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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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Die Alten und die Jungen

dem Millöckerschen "Bettelstudenten" begann dann eine etwas anständigere
Operettenära.

Schon Litzmann hat hervorgehoben, daß die Surrogate von Lindau und
Genossen der französischen Originalsittenkomödie den Weg bereitet hätten --
soweit das noch nötig war, möchte ich hinzufügen; denn Heinrich Laube hatte
schon als Burgtheaterdirektor das Menschenmögliche gethan und that es auch
als Direktor des Wiener Stadttheaters. Es wird die höchste Zeit, die Legende
von den unsterblichen Verdiensten Laubes um die deutsche Bühne, die in der
Hauptsache eine Folge eigner und fremder Reklame ist, aus der Welt zu
schaffen. Wer den Geschäftsmann und Bühnenhandwerker Laube richtig kennen
lernen will, der lese einmal, was Feodor West in seinen Tagebuchaufzeich¬
nungen "Zeit und Menschen" (Altona, 1889) von ihm berichtet. "Hab ich
Pech mit dem Berlin," jammerte er in den vierziger Jahren in seinen Briefen
an West, "man thut dort nichts für meine Stücke. "Anna von Österreich"
hat ja das nötige Berliner Glück gemacht, was ich der Birch von Herzen
gönne, obwohl sie eigentlich Glück genug hat." So sah der "Dichter" aus,
der den "König Lear" und "Heinrich IV." für die deutsche Bühne zu bear¬
beiten wagte und Grillparzer und Otto Ludwig angeblich freie Bahn schuf.
Als West Laubes Vorliebe für die Franzosen zu tadeln wagte, mußte er sich
von dessen Busenfreund Robert Heller folgendermaßen anfahren lassen: "Was
werfen Sie unserm Freund Laube immer das Pariser Schauspiel vor? Haben
wir denn ein eignes? Man hat in Deutschland einmal versucht, eines zu
schaffen, aber es ist gleich wieder in die Brüche gegangen. Was wir jetzt
davon besitzen, ist stümperhaftes Zeug und nicht wert, der französischen Komödie
die Schuhriemen zu losen. Geben Sie der Wahrheit die Ehre und schämen
Sie sich nicht, Laubes UnVerdrossenheit, den deutschen Zuschauer mit Pariser
Schöpfungen zu ergötzen, das gebührende Lob zu zollen." Das war die all¬
gemeine Meinung, und es ist ja richtig, daß das deutsche Lustspiel, das die
fünfziger Jahre im Entstehen gesehen hatten, in die Brüche gegangen war, aber
doch wohl totgeschlagen von dem raffinirten französischen, das die Theater¬
direktoren einzuführen nicht müde wurden. Gegen eine vernünftige Einfuhr
hätte sich ja nichts einwenden lassen, das deutsche Publikum hatte sogar An¬
spruch darauf, die besten Werke der hochentwickelten Bühnenkunst eines Nachbar¬
volkes kennen zu lernen, aber anstatt sich wirklich an die besten Werke, wie
die des ernsten Augiers und die frühern Sardous zu halten, griff man mit
Vorliebe zu den rciffinirtesten und geradezu unsittlichen und gab endlich den
größten Schund, wenn er nnr recht obseön war. So gerieten wir, die Sieger,
bald nach dem Kriege wieder unter die Herrschaft des französischen Geistes,
und des unsaubersten dazu. Einige Gegenwirkungen waren zwar da, das aus
der Berliner Posse der sechziger Jahre erwachsene gesunde, aber unpoetische
Volksstück L'Arronges, auch die leichtere Ware Gustav von Mosers, die mit
dem alten deutscheu Lustspiel von Benedix lose zusammenhing und im ganzen


Die Alten und die Jungen

dem Millöckerschen „Bettelstudenten" begann dann eine etwas anständigere
Operettenära.

Schon Litzmann hat hervorgehoben, daß die Surrogate von Lindau und
Genossen der französischen Originalsittenkomödie den Weg bereitet hätten —
soweit das noch nötig war, möchte ich hinzufügen; denn Heinrich Laube hatte
schon als Burgtheaterdirektor das Menschenmögliche gethan und that es auch
als Direktor des Wiener Stadttheaters. Es wird die höchste Zeit, die Legende
von den unsterblichen Verdiensten Laubes um die deutsche Bühne, die in der
Hauptsache eine Folge eigner und fremder Reklame ist, aus der Welt zu
schaffen. Wer den Geschäftsmann und Bühnenhandwerker Laube richtig kennen
lernen will, der lese einmal, was Feodor West in seinen Tagebuchaufzeich¬
nungen „Zeit und Menschen" (Altona, 1889) von ihm berichtet. „Hab ich
Pech mit dem Berlin," jammerte er in den vierziger Jahren in seinen Briefen
an West, „man thut dort nichts für meine Stücke. »Anna von Österreich«
hat ja das nötige Berliner Glück gemacht, was ich der Birch von Herzen
gönne, obwohl sie eigentlich Glück genug hat." So sah der „Dichter" aus,
der den „König Lear" und „Heinrich IV." für die deutsche Bühne zu bear¬
beiten wagte und Grillparzer und Otto Ludwig angeblich freie Bahn schuf.
Als West Laubes Vorliebe für die Franzosen zu tadeln wagte, mußte er sich
von dessen Busenfreund Robert Heller folgendermaßen anfahren lassen: „Was
werfen Sie unserm Freund Laube immer das Pariser Schauspiel vor? Haben
wir denn ein eignes? Man hat in Deutschland einmal versucht, eines zu
schaffen, aber es ist gleich wieder in die Brüche gegangen. Was wir jetzt
davon besitzen, ist stümperhaftes Zeug und nicht wert, der französischen Komödie
die Schuhriemen zu losen. Geben Sie der Wahrheit die Ehre und schämen
Sie sich nicht, Laubes UnVerdrossenheit, den deutschen Zuschauer mit Pariser
Schöpfungen zu ergötzen, das gebührende Lob zu zollen." Das war die all¬
gemeine Meinung, und es ist ja richtig, daß das deutsche Lustspiel, das die
fünfziger Jahre im Entstehen gesehen hatten, in die Brüche gegangen war, aber
doch wohl totgeschlagen von dem raffinirten französischen, das die Theater¬
direktoren einzuführen nicht müde wurden. Gegen eine vernünftige Einfuhr
hätte sich ja nichts einwenden lassen, das deutsche Publikum hatte sogar An¬
spruch darauf, die besten Werke der hochentwickelten Bühnenkunst eines Nachbar¬
volkes kennen zu lernen, aber anstatt sich wirklich an die besten Werke, wie
die des ernsten Augiers und die frühern Sardous zu halten, griff man mit
Vorliebe zu den rciffinirtesten und geradezu unsittlichen und gab endlich den
größten Schund, wenn er nnr recht obseön war. So gerieten wir, die Sieger,
bald nach dem Kriege wieder unter die Herrschaft des französischen Geistes,
und des unsaubersten dazu. Einige Gegenwirkungen waren zwar da, das aus
der Berliner Posse der sechziger Jahre erwachsene gesunde, aber unpoetische
Volksstück L'Arronges, auch die leichtere Ware Gustav von Mosers, die mit
dem alten deutscheu Lustspiel von Benedix lose zusammenhing und im ganzen


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[0376] Die Alten und die Jungen dem Millöckerschen „Bettelstudenten" begann dann eine etwas anständigere Operettenära. Schon Litzmann hat hervorgehoben, daß die Surrogate von Lindau und Genossen der französischen Originalsittenkomödie den Weg bereitet hätten — soweit das noch nötig war, möchte ich hinzufügen; denn Heinrich Laube hatte schon als Burgtheaterdirektor das Menschenmögliche gethan und that es auch als Direktor des Wiener Stadttheaters. Es wird die höchste Zeit, die Legende von den unsterblichen Verdiensten Laubes um die deutsche Bühne, die in der Hauptsache eine Folge eigner und fremder Reklame ist, aus der Welt zu schaffen. Wer den Geschäftsmann und Bühnenhandwerker Laube richtig kennen lernen will, der lese einmal, was Feodor West in seinen Tagebuchaufzeich¬ nungen „Zeit und Menschen" (Altona, 1889) von ihm berichtet. „Hab ich Pech mit dem Berlin," jammerte er in den vierziger Jahren in seinen Briefen an West, „man thut dort nichts für meine Stücke. »Anna von Österreich« hat ja das nötige Berliner Glück gemacht, was ich der Birch von Herzen gönne, obwohl sie eigentlich Glück genug hat." So sah der „Dichter" aus, der den „König Lear" und „Heinrich IV." für die deutsche Bühne zu bear¬ beiten wagte und Grillparzer und Otto Ludwig angeblich freie Bahn schuf. Als West Laubes Vorliebe für die Franzosen zu tadeln wagte, mußte er sich von dessen Busenfreund Robert Heller folgendermaßen anfahren lassen: „Was werfen Sie unserm Freund Laube immer das Pariser Schauspiel vor? Haben wir denn ein eignes? Man hat in Deutschland einmal versucht, eines zu schaffen, aber es ist gleich wieder in die Brüche gegangen. Was wir jetzt davon besitzen, ist stümperhaftes Zeug und nicht wert, der französischen Komödie die Schuhriemen zu losen. Geben Sie der Wahrheit die Ehre und schämen Sie sich nicht, Laubes UnVerdrossenheit, den deutschen Zuschauer mit Pariser Schöpfungen zu ergötzen, das gebührende Lob zu zollen." Das war die all¬ gemeine Meinung, und es ist ja richtig, daß das deutsche Lustspiel, das die fünfziger Jahre im Entstehen gesehen hatten, in die Brüche gegangen war, aber doch wohl totgeschlagen von dem raffinirten französischen, das die Theater¬ direktoren einzuführen nicht müde wurden. Gegen eine vernünftige Einfuhr hätte sich ja nichts einwenden lassen, das deutsche Publikum hatte sogar An¬ spruch darauf, die besten Werke der hochentwickelten Bühnenkunst eines Nachbar¬ volkes kennen zu lernen, aber anstatt sich wirklich an die besten Werke, wie die des ernsten Augiers und die frühern Sardous zu halten, griff man mit Vorliebe zu den rciffinirtesten und geradezu unsittlichen und gab endlich den größten Schund, wenn er nnr recht obseön war. So gerieten wir, die Sieger, bald nach dem Kriege wieder unter die Herrschaft des französischen Geistes, und des unsaubersten dazu. Einige Gegenwirkungen waren zwar da, das aus der Berliner Posse der sechziger Jahre erwachsene gesunde, aber unpoetische Volksstück L'Arronges, auch die leichtere Ware Gustav von Mosers, die mit dem alten deutscheu Lustspiel von Benedix lose zusammenhing und im ganzen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/376>, abgerufen am 25.11.2024.