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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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wirtschaftlicher Partikularismus

kann. So wird, wenn es vielleicht in einer fernern Zukunft gelingen sollte,
diesen blühenden und kräftigen Nationalstaat herzustellen, im Inlande einer
von dem andern leben. Wozu brauchen wir dann noch das Ausland?

Daß wir gewisse Produkte gar nicht hervorbringen können, andre mit
viel geringerm Nutzen, als wenn wir sie aus dem Auslande beziehen, daß es
ein Fortschritt ist, wenn uns die Erzeugnisse ferner Weltteile zugänglich gemacht
werden, ein Fortschritt, wenn wir für das Ausland arbeiten und manche Er¬
zeugnisse dorthin billiger liefern, als sie an Ort und Stelle hervorgebracht
werden, wird von den Agrariern nicht anerkannt.'

Wie ansteckend diese Vorstellungen wirken, zeigt sich deutlich in dem
in den Vereinigten Staaten Nordamerikas sich abspielenden Wahlkampf. Hat
doch neulich auf der Versammlung der demokratischen Partei in Chicago der Pro¬
phet der Silberschwärmer, William Jennings Bryan, die Herzen seiner Zuhörer
entzückt, als er an den Nationalstolz und das Unabhängigkeitsgefühl des amerika¬
nischen Volkes appellierte, als er einen Vergleich anstellte zwischen der von hohem
Selbstbewußtsein zeugenden Unabhängigkeitserklärung der Vorfahren und dem
gegenwärtigen Streben nach wirtschaftlicher Unabhängigkeit vom Auslande.
Seine Worte bezogen sich freilich nicht auf die Schutzzollfrage, sondern auf
die Währungsfrage. Aber gerade in diesen Währungskämpfen tritt ja deut¬
lich der Irrtum hervor, daß ein sicherer Wertmesser, wie er durch die Ein¬
führung der Goldwährung festgesetzt worden ist, eine Fessel sei, wodurch
das Inland zu seinem eignen Schaden an das Ausland geknüpft und in Ab¬
hängigkeit von diesem gebracht werde. Die amerikanischen Fanatiker des
Bimetallismus verlangen, daß Amerika mit Einführung der Doppelwährung
auf eigne Hand vorgehe, wenn sich eine internationale Vereinbarung, wie sie
von den gemäßigtern Anhängern der Partei für notwendig erklärt wird, nicht
durchführen läßt. Diesem stürmischen Verlangen nach Doppelwährung liegt
ein tiefes Mißtrauen gegen das Kapital zu Grunde. Das Kapital hat
angeblich in der Goldwährung ein Mittel, die produktiven Stände aus¬
zubeuten. Und weil die ältern Kulturländer, namentlich England, einen
größern Kapitalreichtum besitzen, werden sie als Ausbeuter bezeichnet, die den
jungen emporstrebenden Niesen Amerika in seiner Entwicklung hemmen. So
wird denn jetzt in dem Wahlkampf populären Vorstellungen geschmeichelt, indem
man Mißtrauen und Feindschaft gegen England zu erregen sucht.

Es ist nicht zu verkeimen, daß der Kapitalhaß eine gewisse Berechtigung
hat. Gerade in den Vereinigten Staaten hat das Kapital viele Sünden be¬
gangen, die sich jetzt durch die dagegen erregte begreifliche Erbitterung rächen.
Aber so weit die Silbermänner wirklich in dem guten Glauben handeln, der
Volkswohlfahrt zu dienen, sind sie auf falscher Spur. Die Macht der Trusts
würde durch Doppelwährung am wenigsten gebrochen werden. Viel wirksamer
wäre der Kampf gegen das Schutzzollsystem, der jedoch gerade durch das Vor-


wirtschaftlicher Partikularismus

kann. So wird, wenn es vielleicht in einer fernern Zukunft gelingen sollte,
diesen blühenden und kräftigen Nationalstaat herzustellen, im Inlande einer
von dem andern leben. Wozu brauchen wir dann noch das Ausland?

Daß wir gewisse Produkte gar nicht hervorbringen können, andre mit
viel geringerm Nutzen, als wenn wir sie aus dem Auslande beziehen, daß es
ein Fortschritt ist, wenn uns die Erzeugnisse ferner Weltteile zugänglich gemacht
werden, ein Fortschritt, wenn wir für das Ausland arbeiten und manche Er¬
zeugnisse dorthin billiger liefern, als sie an Ort und Stelle hervorgebracht
werden, wird von den Agrariern nicht anerkannt.'

Wie ansteckend diese Vorstellungen wirken, zeigt sich deutlich in dem
in den Vereinigten Staaten Nordamerikas sich abspielenden Wahlkampf. Hat
doch neulich auf der Versammlung der demokratischen Partei in Chicago der Pro¬
phet der Silberschwärmer, William Jennings Bryan, die Herzen seiner Zuhörer
entzückt, als er an den Nationalstolz und das Unabhängigkeitsgefühl des amerika¬
nischen Volkes appellierte, als er einen Vergleich anstellte zwischen der von hohem
Selbstbewußtsein zeugenden Unabhängigkeitserklärung der Vorfahren und dem
gegenwärtigen Streben nach wirtschaftlicher Unabhängigkeit vom Auslande.
Seine Worte bezogen sich freilich nicht auf die Schutzzollfrage, sondern auf
die Währungsfrage. Aber gerade in diesen Währungskämpfen tritt ja deut¬
lich der Irrtum hervor, daß ein sicherer Wertmesser, wie er durch die Ein¬
führung der Goldwährung festgesetzt worden ist, eine Fessel sei, wodurch
das Inland zu seinem eignen Schaden an das Ausland geknüpft und in Ab¬
hängigkeit von diesem gebracht werde. Die amerikanischen Fanatiker des
Bimetallismus verlangen, daß Amerika mit Einführung der Doppelwährung
auf eigne Hand vorgehe, wenn sich eine internationale Vereinbarung, wie sie
von den gemäßigtern Anhängern der Partei für notwendig erklärt wird, nicht
durchführen läßt. Diesem stürmischen Verlangen nach Doppelwährung liegt
ein tiefes Mißtrauen gegen das Kapital zu Grunde. Das Kapital hat
angeblich in der Goldwährung ein Mittel, die produktiven Stände aus¬
zubeuten. Und weil die ältern Kulturländer, namentlich England, einen
größern Kapitalreichtum besitzen, werden sie als Ausbeuter bezeichnet, die den
jungen emporstrebenden Niesen Amerika in seiner Entwicklung hemmen. So
wird denn jetzt in dem Wahlkampf populären Vorstellungen geschmeichelt, indem
man Mißtrauen und Feindschaft gegen England zu erregen sucht.

Es ist nicht zu verkeimen, daß der Kapitalhaß eine gewisse Berechtigung
hat. Gerade in den Vereinigten Staaten hat das Kapital viele Sünden be¬
gangen, die sich jetzt durch die dagegen erregte begreifliche Erbitterung rächen.
Aber so weit die Silbermänner wirklich in dem guten Glauben handeln, der
Volkswohlfahrt zu dienen, sind sie auf falscher Spur. Die Macht der Trusts
würde durch Doppelwährung am wenigsten gebrochen werden. Viel wirksamer
wäre der Kampf gegen das Schutzzollsystem, der jedoch gerade durch das Vor-


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[0493] wirtschaftlicher Partikularismus kann. So wird, wenn es vielleicht in einer fernern Zukunft gelingen sollte, diesen blühenden und kräftigen Nationalstaat herzustellen, im Inlande einer von dem andern leben. Wozu brauchen wir dann noch das Ausland? Daß wir gewisse Produkte gar nicht hervorbringen können, andre mit viel geringerm Nutzen, als wenn wir sie aus dem Auslande beziehen, daß es ein Fortschritt ist, wenn uns die Erzeugnisse ferner Weltteile zugänglich gemacht werden, ein Fortschritt, wenn wir für das Ausland arbeiten und manche Er¬ zeugnisse dorthin billiger liefern, als sie an Ort und Stelle hervorgebracht werden, wird von den Agrariern nicht anerkannt.' Wie ansteckend diese Vorstellungen wirken, zeigt sich deutlich in dem in den Vereinigten Staaten Nordamerikas sich abspielenden Wahlkampf. Hat doch neulich auf der Versammlung der demokratischen Partei in Chicago der Pro¬ phet der Silberschwärmer, William Jennings Bryan, die Herzen seiner Zuhörer entzückt, als er an den Nationalstolz und das Unabhängigkeitsgefühl des amerika¬ nischen Volkes appellierte, als er einen Vergleich anstellte zwischen der von hohem Selbstbewußtsein zeugenden Unabhängigkeitserklärung der Vorfahren und dem gegenwärtigen Streben nach wirtschaftlicher Unabhängigkeit vom Auslande. Seine Worte bezogen sich freilich nicht auf die Schutzzollfrage, sondern auf die Währungsfrage. Aber gerade in diesen Währungskämpfen tritt ja deut¬ lich der Irrtum hervor, daß ein sicherer Wertmesser, wie er durch die Ein¬ führung der Goldwährung festgesetzt worden ist, eine Fessel sei, wodurch das Inland zu seinem eignen Schaden an das Ausland geknüpft und in Ab¬ hängigkeit von diesem gebracht werde. Die amerikanischen Fanatiker des Bimetallismus verlangen, daß Amerika mit Einführung der Doppelwährung auf eigne Hand vorgehe, wenn sich eine internationale Vereinbarung, wie sie von den gemäßigtern Anhängern der Partei für notwendig erklärt wird, nicht durchführen läßt. Diesem stürmischen Verlangen nach Doppelwährung liegt ein tiefes Mißtrauen gegen das Kapital zu Grunde. Das Kapital hat angeblich in der Goldwährung ein Mittel, die produktiven Stände aus¬ zubeuten. Und weil die ältern Kulturländer, namentlich England, einen größern Kapitalreichtum besitzen, werden sie als Ausbeuter bezeichnet, die den jungen emporstrebenden Niesen Amerika in seiner Entwicklung hemmen. So wird denn jetzt in dem Wahlkampf populären Vorstellungen geschmeichelt, indem man Mißtrauen und Feindschaft gegen England zu erregen sucht. Es ist nicht zu verkeimen, daß der Kapitalhaß eine gewisse Berechtigung hat. Gerade in den Vereinigten Staaten hat das Kapital viele Sünden be¬ gangen, die sich jetzt durch die dagegen erregte begreifliche Erbitterung rächen. Aber so weit die Silbermänner wirklich in dem guten Glauben handeln, der Volkswohlfahrt zu dienen, sind sie auf falscher Spur. Die Macht der Trusts würde durch Doppelwährung am wenigsten gebrochen werden. Viel wirksamer wäre der Kampf gegen das Schutzzollsystem, der jedoch gerade durch das Vor-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/493>, abgerufen am 01.09.2024.