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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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Die Haustiere und das Mirtschafisleben der Völker

auf die schwankende Zufuhr des Regens angewiesen! Der gedrückte und ge¬
knechtete Ackerbauer Turkestans, der Sarde, sieht einen landwirtschaftlichen
Betrieb, der l^loß vom Regen abhängt, für so untergeordnet an, daß er höchstens
Kirgisen und dergleichen Leuten ansteht Auslese!j. . . . Durch künstliche Be¬
wässerung würden bei uns gerade die trocknen Jahre die allerfruchtbarsten,
die Mißernten blieben dann nur noch dnrch ^ Regen zu fürchten. Ein Blick
auf irgend eine Höhenschichtenkarte genügt auch, zu zeigen, daß in Deutschland,
Frankreich, England, im Gebiet des Hügel- und Tieflandes noch große Distrikte
ohne große Mühe sich bewässern lassen. Mau wird mir einwenden, wo sollen
denn die ungeheuern Kapitalien herkommen, die dazu nötig sind? Wie, unser
vielgerühmtes, so hoch entwickeltes wirtschaftliches System ^System? j könnte
nicht einmal einer so einfachen Aufgabe genügen? Vor einiger Zeit war aller¬
dings davon die Rede, daß der Staat bei uns die notwendigen Kanäle bauen
muß, weil zu einem erschwinglichen Zinsfuß dafür kein Geld zu haben ist.
Ist das nicht eine köstliche Illustrativ" unsers Systems? Wir müssen zu dem
Umwege der staatlichen Initiative greisen, weil wir so eifrig beschäftigt sind,
unsre ersparten Gelder zu hohem Zins in Argentinien und in Griechenland
zu verlieren, daß wir kein Geld übrig haben, die Produktionskraft unsers
Vaterlandes naturgemäß zu entwickeln. Wie meilenhvch stehen wir doch über
den alten Königen Ägyptens und Vabyloniens! Die bauten ^mit den Hilfs¬
mitteln der Technik von vor viertausend Jahren^ hohe Dämme und ungeheure
Kanäle, die jetzt noch ihren Dienst thun, und hatten in ihrer verstockten Bar¬
barei vou Verzinsung, Amortisation und dergleichen nicht die blasse Idee!"
(S. 416 bis 419). Hahn glaubt, daß in der Euphratniederung, in Syrien
und in den übrigen verwahrlosten Gegenden des Orients die Bedingungen
ihrer ehemaligen Fruchtbarkeit auch heute noch vorhanden seien, und daß die
Wiederbelebung der alten sorgfältigen Bodenkultur aus ihnen die lohnendsten
Kolouialgebiete machen würde.

Aus der Betrachtung jener alten und bei den "Barbaren" oder "Wilden"
zum Teil heute noch bestehenden Kulturarten zieht der Verfasser den Schluß,
daß sich die Landwirtschaft der zivilisirten Völker vielfach in einer falschen
Richtung fortentwickle. Er findet es höchst bedenklich, daß "in Kalifornien
der Gartenbau, der besonders Früchte ^soll wohl heißen Obst^ erzeugt, durch den
hyperindnstriellen Großbetrieb ganz in die Plantagenwirtschaft hineingernten ist.
Statt, wie es naturgemäß sein sollte, vielen taufenden Kleinbesitzern dnrch
Gemüseknltur und Obst eine ausreichende Existenz zu gewähren, werden diese
Obstplantagen in Großbetrieb gehalten. Sie beschäftigen daher nur kurze Zeit,
während der Ernte, viele tausend Gelegenheitsarbeiter, sie verschulden (?)einen
großen Teil der allzustarken Fluktuation der Arbeiterbevölkerung in der Union
und nehmen ihr die Gelegenheit zum Seßhaftwerden. Das Obst aber geht
vom Baum in die Darre und Blechdosen, um, Gott weiß wen, mir nicht die


Die Haustiere und das Mirtschafisleben der Völker

auf die schwankende Zufuhr des Regens angewiesen! Der gedrückte und ge¬
knechtete Ackerbauer Turkestans, der Sarde, sieht einen landwirtschaftlichen
Betrieb, der l^loß vom Regen abhängt, für so untergeordnet an, daß er höchstens
Kirgisen und dergleichen Leuten ansteht Auslese!j. . . . Durch künstliche Be¬
wässerung würden bei uns gerade die trocknen Jahre die allerfruchtbarsten,
die Mißernten blieben dann nur noch dnrch ^ Regen zu fürchten. Ein Blick
auf irgend eine Höhenschichtenkarte genügt auch, zu zeigen, daß in Deutschland,
Frankreich, England, im Gebiet des Hügel- und Tieflandes noch große Distrikte
ohne große Mühe sich bewässern lassen. Mau wird mir einwenden, wo sollen
denn die ungeheuern Kapitalien herkommen, die dazu nötig sind? Wie, unser
vielgerühmtes, so hoch entwickeltes wirtschaftliches System ^System? j könnte
nicht einmal einer so einfachen Aufgabe genügen? Vor einiger Zeit war aller¬
dings davon die Rede, daß der Staat bei uns die notwendigen Kanäle bauen
muß, weil zu einem erschwinglichen Zinsfuß dafür kein Geld zu haben ist.
Ist das nicht eine köstliche Illustrativ» unsers Systems? Wir müssen zu dem
Umwege der staatlichen Initiative greisen, weil wir so eifrig beschäftigt sind,
unsre ersparten Gelder zu hohem Zins in Argentinien und in Griechenland
zu verlieren, daß wir kein Geld übrig haben, die Produktionskraft unsers
Vaterlandes naturgemäß zu entwickeln. Wie meilenhvch stehen wir doch über
den alten Königen Ägyptens und Vabyloniens! Die bauten ^mit den Hilfs¬
mitteln der Technik von vor viertausend Jahren^ hohe Dämme und ungeheure
Kanäle, die jetzt noch ihren Dienst thun, und hatten in ihrer verstockten Bar¬
barei vou Verzinsung, Amortisation und dergleichen nicht die blasse Idee!"
(S. 416 bis 419). Hahn glaubt, daß in der Euphratniederung, in Syrien
und in den übrigen verwahrlosten Gegenden des Orients die Bedingungen
ihrer ehemaligen Fruchtbarkeit auch heute noch vorhanden seien, und daß die
Wiederbelebung der alten sorgfältigen Bodenkultur aus ihnen die lohnendsten
Kolouialgebiete machen würde.

Aus der Betrachtung jener alten und bei den „Barbaren" oder „Wilden"
zum Teil heute noch bestehenden Kulturarten zieht der Verfasser den Schluß,
daß sich die Landwirtschaft der zivilisirten Völker vielfach in einer falschen
Richtung fortentwickle. Er findet es höchst bedenklich, daß „in Kalifornien
der Gartenbau, der besonders Früchte ^soll wohl heißen Obst^ erzeugt, durch den
hyperindnstriellen Großbetrieb ganz in die Plantagenwirtschaft hineingernten ist.
Statt, wie es naturgemäß sein sollte, vielen taufenden Kleinbesitzern dnrch
Gemüseknltur und Obst eine ausreichende Existenz zu gewähren, werden diese
Obstplantagen in Großbetrieb gehalten. Sie beschäftigen daher nur kurze Zeit,
während der Ernte, viele tausend Gelegenheitsarbeiter, sie verschulden (?)einen
großen Teil der allzustarken Fluktuation der Arbeiterbevölkerung in der Union
und nehmen ihr die Gelegenheit zum Seßhaftwerden. Das Obst aber geht
vom Baum in die Darre und Blechdosen, um, Gott weiß wen, mir nicht die


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[0412] Die Haustiere und das Mirtschafisleben der Völker auf die schwankende Zufuhr des Regens angewiesen! Der gedrückte und ge¬ knechtete Ackerbauer Turkestans, der Sarde, sieht einen landwirtschaftlichen Betrieb, der l^loß vom Regen abhängt, für so untergeordnet an, daß er höchstens Kirgisen und dergleichen Leuten ansteht Auslese!j. . . . Durch künstliche Be¬ wässerung würden bei uns gerade die trocknen Jahre die allerfruchtbarsten, die Mißernten blieben dann nur noch dnrch ^ Regen zu fürchten. Ein Blick auf irgend eine Höhenschichtenkarte genügt auch, zu zeigen, daß in Deutschland, Frankreich, England, im Gebiet des Hügel- und Tieflandes noch große Distrikte ohne große Mühe sich bewässern lassen. Mau wird mir einwenden, wo sollen denn die ungeheuern Kapitalien herkommen, die dazu nötig sind? Wie, unser vielgerühmtes, so hoch entwickeltes wirtschaftliches System ^System? j könnte nicht einmal einer so einfachen Aufgabe genügen? Vor einiger Zeit war aller¬ dings davon die Rede, daß der Staat bei uns die notwendigen Kanäle bauen muß, weil zu einem erschwinglichen Zinsfuß dafür kein Geld zu haben ist. Ist das nicht eine köstliche Illustrativ» unsers Systems? Wir müssen zu dem Umwege der staatlichen Initiative greisen, weil wir so eifrig beschäftigt sind, unsre ersparten Gelder zu hohem Zins in Argentinien und in Griechenland zu verlieren, daß wir kein Geld übrig haben, die Produktionskraft unsers Vaterlandes naturgemäß zu entwickeln. Wie meilenhvch stehen wir doch über den alten Königen Ägyptens und Vabyloniens! Die bauten ^mit den Hilfs¬ mitteln der Technik von vor viertausend Jahren^ hohe Dämme und ungeheure Kanäle, die jetzt noch ihren Dienst thun, und hatten in ihrer verstockten Bar¬ barei vou Verzinsung, Amortisation und dergleichen nicht die blasse Idee!" (S. 416 bis 419). Hahn glaubt, daß in der Euphratniederung, in Syrien und in den übrigen verwahrlosten Gegenden des Orients die Bedingungen ihrer ehemaligen Fruchtbarkeit auch heute noch vorhanden seien, und daß die Wiederbelebung der alten sorgfältigen Bodenkultur aus ihnen die lohnendsten Kolouialgebiete machen würde. Aus der Betrachtung jener alten und bei den „Barbaren" oder „Wilden" zum Teil heute noch bestehenden Kulturarten zieht der Verfasser den Schluß, daß sich die Landwirtschaft der zivilisirten Völker vielfach in einer falschen Richtung fortentwickle. Er findet es höchst bedenklich, daß „in Kalifornien der Gartenbau, der besonders Früchte ^soll wohl heißen Obst^ erzeugt, durch den hyperindnstriellen Großbetrieb ganz in die Plantagenwirtschaft hineingernten ist. Statt, wie es naturgemäß sein sollte, vielen taufenden Kleinbesitzern dnrch Gemüseknltur und Obst eine ausreichende Existenz zu gewähren, werden diese Obstplantagen in Großbetrieb gehalten. Sie beschäftigen daher nur kurze Zeit, während der Ernte, viele tausend Gelegenheitsarbeiter, sie verschulden (?)einen großen Teil der allzustarken Fluktuation der Arbeiterbevölkerung in der Union und nehmen ihr die Gelegenheit zum Seßhaftwerden. Das Obst aber geht vom Baum in die Darre und Blechdosen, um, Gott weiß wen, mir nicht die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/412>, abgerufen am 06.10.2024.