ohne eine Spur liberaler Gesinnung und weiter nichts waren als die Vertreter des mobilen Kapitals, des Handels und einiger Zweige der Großindustrie, das offenbarte sich in ihrer Haltung bei den Verhand¬ lungen über die Wahlreform so deutlich, daß sie allen Kredit verloren und zunächst bei den Wiener Gemeinderatswahlen, dann bei den Landtagswahlen der verschiednen Länder ins Hintertreffen gerieten; bei den nächsten Wahlen zum Abgeordnetenhause wird es ihnen schlimm ergehen, und die Umtnufnng in eine deutsche Fortschritts¬ partei wird ihnen nichts helfen. Von ihren verschiednen Gegnern haben bis jetzt die reinen Antisemiten das beste Geschäft gemacht, die sich, weil das schöner klingt, Christlichsvziale nennen. Neben diesen, die vorzugsweise in den Großstädten ge¬ deihen, stehen die Klerikalen, d. h. die Alpenbauern mit ihren Pfarrern, am kräftigsten da; nicht allein erfreuen sie sich im Großgrundbesitz einer gewaltigen Stütze, sondern sie haben nun auch auf dem Snlzbnrger Katholikentage den Segen der Regierung empfangen, der in dieser schlechten Welt beim Angeln nach Mandaten wirksamer ist als der Segen des heiligen Vaters. Als kluge Leute jedoch, die alle Umstände in Betracht ziehen, sind die Prälaten und die Pfarrer vom Grafen Hohenwart, der den Aristokraten und zugleich den Absolutisten zu schroff heraus¬ kehrt, ein wenig abgerückt und nennen sich katholische Volkspartei. Selbstverständ¬ lich versprechen sie allen Bedrängten zu helfen. Am rührigsten sind die Dentsch- nntionalen. Zunächst haben sie alles Hochverräterische abgestreift und ihren alten Patron schönerer gänzlich verleugnet, dann sich den Namen deutsche Volkspartei beigelegt und ihr Programm mit einer reichen Fülle sozialer Forderungen aus¬ gestattet. Endlich suchen sie durch Wahlbündnisse zu erlangen, was sie aus eigner Kraft nicht zu erringen hoffen dürfen; so haben sie sich in Oberösterreich mit den dort angeblich weniger vcrjndeten Liberalen gegen die katholische Volkspartei ver¬ bündet, die sie natürlich in ihrer Polemik niemals so sondern immer Klerikale nennen, in Niederösterreich dagegen mit deu Christlichsvzinlen gegen die Liberalen, in Mähren mit den Liberalen gegen die Tschechen, in Kärnten mit den Liberalen gegen die Klerikalen und Slowenen. In Steiermark haben Liberale nud Deutsch- nationale nur zur Verdrängung des Hohenwarticmers Kcütenegger, der sich in dem Streit um das Gymnasium zu Cilli auf die Seite der Slowenen gestellt hatte, einen Kompromiß geschlossen, im übrigen gehen beide Parteien ihre eignen Wege. In Schlesien haben die Deutschnationalcu die Liberalen grimmig bekämpft und ihnen ihre beiden Landtagsmandate der Landgemeinden schon entrissen. Gegen die Liberalen werden sie auch noch in andern Ländern, und erst recht bei den nächsten Reichsrntwcchlen, Erfolge erringen, aber schwerlich gegen die Klerikalen und die Slawen; sie werden also

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/580>, abgerufen am 26.11.2024.