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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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Volkskunst, Bauernkunst und nationale Architektur

mit neuen Baugedanken werden entstehen sehen, daran denkt einstweilen wohl
niemand. Es genügt gerade, daß wir die vorhandnen und zugänglichen Ge¬
danken noch verstehen und praktisch zu gebrauchen wissen. Was hat man früher
von dem "Eisenstil" gehofft! Und was ist abgesehen von dem Nutzbau dabei
herausgekommen? Neumann spricht darüber sehr gut. Das Eisen kann die
weitesten Minne überdecken. Aber weiter, als die menschliche Stimme reicht,
kann sich eine Kirche, ein Theater, ein Musik- oder Sprechsaal nicht wohl aus¬
dehnen, und das sind Maße, denen die älteren Baustoffe für die Raumdeckung
annähernd genügen. Da das Eisen, das viel mehr leistet, hauptsächlich als
Raumdccke benutzt wird, aber in seiner ganzen Leistungsfähigkeit gar nicht aus¬
nutzt werden kann, so darf man seinen Einfluß auf die Stilbildung nicht hoch
anschlagen-

Nur in einem Punkte können wir dem Verfasser nicht beistimmen, daß
nämlich um die Erziehung des Volkes zum Verstehen des Schönen durch Auf¬
stellung schöner Gebäude die -- PostVerwaltung ein großes Verdienst habe.
Wir sind der Meinung, daß dieses Geld anders und besser hätte angewandt
werden können. Denn die Neichspost ist und bleibt doch schließlich nur eine
Verkehrsanstalt und keine Neprüsentativnseinrichtung. Der Verfasser sagt
zwar: "Die Negierung und mit ihr die Vertretung des Volkes sollte sich nie¬
mals durch allzuängstliche Sorge um das augenblickliche Gleichgewicht des
Etats zu übermäßiger Sparsamkeit in Angelegenheiten der dem Volke zugäng¬
lichen Kunst veranlaßt fühlen." Aber damit wird er Wohl keinen Eindruck
machen. Denn leider hat die Regierung oder sagen wir auch: unser Volk
einstweilen noch wichtigeres zu thun, als schöne Postgebäude zu bauen. Über¬
haupt ist die "Schönheit," so schön sie auch ist, da sie Geld kostet, nicht das
Nächstliegende. Vieles andre muß erst da sein. Aber es ist begreiflich, daß
jeder seine Sache, je ernsthafter er sich mit ihr beschäftigt, um so eher auch
als "national" anzusehen geneigt ist. Früher hatten wir zu wenig von
diesem Streben, alles auf die Gesamtheit zu beziehen und in das politische
Leben ausmünden zu lassen. Jetzt wird es dessen manchmal ein bischen
zu viel. Aber das schadet nichts. So lange Bücher in dem Bereiche theore¬
tischer Betrachtung bleiben, erfreuen sie uns durch Belehrung und Unterhaltung.
Werden sie aktuell, soll der "Racker vou Staat" zu den Lasten der Beschäftigungen
eines Verfassers herangezogen werden, dann -- wirds gewöhnlich schwach.
Ach, wie schwer ist es doch, in sozialen Fragen, zu denen diese ja doch auch
gehören, etwas neues und dabei doch brauchbares zu sagen!




Volkskunst, Bauernkunst und nationale Architektur

mit neuen Baugedanken werden entstehen sehen, daran denkt einstweilen wohl
niemand. Es genügt gerade, daß wir die vorhandnen und zugänglichen Ge¬
danken noch verstehen und praktisch zu gebrauchen wissen. Was hat man früher
von dem „Eisenstil" gehofft! Und was ist abgesehen von dem Nutzbau dabei
herausgekommen? Neumann spricht darüber sehr gut. Das Eisen kann die
weitesten Minne überdecken. Aber weiter, als die menschliche Stimme reicht,
kann sich eine Kirche, ein Theater, ein Musik- oder Sprechsaal nicht wohl aus¬
dehnen, und das sind Maße, denen die älteren Baustoffe für die Raumdeckung
annähernd genügen. Da das Eisen, das viel mehr leistet, hauptsächlich als
Raumdccke benutzt wird, aber in seiner ganzen Leistungsfähigkeit gar nicht aus¬
nutzt werden kann, so darf man seinen Einfluß auf die Stilbildung nicht hoch
anschlagen-

Nur in einem Punkte können wir dem Verfasser nicht beistimmen, daß
nämlich um die Erziehung des Volkes zum Verstehen des Schönen durch Auf¬
stellung schöner Gebäude die — PostVerwaltung ein großes Verdienst habe.
Wir sind der Meinung, daß dieses Geld anders und besser hätte angewandt
werden können. Denn die Neichspost ist und bleibt doch schließlich nur eine
Verkehrsanstalt und keine Neprüsentativnseinrichtung. Der Verfasser sagt
zwar: „Die Negierung und mit ihr die Vertretung des Volkes sollte sich nie¬
mals durch allzuängstliche Sorge um das augenblickliche Gleichgewicht des
Etats zu übermäßiger Sparsamkeit in Angelegenheiten der dem Volke zugäng¬
lichen Kunst veranlaßt fühlen." Aber damit wird er Wohl keinen Eindruck
machen. Denn leider hat die Regierung oder sagen wir auch: unser Volk
einstweilen noch wichtigeres zu thun, als schöne Postgebäude zu bauen. Über¬
haupt ist die „Schönheit," so schön sie auch ist, da sie Geld kostet, nicht das
Nächstliegende. Vieles andre muß erst da sein. Aber es ist begreiflich, daß
jeder seine Sache, je ernsthafter er sich mit ihr beschäftigt, um so eher auch
als „national" anzusehen geneigt ist. Früher hatten wir zu wenig von
diesem Streben, alles auf die Gesamtheit zu beziehen und in das politische
Leben ausmünden zu lassen. Jetzt wird es dessen manchmal ein bischen
zu viel. Aber das schadet nichts. So lange Bücher in dem Bereiche theore¬
tischer Betrachtung bleiben, erfreuen sie uns durch Belehrung und Unterhaltung.
Werden sie aktuell, soll der „Racker vou Staat" zu den Lasten der Beschäftigungen
eines Verfassers herangezogen werden, dann — wirds gewöhnlich schwach.
Ach, wie schwer ist es doch, in sozialen Fragen, zu denen diese ja doch auch
gehören, etwas neues und dabei doch brauchbares zu sagen!




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[0389] Volkskunst, Bauernkunst und nationale Architektur mit neuen Baugedanken werden entstehen sehen, daran denkt einstweilen wohl niemand. Es genügt gerade, daß wir die vorhandnen und zugänglichen Ge¬ danken noch verstehen und praktisch zu gebrauchen wissen. Was hat man früher von dem „Eisenstil" gehofft! Und was ist abgesehen von dem Nutzbau dabei herausgekommen? Neumann spricht darüber sehr gut. Das Eisen kann die weitesten Minne überdecken. Aber weiter, als die menschliche Stimme reicht, kann sich eine Kirche, ein Theater, ein Musik- oder Sprechsaal nicht wohl aus¬ dehnen, und das sind Maße, denen die älteren Baustoffe für die Raumdeckung annähernd genügen. Da das Eisen, das viel mehr leistet, hauptsächlich als Raumdccke benutzt wird, aber in seiner ganzen Leistungsfähigkeit gar nicht aus¬ nutzt werden kann, so darf man seinen Einfluß auf die Stilbildung nicht hoch anschlagen- Nur in einem Punkte können wir dem Verfasser nicht beistimmen, daß nämlich um die Erziehung des Volkes zum Verstehen des Schönen durch Auf¬ stellung schöner Gebäude die — PostVerwaltung ein großes Verdienst habe. Wir sind der Meinung, daß dieses Geld anders und besser hätte angewandt werden können. Denn die Neichspost ist und bleibt doch schließlich nur eine Verkehrsanstalt und keine Neprüsentativnseinrichtung. Der Verfasser sagt zwar: „Die Negierung und mit ihr die Vertretung des Volkes sollte sich nie¬ mals durch allzuängstliche Sorge um das augenblickliche Gleichgewicht des Etats zu übermäßiger Sparsamkeit in Angelegenheiten der dem Volke zugäng¬ lichen Kunst veranlaßt fühlen." Aber damit wird er Wohl keinen Eindruck machen. Denn leider hat die Regierung oder sagen wir auch: unser Volk einstweilen noch wichtigeres zu thun, als schöne Postgebäude zu bauen. Über¬ haupt ist die „Schönheit," so schön sie auch ist, da sie Geld kostet, nicht das Nächstliegende. Vieles andre muß erst da sein. Aber es ist begreiflich, daß jeder seine Sache, je ernsthafter er sich mit ihr beschäftigt, um so eher auch als „national" anzusehen geneigt ist. Früher hatten wir zu wenig von diesem Streben, alles auf die Gesamtheit zu beziehen und in das politische Leben ausmünden zu lassen. Jetzt wird es dessen manchmal ein bischen zu viel. Aber das schadet nichts. So lange Bücher in dem Bereiche theore¬ tischer Betrachtung bleiben, erfreuen sie uns durch Belehrung und Unterhaltung. Werden sie aktuell, soll der „Racker vou Staat" zu den Lasten der Beschäftigungen eines Verfassers herangezogen werden, dann — wirds gewöhnlich schwach. Ach, wie schwer ist es doch, in sozialen Fragen, zu denen diese ja doch auch gehören, etwas neues und dabei doch brauchbares zu sagen!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/389>, abgerufen am 25.11.2024.