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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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Unsre Volkstrachten

unabhängigste Stand im Lande. Das macht ihn widerstandskräftig gegen
die zum Teil absolut schädlichen Veränderungen, denen andre Stände fast
willenlos unterliegen, und darum blickt alles, was uoch etwas zu konserviren
hat, voll Hoffnung auf diesen von Natur konservativsten Stand. Darum auch
die Teilnahme, deren sich die Volkstrachteubewegung in weiten Kreisen erfreut.
Der Bauer ist sonst mit Recht mißtrauisch gegen das Interesse, das er den
Stadtleuten und besonders dem Staat im ganzen einflößt. Mancher Bauer
wird sich mit vollem Recht fragen: Warum erhalten diese Leute nicht selbst
ihre Altertümlichkeiten? Warum lassen sie sie so leicht fahren, reißen sogar
ihre schönsten alten Bauten ein, verpfuschen ihre Städte und kommen dann,
um uns zu erhalten? Mögen sie doch bei sich selber anfangen. Darin ist
viel richtiges. Es steckt anch in dieser Bewegung etwas von dem Egoismus,
mit dem man den Bauern vorschiebt, wenn es sich um Opfer für das All¬
gemeine handelt. Wie wir aber wissen, daß für diese Bewegung Herzen schlagen,
die dem guten Alten und Schönen unter allen Formen ehrlich huldigen, so
hoffen wir auch, daß sie nicht Halt macheu wird bei der Bauerntracht, sondern
auf die zurückwirken wird, die dafür eintreten, ohne selbst Bauern zu sein.
Vielleicht wird ihr selbst das anscheinend Unmögliche gelingen, in die Herrschaft
der geiht- und pietätlosen Mode endlich eine Bresche zu legen. Ich weiß zwar
nicht, ob die naheliegende Anregung so ganz gesund ist, die "Herren und
Damen" möchten selbst wieder mehr zu den alten Trachten zurückkehren. Hans¬
jakob meint, je mehr die bessern Stände wieder Stücke der alten, schönen Tracht
annähmen, um so mehr würde unser Landvolk in seiner Volkstracht bestärkt
werden. Das gilt sür einzelne Fälle, steht aber doch im Widerspruch zu dem
Wesen der Trachten. Wenn der Kaiser von Osterreich in Steiermark die ver¬
feinerte Jägertracht der grauen Joppe und der grünen Strümpfe, und der
Prinzrcgent von Baiern in den bairischen Alpen die Lederhosen und die Waden¬
strümpfe trägt, so folgt ihnen ihre Umgebung, weil sie muß, und alles, was
Hofsitten nachahmt. Die Jäger und Treiber uniformiren sich in dieser Tracht,
nicht ohne Übertreibung. Es giebt da Kerle, die es dem Kaspar im Freischütz
abgesehen zu haben scheinen. Das würde doch auf eine Maskerade Hinaus¬
laufen, wenn sich solche Aneignungen ländlicher Trachten durch die Städter
über die eben erwähnten Fülle hinaus erstreckten Die Tracht unsrer Alpen¬
bewohner ist eben in vielen Fällen praktisch und zugleich ganz in die Natur
hineingepaßt. In offnen Kniehosen steigt sichs besser als in schlotternden
"Pantalons"; wenn sie der Städter anzieht, ist es nicht viel anders, als
wenn er Bergschuhe oder Steigeisen trägt. Aber im allgemeinen ist sicherlich
das Vernünftige, daß die Städter das erhalten, was sie gutes altes haben
und damit den Bauern ein gutes Beispiel geben. Die Hervorholung der alten
Snlzsiederkvstüme in schwäbisch-Hall, der Hallorenumzug in Halle --
interessante Beispiele der Anknüpfung der Tracht an bestimmte Berufe --,


Unsre Volkstrachten

unabhängigste Stand im Lande. Das macht ihn widerstandskräftig gegen
die zum Teil absolut schädlichen Veränderungen, denen andre Stände fast
willenlos unterliegen, und darum blickt alles, was uoch etwas zu konserviren
hat, voll Hoffnung auf diesen von Natur konservativsten Stand. Darum auch
die Teilnahme, deren sich die Volkstrachteubewegung in weiten Kreisen erfreut.
Der Bauer ist sonst mit Recht mißtrauisch gegen das Interesse, das er den
Stadtleuten und besonders dem Staat im ganzen einflößt. Mancher Bauer
wird sich mit vollem Recht fragen: Warum erhalten diese Leute nicht selbst
ihre Altertümlichkeiten? Warum lassen sie sie so leicht fahren, reißen sogar
ihre schönsten alten Bauten ein, verpfuschen ihre Städte und kommen dann,
um uns zu erhalten? Mögen sie doch bei sich selber anfangen. Darin ist
viel richtiges. Es steckt anch in dieser Bewegung etwas von dem Egoismus,
mit dem man den Bauern vorschiebt, wenn es sich um Opfer für das All¬
gemeine handelt. Wie wir aber wissen, daß für diese Bewegung Herzen schlagen,
die dem guten Alten und Schönen unter allen Formen ehrlich huldigen, so
hoffen wir auch, daß sie nicht Halt macheu wird bei der Bauerntracht, sondern
auf die zurückwirken wird, die dafür eintreten, ohne selbst Bauern zu sein.
Vielleicht wird ihr selbst das anscheinend Unmögliche gelingen, in die Herrschaft
der geiht- und pietätlosen Mode endlich eine Bresche zu legen. Ich weiß zwar
nicht, ob die naheliegende Anregung so ganz gesund ist, die „Herren und
Damen" möchten selbst wieder mehr zu den alten Trachten zurückkehren. Hans¬
jakob meint, je mehr die bessern Stände wieder Stücke der alten, schönen Tracht
annähmen, um so mehr würde unser Landvolk in seiner Volkstracht bestärkt
werden. Das gilt sür einzelne Fälle, steht aber doch im Widerspruch zu dem
Wesen der Trachten. Wenn der Kaiser von Osterreich in Steiermark die ver¬
feinerte Jägertracht der grauen Joppe und der grünen Strümpfe, und der
Prinzrcgent von Baiern in den bairischen Alpen die Lederhosen und die Waden¬
strümpfe trägt, so folgt ihnen ihre Umgebung, weil sie muß, und alles, was
Hofsitten nachahmt. Die Jäger und Treiber uniformiren sich in dieser Tracht,
nicht ohne Übertreibung. Es giebt da Kerle, die es dem Kaspar im Freischütz
abgesehen zu haben scheinen. Das würde doch auf eine Maskerade Hinaus¬
laufen, wenn sich solche Aneignungen ländlicher Trachten durch die Städter
über die eben erwähnten Fülle hinaus erstreckten Die Tracht unsrer Alpen¬
bewohner ist eben in vielen Fällen praktisch und zugleich ganz in die Natur
hineingepaßt. In offnen Kniehosen steigt sichs besser als in schlotternden
„Pantalons"; wenn sie der Städter anzieht, ist es nicht viel anders, als
wenn er Bergschuhe oder Steigeisen trägt. Aber im allgemeinen ist sicherlich
das Vernünftige, daß die Städter das erhalten, was sie gutes altes haben
und damit den Bauern ein gutes Beispiel geben. Die Hervorholung der alten
Snlzsiederkvstüme in schwäbisch-Hall, der Hallorenumzug in Halle —
interessante Beispiele der Anknüpfung der Tracht an bestimmte Berufe —,


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[0366] Unsre Volkstrachten unabhängigste Stand im Lande. Das macht ihn widerstandskräftig gegen die zum Teil absolut schädlichen Veränderungen, denen andre Stände fast willenlos unterliegen, und darum blickt alles, was uoch etwas zu konserviren hat, voll Hoffnung auf diesen von Natur konservativsten Stand. Darum auch die Teilnahme, deren sich die Volkstrachteubewegung in weiten Kreisen erfreut. Der Bauer ist sonst mit Recht mißtrauisch gegen das Interesse, das er den Stadtleuten und besonders dem Staat im ganzen einflößt. Mancher Bauer wird sich mit vollem Recht fragen: Warum erhalten diese Leute nicht selbst ihre Altertümlichkeiten? Warum lassen sie sie so leicht fahren, reißen sogar ihre schönsten alten Bauten ein, verpfuschen ihre Städte und kommen dann, um uns zu erhalten? Mögen sie doch bei sich selber anfangen. Darin ist viel richtiges. Es steckt anch in dieser Bewegung etwas von dem Egoismus, mit dem man den Bauern vorschiebt, wenn es sich um Opfer für das All¬ gemeine handelt. Wie wir aber wissen, daß für diese Bewegung Herzen schlagen, die dem guten Alten und Schönen unter allen Formen ehrlich huldigen, so hoffen wir auch, daß sie nicht Halt macheu wird bei der Bauerntracht, sondern auf die zurückwirken wird, die dafür eintreten, ohne selbst Bauern zu sein. Vielleicht wird ihr selbst das anscheinend Unmögliche gelingen, in die Herrschaft der geiht- und pietätlosen Mode endlich eine Bresche zu legen. Ich weiß zwar nicht, ob die naheliegende Anregung so ganz gesund ist, die „Herren und Damen" möchten selbst wieder mehr zu den alten Trachten zurückkehren. Hans¬ jakob meint, je mehr die bessern Stände wieder Stücke der alten, schönen Tracht annähmen, um so mehr würde unser Landvolk in seiner Volkstracht bestärkt werden. Das gilt sür einzelne Fälle, steht aber doch im Widerspruch zu dem Wesen der Trachten. Wenn der Kaiser von Osterreich in Steiermark die ver¬ feinerte Jägertracht der grauen Joppe und der grünen Strümpfe, und der Prinzrcgent von Baiern in den bairischen Alpen die Lederhosen und die Waden¬ strümpfe trägt, so folgt ihnen ihre Umgebung, weil sie muß, und alles, was Hofsitten nachahmt. Die Jäger und Treiber uniformiren sich in dieser Tracht, nicht ohne Übertreibung. Es giebt da Kerle, die es dem Kaspar im Freischütz abgesehen zu haben scheinen. Das würde doch auf eine Maskerade Hinaus¬ laufen, wenn sich solche Aneignungen ländlicher Trachten durch die Städter über die eben erwähnten Fülle hinaus erstreckten Die Tracht unsrer Alpen¬ bewohner ist eben in vielen Fällen praktisch und zugleich ganz in die Natur hineingepaßt. In offnen Kniehosen steigt sichs besser als in schlotternden „Pantalons"; wenn sie der Städter anzieht, ist es nicht viel anders, als wenn er Bergschuhe oder Steigeisen trägt. Aber im allgemeinen ist sicherlich das Vernünftige, daß die Städter das erhalten, was sie gutes altes haben und damit den Bauern ein gutes Beispiel geben. Die Hervorholung der alten Snlzsiederkvstüme in schwäbisch-Hall, der Hallorenumzug in Halle — interessante Beispiele der Anknüpfung der Tracht an bestimmte Berufe —,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/366>, abgerufen am 01.09.2024.