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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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Religion und verbrechen

habe gesündigt, aber in der Beichte wird mir die Sünde vergeben," beinahe
wunder", da das Bekenntnis immerhin ein Zugeständnis enthielt.

Wilde Völkerschaften vollends, zu denen trotz ihrer "peinlichen Ehrlichkeit"
auch die Alfuru und die Santala gehören, Pflegen auf einer so niedrigen Stufe
der religiösen und sittlichen Vorstellungen zu stehen, daß geradezu für Tugend
gehalten wird, was einer höhern Neligionsstufe als Verbrechen erscheint, und
da sich die Vorstellungen einer Gesamtheit unwillkürlich auf den einzelnen
übertragen, selbst ein in seiner Art und nach dem Glauben seiner Stammes¬
genossen Religiöser zum Verbrecher werden kann. Religion und Moral fallen
also auseinander. Auch der Religiöse -- ein Beweis für Ihre Behauptung --
scheut vor dem Verbrechen nicht zurück und meint wohl gar, etwas gutes
damit zu thun. Nur ist wohl zu beachten, daß das Verbrechen in dem be¬
zeichneten Fall auf Rechnung einer unvollkommnen, in ihren religiösen und
sittlichen Vorstellungen zurückgebliebnen Religiosität, oder auf Rechnung der
Religionsgesellschaft kommt, der der Verbrecher angehört, und die hemmend
statt fördernd auf die Entwicklung seiner religiösen Anlage eingewirkt hat.
Tiefer betrachtet, springt also auch hier der innere Zusammenhang zwischen
Religion und Moral in die Augen.

Mit Recht machen auch Sie einen Unterschied zwischen Religionen, die
ans einer höhern, und solchen, die auf einer niedern Stufe religiöser Erkenntnis
stehen, nnr daß Sie auch jenen einen sittlichen Einfluß nur zuerkennen wollen,
sofern sie junge Religionen sind, "die noch die Kraft des staws rmsosircli hätten,
weil in diesem Stadium der Buchstabe noch nicht den Geist vertrieben habe,
der Mansch (!) der neuen Ideale noch das Gefühl gefangen halte und es ver¬
brecherischen Impulsen unzugänglich mache." Und mit dieser Einschränkung
kann ich Ihre Behauptung nicht gelten lassen. Zur Zeit Savvuarolas und
der Waldenser, die Sie als Beleg anführen, war das Christentum wohl keine
neue Erscheinung mehr, ganz abgesehen davon, daß sich bei den Waldensern,
wie Sie sich in Ihrer nächsten Nähe überzeugen können, der wohlthätige Ein¬
fluß des Christentums auf Wandel und Leben heute noch bemerkbar macht.
Der Methodismus, auf dessen Einfluß unter den Farbigen in Nordamerika
Sie sich berufen, ist zwar jünger, aber doch nur eine Form des Christentums,
und nicht das dem Methodismus eigentümliche, sondern das Christliche in
ihm hat die große Umwandlung uuter den Negern hervorgerufen, an die das
Christentum nur zuerst in der Gestalt des Methodismus herantrat. Der sitt¬
liche Einfluß einer Religion wird in erster Linie von ihrem innern Gehalt
abhängen, und weil das Christentum die vollkommenste, bisher von keiner andern
übertroffnc Religion ist, darum ist sein sittlicher Einfluß so groß. Immerhin ist
der von Ihnen gemachte Unterschied zwischen den verschiednen Religionen,
mögen sie nun ältern oder jüngern Ursprungs sein, durchaus zutreffend. Nur
hatten Sie die Begriffe Religion und Religionen sauber auseinanderhalten sollen.


Religion und verbrechen

habe gesündigt, aber in der Beichte wird mir die Sünde vergeben," beinahe
wunder», da das Bekenntnis immerhin ein Zugeständnis enthielt.

Wilde Völkerschaften vollends, zu denen trotz ihrer „peinlichen Ehrlichkeit"
auch die Alfuru und die Santala gehören, Pflegen auf einer so niedrigen Stufe
der religiösen und sittlichen Vorstellungen zu stehen, daß geradezu für Tugend
gehalten wird, was einer höhern Neligionsstufe als Verbrechen erscheint, und
da sich die Vorstellungen einer Gesamtheit unwillkürlich auf den einzelnen
übertragen, selbst ein in seiner Art und nach dem Glauben seiner Stammes¬
genossen Religiöser zum Verbrecher werden kann. Religion und Moral fallen
also auseinander. Auch der Religiöse — ein Beweis für Ihre Behauptung —
scheut vor dem Verbrechen nicht zurück und meint wohl gar, etwas gutes
damit zu thun. Nur ist wohl zu beachten, daß das Verbrechen in dem be¬
zeichneten Fall auf Rechnung einer unvollkommnen, in ihren religiösen und
sittlichen Vorstellungen zurückgebliebnen Religiosität, oder auf Rechnung der
Religionsgesellschaft kommt, der der Verbrecher angehört, und die hemmend
statt fördernd auf die Entwicklung seiner religiösen Anlage eingewirkt hat.
Tiefer betrachtet, springt also auch hier der innere Zusammenhang zwischen
Religion und Moral in die Augen.

Mit Recht machen auch Sie einen Unterschied zwischen Religionen, die
ans einer höhern, und solchen, die auf einer niedern Stufe religiöser Erkenntnis
stehen, nnr daß Sie auch jenen einen sittlichen Einfluß nur zuerkennen wollen,
sofern sie junge Religionen sind, „die noch die Kraft des staws rmsosircli hätten,
weil in diesem Stadium der Buchstabe noch nicht den Geist vertrieben habe,
der Mansch (!) der neuen Ideale noch das Gefühl gefangen halte und es ver¬
brecherischen Impulsen unzugänglich mache." Und mit dieser Einschränkung
kann ich Ihre Behauptung nicht gelten lassen. Zur Zeit Savvuarolas und
der Waldenser, die Sie als Beleg anführen, war das Christentum wohl keine
neue Erscheinung mehr, ganz abgesehen davon, daß sich bei den Waldensern,
wie Sie sich in Ihrer nächsten Nähe überzeugen können, der wohlthätige Ein¬
fluß des Christentums auf Wandel und Leben heute noch bemerkbar macht.
Der Methodismus, auf dessen Einfluß unter den Farbigen in Nordamerika
Sie sich berufen, ist zwar jünger, aber doch nur eine Form des Christentums,
und nicht das dem Methodismus eigentümliche, sondern das Christliche in
ihm hat die große Umwandlung uuter den Negern hervorgerufen, an die das
Christentum nur zuerst in der Gestalt des Methodismus herantrat. Der sitt¬
liche Einfluß einer Religion wird in erster Linie von ihrem innern Gehalt
abhängen, und weil das Christentum die vollkommenste, bisher von keiner andern
übertroffnc Religion ist, darum ist sein sittlicher Einfluß so groß. Immerhin ist
der von Ihnen gemachte Unterschied zwischen den verschiednen Religionen,
mögen sie nun ältern oder jüngern Ursprungs sein, durchaus zutreffend. Nur
hatten Sie die Begriffe Religion und Religionen sauber auseinanderhalten sollen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/550>, abgerufen am 01.09.2024.