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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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Die Jugend

alt sein wird, daß sie sich für vollkommen und verbesserungsunfähig hält, eine
gute Statt. Denn lernen soll doch jeder, auch wer sich mit noch so viel
Selbstvertrauen gepanzert hat."

Zu dem Programm der "Jugend gehört vielerlei, zunächst die Politik.
Sie hat in ihr zwei sehr verschiedne Abteilungen. Zuerst ist es gut und augen¬
blicklich gerade für München sehr wertvoll, daß das Bajuvareutum an der
"Jngend" keinen Bundesgenossen findet, sondern daß der deutsche Standpunkt
in ihr kräftig zum Ausdruck kommt: Zentrum, Genosse Orterer und dergleichen.
Wo es gegen Preußen geht, geschieht es in harmloser Weise und so, daß
jeder vernünftige Preuße mitlachen könnte, zum Teil mit viel Humor, wie in
den epischen Knittelversen über das Offizierkorps des "ersten Regiments der
Christenheit" (in Potsdam) oder über den Tropenleutnant. Aber auf der andern
Seite scheint es, als ob die "Jugend" ihren Ehrgeiz darein gesetzt hätte, die
politische Nummer ihres Programms niemals ausfallen zu lassen, und als ob sie
es in gequälter politischer Satire dem Kladderadatsch gleichthun wollte, der
doch seine Blüte schon lange, lange hinter sich hat. Dabei kommt nichts
heraus, als langweiliges, geschmackloses Zeug, wie z.B. ein Lied über den
kleinen Bulgarenprinzen, der in unanständiger Weise gegen seine Aufnahme in
die orthodoxe Kirche protestirt. So etwas sollte die "Jugend" beiseite
lassen. Es ist aber nicht das einzige in seiner Art. Unflätereien kann man
genug in München auf der Gasse hören, oder man glaubt es doch den Baiern
gern, daß sie welche zu machen verstehen, sie brauchen sie nicht erst in Reime
zu bringen. Ferner muß, wer sich in der Politik hören lassen und noch dazu
einen bestimmten Standpunkt vertreten will, auch Takt haben und einen ver¬
meintlichen Witz unterdrücken können, wo er nicht am Platze ist. liber das
Unglück der Italiener in Abessinien Scherze machen in Wort und Bild ist zur
Zeit für ein deutsches Blatt nicht nur unpassend, sondern einfach roh. Über¬
haupt ist diese politische Satire, wo sie die bairischen Verhältnisse verläßt und
die größern Ereignisse der europäischen Politik nachträglich beleuchten möchte,
entschieden nicht die Stärke der "Jugend." Sie thäte gut, ganz die Hände
davon zu lassen und, wenn sie kritisiren will, sich auf Erscheinungen des
Lebens und soziale Fragen zu beschränken, die mit der Politik nichts zu thun
haben. Sie hat das Vorbild dafür in ihrer unmittelbaren Nähe, in den
Fliegenden Blättern, die seit 1848 und 1849 jeder Versuchung, in das Poli¬
tische überzugreifen, widerstanden haben und dafür Zeiterscheinungen und
Modethorheiten mit sicherer Witterung rechtzeitig aufspüren und oft mit köst¬
lichem Humor beleuchten. Manches derartige hat auch die "Jugend," und
es ist nicht schlecht. So z. B. ihre Artikel über den Radfahrsport, über
Frauenemanzipation, über weibliche Abiturienten, über das junge Mädchen,
das rechtzeitig darauf verzichtet, Fräulein Doktor zu sein, um Frau Doktor
zu werden, über "Weib und Männchen," wie es im zwanzigsten Jahrhundert,
wenn die Geschlechter vollends ihre Rollen getauscht haben werden, heißen
wird statt "Mann und Fräulein." Wir Hütten gern mehr davon. Denn das
ist es, was not thut, gesunde und dabei erheiternde Kritik unsrer Lebens-
gewohnheiten an den Punkten, wo sie anfangen in Albernheiten überzugehen.
Aber die witzig sein sollenden Kannegießereien der "Jugend" sind für jeden
Menschen von Geschmack langweilig.
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Zum "Leben der "Jugend gehört weiter die Litteratur. Da jede
Nummer etwas abgeschlossenes giebt, so können die Artikel natürlich nicht lang


Die Jugend

alt sein wird, daß sie sich für vollkommen und verbesserungsunfähig hält, eine
gute Statt. Denn lernen soll doch jeder, auch wer sich mit noch so viel
Selbstvertrauen gepanzert hat."

Zu dem Programm der „Jugend gehört vielerlei, zunächst die Politik.
Sie hat in ihr zwei sehr verschiedne Abteilungen. Zuerst ist es gut und augen¬
blicklich gerade für München sehr wertvoll, daß das Bajuvareutum an der
„Jngend" keinen Bundesgenossen findet, sondern daß der deutsche Standpunkt
in ihr kräftig zum Ausdruck kommt: Zentrum, Genosse Orterer und dergleichen.
Wo es gegen Preußen geht, geschieht es in harmloser Weise und so, daß
jeder vernünftige Preuße mitlachen könnte, zum Teil mit viel Humor, wie in
den epischen Knittelversen über das Offizierkorps des „ersten Regiments der
Christenheit" (in Potsdam) oder über den Tropenleutnant. Aber auf der andern
Seite scheint es, als ob die „Jugend" ihren Ehrgeiz darein gesetzt hätte, die
politische Nummer ihres Programms niemals ausfallen zu lassen, und als ob sie
es in gequälter politischer Satire dem Kladderadatsch gleichthun wollte, der
doch seine Blüte schon lange, lange hinter sich hat. Dabei kommt nichts
heraus, als langweiliges, geschmackloses Zeug, wie z.B. ein Lied über den
kleinen Bulgarenprinzen, der in unanständiger Weise gegen seine Aufnahme in
die orthodoxe Kirche protestirt. So etwas sollte die „Jugend" beiseite
lassen. Es ist aber nicht das einzige in seiner Art. Unflätereien kann man
genug in München auf der Gasse hören, oder man glaubt es doch den Baiern
gern, daß sie welche zu machen verstehen, sie brauchen sie nicht erst in Reime
zu bringen. Ferner muß, wer sich in der Politik hören lassen und noch dazu
einen bestimmten Standpunkt vertreten will, auch Takt haben und einen ver¬
meintlichen Witz unterdrücken können, wo er nicht am Platze ist. liber das
Unglück der Italiener in Abessinien Scherze machen in Wort und Bild ist zur
Zeit für ein deutsches Blatt nicht nur unpassend, sondern einfach roh. Über¬
haupt ist diese politische Satire, wo sie die bairischen Verhältnisse verläßt und
die größern Ereignisse der europäischen Politik nachträglich beleuchten möchte,
entschieden nicht die Stärke der „Jugend." Sie thäte gut, ganz die Hände
davon zu lassen und, wenn sie kritisiren will, sich auf Erscheinungen des
Lebens und soziale Fragen zu beschränken, die mit der Politik nichts zu thun
haben. Sie hat das Vorbild dafür in ihrer unmittelbaren Nähe, in den
Fliegenden Blättern, die seit 1848 und 1849 jeder Versuchung, in das Poli¬
tische überzugreifen, widerstanden haben und dafür Zeiterscheinungen und
Modethorheiten mit sicherer Witterung rechtzeitig aufspüren und oft mit köst¬
lichem Humor beleuchten. Manches derartige hat auch die „Jugend," und
es ist nicht schlecht. So z. B. ihre Artikel über den Radfahrsport, über
Frauenemanzipation, über weibliche Abiturienten, über das junge Mädchen,
das rechtzeitig darauf verzichtet, Fräulein Doktor zu sein, um Frau Doktor
zu werden, über „Weib und Männchen," wie es im zwanzigsten Jahrhundert,
wenn die Geschlechter vollends ihre Rollen getauscht haben werden, heißen
wird statt „Mann und Fräulein." Wir Hütten gern mehr davon. Denn das
ist es, was not thut, gesunde und dabei erheiternde Kritik unsrer Lebens-
gewohnheiten an den Punkten, wo sie anfangen in Albernheiten überzugehen.
Aber die witzig sein sollenden Kannegießereien der „Jugend" sind für jeden
Menschen von Geschmack langweilig.
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Zum „Leben der „Jugend gehört weiter die Litteratur. Da jede
Nummer etwas abgeschlossenes giebt, so können die Artikel natürlich nicht lang


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/576>, abgerufen am 26.11.2024.