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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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Gin unbequemer Konservativer

Arbeiterschutz, sind von jenen Männern gefordert und begründet worden. Wie
weit die Ausführung ihren Ideen und Plänen entspricht, das einmal darzu¬
stellen wäre Professor Adolf Wagner der berufenste; dabei würde er ohne
Zweifel dem einen der Wagenerschen Programmpunkte eine besonders helle
Beleuchtung angedeihen lassen, der lautet: "Um jeden Preis ist zu verhindern,
daß die arbeitende Bevölkerung nicht zu einer großen, kompakten oppositio¬
nellen Masse sich zusammenschließt." Zunächst drängten die Männer des
Kathedersozialisten-Kongresses, die man als die Väter des Evangelisch-sozialen
Kongresses bezeichnen darf -- zum Teil sind es ja dieselben Personen --,
auf eine gründliche Untersuchung der Arbeiterverhältnisse. Es sei ein offenbarer
Skandal, äußerte Professor Held auf einem der Kongresse, daß wir von den
sozialen Verhältnissen Englands mehr wüßten als von unsern eignen, und
wenn man Geld hatte, um den Venusdurchgang beobachten zu lassen und das
Innere von Afrika zu erforschen, so müßte auch welches dafür vorhanden sein,
die Lage der deutschen Arbeiter festzustellen. Nur, schreibt Wagener an Bismarck,
müßte die Untersuchung auch wirklich nach den englischen Vorbildern ausgeführt
werden. "Eine Enquöte durch Beamte wird schwerlich jemals dazu führen?
etwas zu erfahren und festzustellen, was der dirigirende Minister nicht wissen
will, oder was dem herrschenden System unbequem ist, und es verlohnt sich
deshalb kaum des Aufwandes um Zeit, Mühe und Geld, eine solche auf
Illusionen hinauslaufende Enquete vorzunehmen." Was würden jene Männer
gesagt haben, wenn man ihnen prophezeit hätte, daß zwanzig Jahre später
Personen, die freiwillige und kostenlose Beiträge zur Kenntnis der sozialen
Lage liefern, indem sie in Versammlungen oder in der Presse Übelstände auf¬
decken, unter dem Vorwande der Beleidigung oder des groben Unfugs bestraft
werden würden?

Der Bericht Wageners über einen der Kongresse -- daß es der von 1374
gewesen sei, erfährt man auf S. 274 ganz zufällig -- enthält eine Charakte¬
ristik der Führer. Als unbedingte Anhänger des Staatssozialismus werden
genannt: Adolf Wagner, von Scheel aus Bonn, Jannasch aus Dresden und
Hildebrand aus Jena. "Alle diese Herren gehören zur Schule Loreuzens
von Stein in Wien, haben von Rodbertus-Jagetzow gelernt und stehen
Politisch ungefähr auf dem Staudpunkte, den Herr von Blanckenburg und ich
in den Jahren 1865 bis 1869 vertreten haben. Der alte Professor Röscher
,c>us Leipzig und sein Sohn or. Röscher aus Zittau, sowie Professor Rößler
aus Rostock dürften ähnlich stehen, obschon sie mit den Kathedersozialisten als
solchen nicht Harmoniren. Diejenige Partei, die durchaus im Manchestertume
wurzelt und schon 1872 nur erschienen war, um Wasser in den Wein zu
gießen' und die Bewegung wieder allmählich in das Fahrwasser des volks¬
wirtschaftlichen Kongresses hinüber zu leiten, stand bis 1873 unter Greises
Md Engels Führung. . - . Von Professoren gehören, und auch nur bedingungs-


Gin unbequemer Konservativer

Arbeiterschutz, sind von jenen Männern gefordert und begründet worden. Wie
weit die Ausführung ihren Ideen und Plänen entspricht, das einmal darzu¬
stellen wäre Professor Adolf Wagner der berufenste; dabei würde er ohne
Zweifel dem einen der Wagenerschen Programmpunkte eine besonders helle
Beleuchtung angedeihen lassen, der lautet: „Um jeden Preis ist zu verhindern,
daß die arbeitende Bevölkerung nicht zu einer großen, kompakten oppositio¬
nellen Masse sich zusammenschließt." Zunächst drängten die Männer des
Kathedersozialisten-Kongresses, die man als die Väter des Evangelisch-sozialen
Kongresses bezeichnen darf — zum Teil sind es ja dieselben Personen —,
auf eine gründliche Untersuchung der Arbeiterverhältnisse. Es sei ein offenbarer
Skandal, äußerte Professor Held auf einem der Kongresse, daß wir von den
sozialen Verhältnissen Englands mehr wüßten als von unsern eignen, und
wenn man Geld hatte, um den Venusdurchgang beobachten zu lassen und das
Innere von Afrika zu erforschen, so müßte auch welches dafür vorhanden sein,
die Lage der deutschen Arbeiter festzustellen. Nur, schreibt Wagener an Bismarck,
müßte die Untersuchung auch wirklich nach den englischen Vorbildern ausgeführt
werden. „Eine Enquöte durch Beamte wird schwerlich jemals dazu führen?
etwas zu erfahren und festzustellen, was der dirigirende Minister nicht wissen
will, oder was dem herrschenden System unbequem ist, und es verlohnt sich
deshalb kaum des Aufwandes um Zeit, Mühe und Geld, eine solche auf
Illusionen hinauslaufende Enquete vorzunehmen." Was würden jene Männer
gesagt haben, wenn man ihnen prophezeit hätte, daß zwanzig Jahre später
Personen, die freiwillige und kostenlose Beiträge zur Kenntnis der sozialen
Lage liefern, indem sie in Versammlungen oder in der Presse Übelstände auf¬
decken, unter dem Vorwande der Beleidigung oder des groben Unfugs bestraft
werden würden?

Der Bericht Wageners über einen der Kongresse — daß es der von 1374
gewesen sei, erfährt man auf S. 274 ganz zufällig — enthält eine Charakte¬
ristik der Führer. Als unbedingte Anhänger des Staatssozialismus werden
genannt: Adolf Wagner, von Scheel aus Bonn, Jannasch aus Dresden und
Hildebrand aus Jena. „Alle diese Herren gehören zur Schule Loreuzens
von Stein in Wien, haben von Rodbertus-Jagetzow gelernt und stehen
Politisch ungefähr auf dem Staudpunkte, den Herr von Blanckenburg und ich
in den Jahren 1865 bis 1869 vertreten haben. Der alte Professor Röscher
,c>us Leipzig und sein Sohn or. Röscher aus Zittau, sowie Professor Rößler
aus Rostock dürften ähnlich stehen, obschon sie mit den Kathedersozialisten als
solchen nicht Harmoniren. Diejenige Partei, die durchaus im Manchestertume
wurzelt und schon 1872 nur erschienen war, um Wasser in den Wein zu
gießen' und die Bewegung wieder allmählich in das Fahrwasser des volks¬
wirtschaftlichen Kongresses hinüber zu leiten, stand bis 1873 unter Greises
Md Engels Führung. . - . Von Professoren gehören, und auch nur bedingungs-


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[0363] Gin unbequemer Konservativer Arbeiterschutz, sind von jenen Männern gefordert und begründet worden. Wie weit die Ausführung ihren Ideen und Plänen entspricht, das einmal darzu¬ stellen wäre Professor Adolf Wagner der berufenste; dabei würde er ohne Zweifel dem einen der Wagenerschen Programmpunkte eine besonders helle Beleuchtung angedeihen lassen, der lautet: „Um jeden Preis ist zu verhindern, daß die arbeitende Bevölkerung nicht zu einer großen, kompakten oppositio¬ nellen Masse sich zusammenschließt." Zunächst drängten die Männer des Kathedersozialisten-Kongresses, die man als die Väter des Evangelisch-sozialen Kongresses bezeichnen darf — zum Teil sind es ja dieselben Personen —, auf eine gründliche Untersuchung der Arbeiterverhältnisse. Es sei ein offenbarer Skandal, äußerte Professor Held auf einem der Kongresse, daß wir von den sozialen Verhältnissen Englands mehr wüßten als von unsern eignen, und wenn man Geld hatte, um den Venusdurchgang beobachten zu lassen und das Innere von Afrika zu erforschen, so müßte auch welches dafür vorhanden sein, die Lage der deutschen Arbeiter festzustellen. Nur, schreibt Wagener an Bismarck, müßte die Untersuchung auch wirklich nach den englischen Vorbildern ausgeführt werden. „Eine Enquöte durch Beamte wird schwerlich jemals dazu führen? etwas zu erfahren und festzustellen, was der dirigirende Minister nicht wissen will, oder was dem herrschenden System unbequem ist, und es verlohnt sich deshalb kaum des Aufwandes um Zeit, Mühe und Geld, eine solche auf Illusionen hinauslaufende Enquete vorzunehmen." Was würden jene Männer gesagt haben, wenn man ihnen prophezeit hätte, daß zwanzig Jahre später Personen, die freiwillige und kostenlose Beiträge zur Kenntnis der sozialen Lage liefern, indem sie in Versammlungen oder in der Presse Übelstände auf¬ decken, unter dem Vorwande der Beleidigung oder des groben Unfugs bestraft werden würden? Der Bericht Wageners über einen der Kongresse — daß es der von 1374 gewesen sei, erfährt man auf S. 274 ganz zufällig — enthält eine Charakte¬ ristik der Führer. Als unbedingte Anhänger des Staatssozialismus werden genannt: Adolf Wagner, von Scheel aus Bonn, Jannasch aus Dresden und Hildebrand aus Jena. „Alle diese Herren gehören zur Schule Loreuzens von Stein in Wien, haben von Rodbertus-Jagetzow gelernt und stehen Politisch ungefähr auf dem Staudpunkte, den Herr von Blanckenburg und ich in den Jahren 1865 bis 1869 vertreten haben. Der alte Professor Röscher ,c>us Leipzig und sein Sohn or. Röscher aus Zittau, sowie Professor Rößler aus Rostock dürften ähnlich stehen, obschon sie mit den Kathedersozialisten als solchen nicht Harmoniren. Diejenige Partei, die durchaus im Manchestertume wurzelt und schon 1872 nur erschienen war, um Wasser in den Wein zu gießen' und die Bewegung wieder allmählich in das Fahrwasser des volks¬ wirtschaftlichen Kongresses hinüber zu leiten, stand bis 1873 unter Greises Md Engels Führung. . - . Von Professoren gehören, und auch nur bedingungs-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/363>, abgerufen am 01.09.2024.