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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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Ivirtschaftlicher Partikularisimis

bei einer Prüfung der Verträge zu deu entgegengesetzten Schlüssen und glauben,
daß gerade auf Seiten ihres Landes alle Nachteile zu finden seien. Was unser
handelspolitisches Verhältnis zu Mußland betrifft, so haben die beständigen
Klagen und Entstellungen unsrer Agrarier zunächst einen Federkrieg zwischen
russischen Blättern und unsern agrarischen zur Folge gehabt. Von russischer
Seite wird behauptet, daß unsre Regierung dem Geiste der Handelsverträge
nicht durchaus treu geblieben sei, daß sie in der Praxis zum Teil dagegen
verstoße. Diese Behauptung ist auch uicht ganz unbegründet. Dem von
den Agrariern auf die Gesetzgebung geübten Druck ist es zuzuschreiben, daß
das Bemühen, schutzzöllnerische Grundsätze wieder einzuschmuggeln, mehrfach
hervorgetreten ist. Das hindert natürlich die Agrarier nicht, den von russischer
Seite erhobnen Anklagen gegenüber die Gekränkten, Unschuldigen zu spielen.

Noch ernster aber könnten die Folgen sein, die das Treiben der Agrarier
für unsre handelspolitischen Beziehungen zu Amerika hat. Ist doch dort die
Schutzzollpartei neuerdings wieder erstarkt und hat die besten Aussichten , bei
der nächsten Präsidentenwahl zu siegen. Unsre Agrarier aber thun ihr mög¬
lichstes, das Feuer zu schüren. Die agrarische Bewegung bei uns hat drüben
das Mac Kinlehtum sozusagen großgezogen. Denn die Amerikaner sind
begreiflicherweise am empfindlichsten gegen jedes Bestreben, die Einfuhr ihrer
landwirtschaftlichen Produkte zu erschweren. Hieran aber liegt gerade den
Agrariern am meisten. So ist denn der Anlaß zum Streit gegeben. Wenn
mich eine Erhöhung der Getreidezölle vorläufig nicht durchführbar ist, so suchen
doch die Agrarier das Schutzzollsystem zu ergänzen, indem sie, angeblich aus
Gesundheitsrücksichten, die Vieheiufuhr zu erschweren suchen.

Die Agrarier fürchten deu wirtschaftlichen Kampf mit dem Auslande
nicht. Daß die Ansfuhriuteresscn unsrer Industrie geschädigt werden, macht
ihnen keine Sorgen, wenn nnr die Konkurrenz für die Landwirtschaft einge¬
schränkt wird. Aber sie geben sich deu Anschein, als ob sie nicht grund¬
sätzliche Gegner solcher handelspolitischen Vereinbarungen wären, die Er¬
leichterungen des Verkehrs schaffen. Man müsse es, behaupten sie, nur recht
anzufangen wissen, solche Vereinbarungen sür das eigne Land möglichst vorteil¬
haft zu gestalten. Und das wollen die Agrarier am besten verstehen, besser
als die zum Freihandel neigenden Politiker und die etwas von freihändlerischen
Grundsätzen angekränkelte Regierung. Man müsse, behaupten sie, das Ausland
mizuschüchteru suchen, indem man es merken lasse, wie Unentbehrlich ihm
""ser Markt sei. Sie stellen es so dar, als ob das Ausland gezwungen sei,
uns Zugeständnisse zu machen, während wir uns nicht in der gleichen Lage
befänden. Dieses Verfahren hätte beinahe dazu beigetragen, den russischen
Handelsvertrag zum Scheitern zu bringen, und es wird auch in Zukunft
ungünstige Folgen haben, wenn man solchen Ratschlägen Gehör giebt und
dem Auslande günstige Bedingungen abzutrotzen sucht. Denn die Wirkungen


Ivirtschaftlicher Partikularisimis

bei einer Prüfung der Verträge zu deu entgegengesetzten Schlüssen und glauben,
daß gerade auf Seiten ihres Landes alle Nachteile zu finden seien. Was unser
handelspolitisches Verhältnis zu Mußland betrifft, so haben die beständigen
Klagen und Entstellungen unsrer Agrarier zunächst einen Federkrieg zwischen
russischen Blättern und unsern agrarischen zur Folge gehabt. Von russischer
Seite wird behauptet, daß unsre Regierung dem Geiste der Handelsverträge
nicht durchaus treu geblieben sei, daß sie in der Praxis zum Teil dagegen
verstoße. Diese Behauptung ist auch uicht ganz unbegründet. Dem von
den Agrariern auf die Gesetzgebung geübten Druck ist es zuzuschreiben, daß
das Bemühen, schutzzöllnerische Grundsätze wieder einzuschmuggeln, mehrfach
hervorgetreten ist. Das hindert natürlich die Agrarier nicht, den von russischer
Seite erhobnen Anklagen gegenüber die Gekränkten, Unschuldigen zu spielen.

Noch ernster aber könnten die Folgen sein, die das Treiben der Agrarier
für unsre handelspolitischen Beziehungen zu Amerika hat. Ist doch dort die
Schutzzollpartei neuerdings wieder erstarkt und hat die besten Aussichten , bei
der nächsten Präsidentenwahl zu siegen. Unsre Agrarier aber thun ihr mög¬
lichstes, das Feuer zu schüren. Die agrarische Bewegung bei uns hat drüben
das Mac Kinlehtum sozusagen großgezogen. Denn die Amerikaner sind
begreiflicherweise am empfindlichsten gegen jedes Bestreben, die Einfuhr ihrer
landwirtschaftlichen Produkte zu erschweren. Hieran aber liegt gerade den
Agrariern am meisten. So ist denn der Anlaß zum Streit gegeben. Wenn
mich eine Erhöhung der Getreidezölle vorläufig nicht durchführbar ist, so suchen
doch die Agrarier das Schutzzollsystem zu ergänzen, indem sie, angeblich aus
Gesundheitsrücksichten, die Vieheiufuhr zu erschweren suchen.

Die Agrarier fürchten deu wirtschaftlichen Kampf mit dem Auslande
nicht. Daß die Ansfuhriuteresscn unsrer Industrie geschädigt werden, macht
ihnen keine Sorgen, wenn nnr die Konkurrenz für die Landwirtschaft einge¬
schränkt wird. Aber sie geben sich deu Anschein, als ob sie nicht grund¬
sätzliche Gegner solcher handelspolitischen Vereinbarungen wären, die Er¬
leichterungen des Verkehrs schaffen. Man müsse es, behaupten sie, nur recht
anzufangen wissen, solche Vereinbarungen sür das eigne Land möglichst vorteil¬
haft zu gestalten. Und das wollen die Agrarier am besten verstehen, besser
als die zum Freihandel neigenden Politiker und die etwas von freihändlerischen
Grundsätzen angekränkelte Regierung. Man müsse, behaupten sie, das Ausland
mizuschüchteru suchen, indem man es merken lasse, wie Unentbehrlich ihm
"»ser Markt sei. Sie stellen es so dar, als ob das Ausland gezwungen sei,
uns Zugeständnisse zu machen, während wir uns nicht in der gleichen Lage
befänden. Dieses Verfahren hätte beinahe dazu beigetragen, den russischen
Handelsvertrag zum Scheitern zu bringen, und es wird auch in Zukunft
ungünstige Folgen haben, wenn man solchen Ratschlägen Gehör giebt und
dem Auslande günstige Bedingungen abzutrotzen sucht. Denn die Wirkungen


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[0491] Ivirtschaftlicher Partikularisimis bei einer Prüfung der Verträge zu deu entgegengesetzten Schlüssen und glauben, daß gerade auf Seiten ihres Landes alle Nachteile zu finden seien. Was unser handelspolitisches Verhältnis zu Mußland betrifft, so haben die beständigen Klagen und Entstellungen unsrer Agrarier zunächst einen Federkrieg zwischen russischen Blättern und unsern agrarischen zur Folge gehabt. Von russischer Seite wird behauptet, daß unsre Regierung dem Geiste der Handelsverträge nicht durchaus treu geblieben sei, daß sie in der Praxis zum Teil dagegen verstoße. Diese Behauptung ist auch uicht ganz unbegründet. Dem von den Agrariern auf die Gesetzgebung geübten Druck ist es zuzuschreiben, daß das Bemühen, schutzzöllnerische Grundsätze wieder einzuschmuggeln, mehrfach hervorgetreten ist. Das hindert natürlich die Agrarier nicht, den von russischer Seite erhobnen Anklagen gegenüber die Gekränkten, Unschuldigen zu spielen. Noch ernster aber könnten die Folgen sein, die das Treiben der Agrarier für unsre handelspolitischen Beziehungen zu Amerika hat. Ist doch dort die Schutzzollpartei neuerdings wieder erstarkt und hat die besten Aussichten , bei der nächsten Präsidentenwahl zu siegen. Unsre Agrarier aber thun ihr mög¬ lichstes, das Feuer zu schüren. Die agrarische Bewegung bei uns hat drüben das Mac Kinlehtum sozusagen großgezogen. Denn die Amerikaner sind begreiflicherweise am empfindlichsten gegen jedes Bestreben, die Einfuhr ihrer landwirtschaftlichen Produkte zu erschweren. Hieran aber liegt gerade den Agrariern am meisten. So ist denn der Anlaß zum Streit gegeben. Wenn mich eine Erhöhung der Getreidezölle vorläufig nicht durchführbar ist, so suchen doch die Agrarier das Schutzzollsystem zu ergänzen, indem sie, angeblich aus Gesundheitsrücksichten, die Vieheiufuhr zu erschweren suchen. Die Agrarier fürchten deu wirtschaftlichen Kampf mit dem Auslande nicht. Daß die Ansfuhriuteresscn unsrer Industrie geschädigt werden, macht ihnen keine Sorgen, wenn nnr die Konkurrenz für die Landwirtschaft einge¬ schränkt wird. Aber sie geben sich deu Anschein, als ob sie nicht grund¬ sätzliche Gegner solcher handelspolitischen Vereinbarungen wären, die Er¬ leichterungen des Verkehrs schaffen. Man müsse es, behaupten sie, nur recht anzufangen wissen, solche Vereinbarungen sür das eigne Land möglichst vorteil¬ haft zu gestalten. Und das wollen die Agrarier am besten verstehen, besser als die zum Freihandel neigenden Politiker und die etwas von freihändlerischen Grundsätzen angekränkelte Regierung. Man müsse, behaupten sie, das Ausland mizuschüchteru suchen, indem man es merken lasse, wie Unentbehrlich ihm "»ser Markt sei. Sie stellen es so dar, als ob das Ausland gezwungen sei, uns Zugeständnisse zu machen, während wir uns nicht in der gleichen Lage befänden. Dieses Verfahren hätte beinahe dazu beigetragen, den russischen Handelsvertrag zum Scheitern zu bringen, und es wird auch in Zukunft ungünstige Folgen haben, wenn man solchen Ratschlägen Gehör giebt und dem Auslande günstige Bedingungen abzutrotzen sucht. Denn die Wirkungen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/491>, abgerufen am 01.09.2024.