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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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Die Alten und die Jungen

Drang der Jugend kommen mußte, der. bessern Jugend; die Ncichsflitter-
wochenzeit war lange vorbei, die konventionelle Lüge, wie wir es so herrlich
weit gebracht, hielt vor dem Ansturm der sozialen Fragen nicht mehr stand.

Man hat den internationalen Zug der jüngsten litterarischen Bewegung
scharf getadelt, wie ich nachgewiesen zu haben glaube, mit Unrecht. Aber
das jüngste Deutschland Hütte sich schneller vom Auslande freimachen, schneller
die künstlerischen Schwächen, die Einseitigkeit seiner fremden Vorbilder erkennen
sollen? Das ist leicht gesagt. Wer war denn schuld, das das Geschlecht von
1870 ohne alle künstlerischen Ideen aufwuchs, wer verleidete ihm denn seine
Klassiker und lehrte es die tief eindringende Ästhetik Hebbels und Ludwigs gar
nicht kennen? Mit dem allgemeinen Raisonnement gegen das cngeSkandinaviertum
Ibsens, gegen Zolas Romanismus in geschlechtlichen Dingen -- und noch heilte
ist man darüber nicht hinaus -- war doch nichts gethan, mit Redensarten
macht man kein wirkliches Leben tot. Auch die Empfehlung des nationalen,
d. h. preußischen Dichters Ernst von Wildenbruch als Muster und Vorbild
konnte es nicht thun, zumal da Wildenbruch dann selbst noch recht hübsch tief
in den Naturalismus hineingeriet. Aber die fortwährende Hinweisung auf
alles, was wirklich groß und bedeutend ist und zugleich in die Gegenwart fort¬
wirkt in unsrer Litteratur, hätte manchmal nützen können, eine Hinweisung
auf die dnrch die Münchner nnterbrochne Entwicklung der fünfziger Jahre vor
allen Dingen, an die wieder anzuknüpfen sei. Daran dachte aber niemand,
und wenn um doch so etwas wie diese Anknüpfung bevorzustehen scheint, so
hat sich die junge Generation selbst dazu durchringen müssen. Es ist vielleicht
auch am besten so, aber die Aufregung des Sturms und Drangs und der
wüste Parteikampf -- schön waren sie nicht.

Einen deutschen Dichter giebt es übrigens, der, durchaus modern im Sinne
der "Modernen," dem Ausland eigentlich nichts verdankt. Das ist Theodor
Fontäne, der in den fünfziger Jahren als Balladendichter im englischen Stil
hervorgetreten war und den Münchnern nicht fern gestanden hatte, dann zu¬
nächst der Schilderer seiner märkischen Heimat geworden war, darauf seit 1876
historische Romane geschrieben hatte und nun, in dem merkwürdigen Jahr 1882,
seinen ersten modernen Roman "L'Adultera" herausgab. Der Weg, auf dem
Fontane zu seiner dem fremden Naturalismus, wenn nicht dem Zolas, so
etwa dem der Gebrüder Goncourt, wenigstens verwandten Nomanproduktion
kam, ist von ihm selbst, in seinem Buche "Scherenberg und das litterarische
Berlin von 1840 bis 1860" angegeben worden; es war dem Dichter die
Erkenntnis aufgegangen, .daß unsre akademische Litteratur einer Auffrischung
durch die Originalität, wäre es auch die Originalität um jeden Preis, bedürfe:
"Originelle Dichtungen sind nnn freilich noch lange nicht schöne Dichtungen,
und dem Grundwesen der Kunst nach wird das bloß Originelle hinter dem
Schönen immer zurückzustehen haben. Gewiß, und ich bin der letzte, der an


Die Alten und die Jungen

Drang der Jugend kommen mußte, der. bessern Jugend; die Ncichsflitter-
wochenzeit war lange vorbei, die konventionelle Lüge, wie wir es so herrlich
weit gebracht, hielt vor dem Ansturm der sozialen Fragen nicht mehr stand.

Man hat den internationalen Zug der jüngsten litterarischen Bewegung
scharf getadelt, wie ich nachgewiesen zu haben glaube, mit Unrecht. Aber
das jüngste Deutschland Hütte sich schneller vom Auslande freimachen, schneller
die künstlerischen Schwächen, die Einseitigkeit seiner fremden Vorbilder erkennen
sollen? Das ist leicht gesagt. Wer war denn schuld, das das Geschlecht von
1870 ohne alle künstlerischen Ideen aufwuchs, wer verleidete ihm denn seine
Klassiker und lehrte es die tief eindringende Ästhetik Hebbels und Ludwigs gar
nicht kennen? Mit dem allgemeinen Raisonnement gegen das cngeSkandinaviertum
Ibsens, gegen Zolas Romanismus in geschlechtlichen Dingen — und noch heilte
ist man darüber nicht hinaus — war doch nichts gethan, mit Redensarten
macht man kein wirkliches Leben tot. Auch die Empfehlung des nationalen,
d. h. preußischen Dichters Ernst von Wildenbruch als Muster und Vorbild
konnte es nicht thun, zumal da Wildenbruch dann selbst noch recht hübsch tief
in den Naturalismus hineingeriet. Aber die fortwährende Hinweisung auf
alles, was wirklich groß und bedeutend ist und zugleich in die Gegenwart fort¬
wirkt in unsrer Litteratur, hätte manchmal nützen können, eine Hinweisung
auf die dnrch die Münchner nnterbrochne Entwicklung der fünfziger Jahre vor
allen Dingen, an die wieder anzuknüpfen sei. Daran dachte aber niemand,
und wenn um doch so etwas wie diese Anknüpfung bevorzustehen scheint, so
hat sich die junge Generation selbst dazu durchringen müssen. Es ist vielleicht
auch am besten so, aber die Aufregung des Sturms und Drangs und der
wüste Parteikampf — schön waren sie nicht.

Einen deutschen Dichter giebt es übrigens, der, durchaus modern im Sinne
der „Modernen," dem Ausland eigentlich nichts verdankt. Das ist Theodor
Fontäne, der in den fünfziger Jahren als Balladendichter im englischen Stil
hervorgetreten war und den Münchnern nicht fern gestanden hatte, dann zu¬
nächst der Schilderer seiner märkischen Heimat geworden war, darauf seit 1876
historische Romane geschrieben hatte und nun, in dem merkwürdigen Jahr 1882,
seinen ersten modernen Roman „L'Adultera" herausgab. Der Weg, auf dem
Fontane zu seiner dem fremden Naturalismus, wenn nicht dem Zolas, so
etwa dem der Gebrüder Goncourt, wenigstens verwandten Nomanproduktion
kam, ist von ihm selbst, in seinem Buche „Scherenberg und das litterarische
Berlin von 1840 bis 1860" angegeben worden; es war dem Dichter die
Erkenntnis aufgegangen, .daß unsre akademische Litteratur einer Auffrischung
durch die Originalität, wäre es auch die Originalität um jeden Preis, bedürfe:
„Originelle Dichtungen sind nnn freilich noch lange nicht schöne Dichtungen,
und dem Grundwesen der Kunst nach wird das bloß Originelle hinter dem
Schönen immer zurückzustehen haben. Gewiß, und ich bin der letzte, der an


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[0422] Die Alten und die Jungen Drang der Jugend kommen mußte, der. bessern Jugend; die Ncichsflitter- wochenzeit war lange vorbei, die konventionelle Lüge, wie wir es so herrlich weit gebracht, hielt vor dem Ansturm der sozialen Fragen nicht mehr stand. Man hat den internationalen Zug der jüngsten litterarischen Bewegung scharf getadelt, wie ich nachgewiesen zu haben glaube, mit Unrecht. Aber das jüngste Deutschland Hütte sich schneller vom Auslande freimachen, schneller die künstlerischen Schwächen, die Einseitigkeit seiner fremden Vorbilder erkennen sollen? Das ist leicht gesagt. Wer war denn schuld, das das Geschlecht von 1870 ohne alle künstlerischen Ideen aufwuchs, wer verleidete ihm denn seine Klassiker und lehrte es die tief eindringende Ästhetik Hebbels und Ludwigs gar nicht kennen? Mit dem allgemeinen Raisonnement gegen das cngeSkandinaviertum Ibsens, gegen Zolas Romanismus in geschlechtlichen Dingen — und noch heilte ist man darüber nicht hinaus — war doch nichts gethan, mit Redensarten macht man kein wirkliches Leben tot. Auch die Empfehlung des nationalen, d. h. preußischen Dichters Ernst von Wildenbruch als Muster und Vorbild konnte es nicht thun, zumal da Wildenbruch dann selbst noch recht hübsch tief in den Naturalismus hineingeriet. Aber die fortwährende Hinweisung auf alles, was wirklich groß und bedeutend ist und zugleich in die Gegenwart fort¬ wirkt in unsrer Litteratur, hätte manchmal nützen können, eine Hinweisung auf die dnrch die Münchner nnterbrochne Entwicklung der fünfziger Jahre vor allen Dingen, an die wieder anzuknüpfen sei. Daran dachte aber niemand, und wenn um doch so etwas wie diese Anknüpfung bevorzustehen scheint, so hat sich die junge Generation selbst dazu durchringen müssen. Es ist vielleicht auch am besten so, aber die Aufregung des Sturms und Drangs und der wüste Parteikampf — schön waren sie nicht. Einen deutschen Dichter giebt es übrigens, der, durchaus modern im Sinne der „Modernen," dem Ausland eigentlich nichts verdankt. Das ist Theodor Fontäne, der in den fünfziger Jahren als Balladendichter im englischen Stil hervorgetreten war und den Münchnern nicht fern gestanden hatte, dann zu¬ nächst der Schilderer seiner märkischen Heimat geworden war, darauf seit 1876 historische Romane geschrieben hatte und nun, in dem merkwürdigen Jahr 1882, seinen ersten modernen Roman „L'Adultera" herausgab. Der Weg, auf dem Fontane zu seiner dem fremden Naturalismus, wenn nicht dem Zolas, so etwa dem der Gebrüder Goncourt, wenigstens verwandten Nomanproduktion kam, ist von ihm selbst, in seinem Buche „Scherenberg und das litterarische Berlin von 1840 bis 1860" angegeben worden; es war dem Dichter die Erkenntnis aufgegangen, .daß unsre akademische Litteratur einer Auffrischung durch die Originalität, wäre es auch die Originalität um jeden Preis, bedürfe: „Originelle Dichtungen sind nnn freilich noch lange nicht schöne Dichtungen, und dem Grundwesen der Kunst nach wird das bloß Originelle hinter dem Schönen immer zurückzustehen haben. Gewiß, und ich bin der letzte, der an

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/422>, abgerufen am 01.09.2024.