Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.Die Alten und die Jungen Neben Fontäne hat man als selbständig aus deutscher Entwicklung her- Was außer Fontane und Wildenbruch den dem eigentlichen Sturm und Die Alten und die Jungen Neben Fontäne hat man als selbständig aus deutscher Entwicklung her- Was außer Fontane und Wildenbruch den dem eigentlichen Sturm und <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0424" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/223366"/> <fw type="header" place="top"> Die Alten und die Jungen</fw><lb/> <p xml:id="ID_1199"> Neben Fontäne hat man als selbständig aus deutscher Entwicklung her-<lb/> vorgewachseucn Dichter der neuen Zeit Ernst v. Wildenbruch stellen wollen,<lb/> der auch um 1882 seine Berühmtheit erlangte. Ich habe schon gesagt, daß<lb/> ich in den frühern Dramen Wildenbruchs ein decadentes Element finde;<lb/> auch seine starke „ Theatralität" ist vielleicht Decadence. Jedenfalls bedeutet<lb/> er künstlerisch, in der Geschichte des deutschen Dramas keinen Fortschritt, eher<lb/> einen starken Rückschritt gegen Kleist, Hebbel und Ludwig, gehört überhaupt<lb/> nicht zu den großen Charakteristikern, sondern zu den Schillerepigonen, zu<lb/> Friedrich Halm und verwandten Talenten. Verkennen wollen wir aber<lb/> nicht, daß er 1882 auf der deutschen Bühne allerdings einen Fortschritt, die<lb/> Wendung zum Bessern bezeichnete und durch seine im ganzen realistische, oft<lb/> freilich auch schwülstige, von Shakespeare und Kleist beeinflußte Sprache wie<lb/> durch seine nationale Empfindung und überhaupt sein kräftiges Temperament<lb/> einer von denen wurde, die uns vom Akademismus erlösten. Von seinen<lb/> Hohenzollerndramen, wegen deren ihn überschwängliche Verehrer mit Äschhlus<lb/> und Shakespeare verglichen, halte ich nichts, der eigentliche Dichter der Mark<lb/> ist und bleibt Willibald Alexis; Wildenbruchs Dramen aus der Gegenwart<lb/> sind naturalistische Experimente. Neuerdings ist er zum historischen Drama<lb/> alten Stils zurückgekehrt und hat mit einem „Heinrich IV." einen Erfolg errungen,<lb/> der vielleicht eine Abkehrung der Mode vom naturalistischen Drama anzeigt,<lb/> aber das Urteil über Wildenbruchs Talent nicht ändern kann.</p><lb/> <p xml:id="ID_1200" next="#ID_1201"> Was außer Fontane und Wildenbruch den dem eigentlichen Sturm und<lb/> Drang vorangehenden Dichtern der „Moderne" oder dem jüngsten Deutsch¬<lb/> land zugezählt wurde und noch wird, kann man ruhig als vom Ausland<lb/> beeinflußt hinstellen. Ich erwähne ganz kurz zunächst Hermann Heiberg<lb/> (geboren 1340 zu Schleswig), der spät zur Litteratur kam, 1881 mit den<lb/> „Plaudereien mit der Herzogin von Seeland" begann und 1383 den Roman<lb/> „Ausgetobt" schrieb. Man hat ihn als „Realisten der Nüchternheit" chamk-<lb/> terisirt, er hat aber auch starke naturalistische Wirkungen nicht verschmäht; im<lb/> ganzen ist er Unterhaltungsschriftsteller geblieben und, wie diese alle, sehr<lb/> ungleich. Viel entschiedner ein Mann der neuen Zeit war von vornherein<lb/> Max Kretzer (geb. 1854 zu Posen), mit den „Betrognen" (1882) und den<lb/> „Verkommnen" (1383) wohl der erste Nachahmer Zolas in Deutschland und<lb/> wohl auch ein diesem verwandtes kleineres Talent, so rasch ihn unsre Jüngsten<lb/> auch über Zola stellten. Er hat im Laufe seiner Entwicklung einzelne gute,<lb/> aber keineswegs bedeutende Romane geschrieben, die die genaue Kenntnis des<lb/> Volkes verraten, dem er selbst angehörte. Etwas später als Kretzer trat<lb/> Wilhelm Walloth hervor (geb. 1856 zu Darmstadt), zunächst mit ägyptischen<lb/> und römischen Romanen, die wahrer und feiner als die von Ebers und Ge¬<lb/> nossen waren, dazu aber auch raffinirter, von der Decadence stärker beeinflußt.<lb/> Später schrieb er moderne Romane, die psychologisch gleichfalls fein, aber auch</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0424]
Die Alten und die Jungen
Neben Fontäne hat man als selbständig aus deutscher Entwicklung her-
vorgewachseucn Dichter der neuen Zeit Ernst v. Wildenbruch stellen wollen,
der auch um 1882 seine Berühmtheit erlangte. Ich habe schon gesagt, daß
ich in den frühern Dramen Wildenbruchs ein decadentes Element finde;
auch seine starke „ Theatralität" ist vielleicht Decadence. Jedenfalls bedeutet
er künstlerisch, in der Geschichte des deutschen Dramas keinen Fortschritt, eher
einen starken Rückschritt gegen Kleist, Hebbel und Ludwig, gehört überhaupt
nicht zu den großen Charakteristikern, sondern zu den Schillerepigonen, zu
Friedrich Halm und verwandten Talenten. Verkennen wollen wir aber
nicht, daß er 1882 auf der deutschen Bühne allerdings einen Fortschritt, die
Wendung zum Bessern bezeichnete und durch seine im ganzen realistische, oft
freilich auch schwülstige, von Shakespeare und Kleist beeinflußte Sprache wie
durch seine nationale Empfindung und überhaupt sein kräftiges Temperament
einer von denen wurde, die uns vom Akademismus erlösten. Von seinen
Hohenzollerndramen, wegen deren ihn überschwängliche Verehrer mit Äschhlus
und Shakespeare verglichen, halte ich nichts, der eigentliche Dichter der Mark
ist und bleibt Willibald Alexis; Wildenbruchs Dramen aus der Gegenwart
sind naturalistische Experimente. Neuerdings ist er zum historischen Drama
alten Stils zurückgekehrt und hat mit einem „Heinrich IV." einen Erfolg errungen,
der vielleicht eine Abkehrung der Mode vom naturalistischen Drama anzeigt,
aber das Urteil über Wildenbruchs Talent nicht ändern kann.
Was außer Fontane und Wildenbruch den dem eigentlichen Sturm und
Drang vorangehenden Dichtern der „Moderne" oder dem jüngsten Deutsch¬
land zugezählt wurde und noch wird, kann man ruhig als vom Ausland
beeinflußt hinstellen. Ich erwähne ganz kurz zunächst Hermann Heiberg
(geboren 1340 zu Schleswig), der spät zur Litteratur kam, 1881 mit den
„Plaudereien mit der Herzogin von Seeland" begann und 1383 den Roman
„Ausgetobt" schrieb. Man hat ihn als „Realisten der Nüchternheit" chamk-
terisirt, er hat aber auch starke naturalistische Wirkungen nicht verschmäht; im
ganzen ist er Unterhaltungsschriftsteller geblieben und, wie diese alle, sehr
ungleich. Viel entschiedner ein Mann der neuen Zeit war von vornherein
Max Kretzer (geb. 1854 zu Posen), mit den „Betrognen" (1882) und den
„Verkommnen" (1383) wohl der erste Nachahmer Zolas in Deutschland und
wohl auch ein diesem verwandtes kleineres Talent, so rasch ihn unsre Jüngsten
auch über Zola stellten. Er hat im Laufe seiner Entwicklung einzelne gute,
aber keineswegs bedeutende Romane geschrieben, die die genaue Kenntnis des
Volkes verraten, dem er selbst angehörte. Etwas später als Kretzer trat
Wilhelm Walloth hervor (geb. 1856 zu Darmstadt), zunächst mit ägyptischen
und römischen Romanen, die wahrer und feiner als die von Ebers und Ge¬
nossen waren, dazu aber auch raffinirter, von der Decadence stärker beeinflußt.
Später schrieb er moderne Romane, die psychologisch gleichfalls fein, aber auch
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