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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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Litteratur

den Blick für alles das, was ein Menschen und Dingen charakteristisch ist, und
läßt uns oft hinter der Skizze ein farbenreiches Bild schauen. Die Charakter¬
bilder, die er von den Honoratioren des Dorfes zeichnet, von Bürgermeister und
Arzt, von Schulmeister und Rentner, dann von einigen Kreisbrüdern, d. h. be¬
nachbarten Kollegen, von dem Dorfschneidcr, der sich zu deu "Auserwählten"
rechnet und dem Pfarrer sehr kritisch gegenübertritt, und seinem Gegenbilde, dem
alten Schmied, geben nicht bloße Typen, sondern wahre Charakterköpfe. In den
Abschnitten über die ersten Predigten, Hausbesuche, Katechisationen u. tgi. treten
uus lebendig Erfahrungen entgegen, wie sie wohl keinem jungen Geistlichen zu
machen erspart bleiben wird. Die Mordgeschichte vom Hahn des Bürgermeisters
und die Schilderung vom Besuche des Onkels Johannes zeigen den Verfasser in
Nöten, die mit der Heiterkeit getragen werden wollen, mit der sie Koetsvcld
schildert. Daß es ihm aber auch uicht an Kraft gebricht, die ernstesten Erlebnisse
seist in Form einer Novelle ergreifend darzustellen, zeigen die beiden Bilder vom
Begräbnis, die das Verkommen einer unglücklichen Familie schildern, dem Einhalt
zu thun der Pfarrer keine Macht hat. Was aber den Skizzen vor allem ihren Reiz
und ihren Wert giebt, das ist das Vermögen, das Koetsveld hat, und das eine
der schönsten Gaben eines Pfarrers ist, das kleinste im Lichte der Ewigkeit anzu¬
sehen. Je deutlicher dabei stets hervortritt, wie weit die Wirklichkeit hinter dem
Ideal zurücksteht, um so leuchtender erscheint dieses selbst, um so inniger er¬
greift uns der Trieb, ihm zuzustreben. Gedanken, die diese Empfindung stärken,
bieten uns die Skizzen auf jeder Seite. Koetsveld ist ein Realist, denn er be¬
schönigt nichts, sondert schildert, was er sieht und hört. Aber hinter und über
diesem Realismus steht durchdringend und verklärend der echt christliche Idealismus.

Eine besondre Freude werden an dem Buche junge Theologen haben, die
von den Erfahrungen Koetsvelds praktisch lernen können. Denn wenn auch diese
"Skizzen" bald zwei Menschenalter hinter sich haben, unter dem Landvolke, das sie
schildern, giebt es doch noch keinen "Geist der Zeiten," der sich schnell wie die
Kleidermode der Großstädter änderte. Aber mich jeder andre, der Sinn hat für
das, was wir an demi Buche gerühmt haben, wird es mit Befriedigung aus der
Hand legen.

Die Übersetzung entbehrt fast uirgeuds der Frische eines Originals; der
rührige Verleger hat deu Band hübsch ausgestattet und mit dem Bilde Koetsvelds
geschmückt, sodaß er sich auch durch sein Äußeres als eine schöne Gabe für
das deutsche Hans empfiehlt.






Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig
Verlag von Fr, Will). Grunow in Leipzig. -- Druck von Carl Marquart in Leipzig
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den Blick für alles das, was ein Menschen und Dingen charakteristisch ist, und
läßt uns oft hinter der Skizze ein farbenreiches Bild schauen. Die Charakter¬
bilder, die er von den Honoratioren des Dorfes zeichnet, von Bürgermeister und
Arzt, von Schulmeister und Rentner, dann von einigen Kreisbrüdern, d. h. be¬
nachbarten Kollegen, von dem Dorfschneidcr, der sich zu deu „Auserwählten"
rechnet und dem Pfarrer sehr kritisch gegenübertritt, und seinem Gegenbilde, dem
alten Schmied, geben nicht bloße Typen, sondern wahre Charakterköpfe. In den
Abschnitten über die ersten Predigten, Hausbesuche, Katechisationen u. tgi. treten
uus lebendig Erfahrungen entgegen, wie sie wohl keinem jungen Geistlichen zu
machen erspart bleiben wird. Die Mordgeschichte vom Hahn des Bürgermeisters
und die Schilderung vom Besuche des Onkels Johannes zeigen den Verfasser in
Nöten, die mit der Heiterkeit getragen werden wollen, mit der sie Koetsvcld
schildert. Daß es ihm aber auch uicht an Kraft gebricht, die ernstesten Erlebnisse
seist in Form einer Novelle ergreifend darzustellen, zeigen die beiden Bilder vom
Begräbnis, die das Verkommen einer unglücklichen Familie schildern, dem Einhalt
zu thun der Pfarrer keine Macht hat. Was aber den Skizzen vor allem ihren Reiz
und ihren Wert giebt, das ist das Vermögen, das Koetsveld hat, und das eine
der schönsten Gaben eines Pfarrers ist, das kleinste im Lichte der Ewigkeit anzu¬
sehen. Je deutlicher dabei stets hervortritt, wie weit die Wirklichkeit hinter dem
Ideal zurücksteht, um so leuchtender erscheint dieses selbst, um so inniger er¬
greift uns der Trieb, ihm zuzustreben. Gedanken, die diese Empfindung stärken,
bieten uns die Skizzen auf jeder Seite. Koetsveld ist ein Realist, denn er be¬
schönigt nichts, sondert schildert, was er sieht und hört. Aber hinter und über
diesem Realismus steht durchdringend und verklärend der echt christliche Idealismus.

Eine besondre Freude werden an dem Buche junge Theologen haben, die
von den Erfahrungen Koetsvelds praktisch lernen können. Denn wenn auch diese
„Skizzen" bald zwei Menschenalter hinter sich haben, unter dem Landvolke, das sie
schildern, giebt es doch noch keinen „Geist der Zeiten," der sich schnell wie die
Kleidermode der Großstädter änderte. Aber mich jeder andre, der Sinn hat für
das, was wir an demi Buche gerühmt haben, wird es mit Befriedigung aus der
Hand legen.

Die Übersetzung entbehrt fast uirgeuds der Frische eines Originals; der
rührige Verleger hat deu Band hübsch ausgestattet und mit dem Bilde Koetsvelds
geschmückt, sodaß er sich auch durch sein Äußeres als eine schöne Gabe für
das deutsche Hans empfiehlt.






Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig
Verlag von Fr, Will). Grunow in Leipzig. — Druck von Carl Marquart in Leipzig
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[0536] Litteratur den Blick für alles das, was ein Menschen und Dingen charakteristisch ist, und läßt uns oft hinter der Skizze ein farbenreiches Bild schauen. Die Charakter¬ bilder, die er von den Honoratioren des Dorfes zeichnet, von Bürgermeister und Arzt, von Schulmeister und Rentner, dann von einigen Kreisbrüdern, d. h. be¬ nachbarten Kollegen, von dem Dorfschneidcr, der sich zu deu „Auserwählten" rechnet und dem Pfarrer sehr kritisch gegenübertritt, und seinem Gegenbilde, dem alten Schmied, geben nicht bloße Typen, sondern wahre Charakterköpfe. In den Abschnitten über die ersten Predigten, Hausbesuche, Katechisationen u. tgi. treten uus lebendig Erfahrungen entgegen, wie sie wohl keinem jungen Geistlichen zu machen erspart bleiben wird. Die Mordgeschichte vom Hahn des Bürgermeisters und die Schilderung vom Besuche des Onkels Johannes zeigen den Verfasser in Nöten, die mit der Heiterkeit getragen werden wollen, mit der sie Koetsvcld schildert. Daß es ihm aber auch uicht an Kraft gebricht, die ernstesten Erlebnisse seist in Form einer Novelle ergreifend darzustellen, zeigen die beiden Bilder vom Begräbnis, die das Verkommen einer unglücklichen Familie schildern, dem Einhalt zu thun der Pfarrer keine Macht hat. Was aber den Skizzen vor allem ihren Reiz und ihren Wert giebt, das ist das Vermögen, das Koetsveld hat, und das eine der schönsten Gaben eines Pfarrers ist, das kleinste im Lichte der Ewigkeit anzu¬ sehen. Je deutlicher dabei stets hervortritt, wie weit die Wirklichkeit hinter dem Ideal zurücksteht, um so leuchtender erscheint dieses selbst, um so inniger er¬ greift uns der Trieb, ihm zuzustreben. Gedanken, die diese Empfindung stärken, bieten uns die Skizzen auf jeder Seite. Koetsveld ist ein Realist, denn er be¬ schönigt nichts, sondert schildert, was er sieht und hört. Aber hinter und über diesem Realismus steht durchdringend und verklärend der echt christliche Idealismus. Eine besondre Freude werden an dem Buche junge Theologen haben, die von den Erfahrungen Koetsvelds praktisch lernen können. Denn wenn auch diese „Skizzen" bald zwei Menschenalter hinter sich haben, unter dem Landvolke, das sie schildern, giebt es doch noch keinen „Geist der Zeiten," der sich schnell wie die Kleidermode der Großstädter änderte. Aber mich jeder andre, der Sinn hat für das, was wir an demi Buche gerühmt haben, wird es mit Befriedigung aus der Hand legen. Die Übersetzung entbehrt fast uirgeuds der Frische eines Originals; der rührige Verleger hat deu Band hübsch ausgestattet und mit dem Bilde Koetsvelds geschmückt, sodaß er sich auch durch sein Äußeres als eine schöne Gabe für das deutsche Hans empfiehlt. Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig Verlag von Fr, Will). Grunow in Leipzig. — Druck von Carl Marquart in Leipzig

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/536>, abgerufen am 01.09.2024.