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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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<Lin unbequemer Konservativer

schon in dem Pfandbriefwesen der preußischen Landschaften das Verderben;
Verschuldung der Landgüter, meinen sie, dürfe, wenn überhaupt, so doch nur
unter der Bedingung der Zwangsamortisirung gestattet werden. Heute ist es
recht komisch anzusehen, wie die Landwirte in einem Atem über die Verschuldung
jammern und zugleich darüber, daß sie nicht geiuig Schulden machen können,
weil der Kredit zu teuer oder zu schwer zugänglich sei; auch das ist sehr hübsch,
wie sie beständig schreien: wir stehen vor dem Bankrott! und zugleich sich dar¬
über beschweren, daß sie keinen billigen Kredit finden; eine wirklich naive
Zumutung an Geldinstitute, daß sie Leute", die sich selbst für bankrott er¬
klären, Geld leihen sollen, und noch dazu billiges, besonders wenn diese Herren
außerdem noch den Wunsch aussprechen, Goldschulden mit Silber abtragen
zu dürfen. Aus den Äußerungen jener zehn heben wir nur ein paar besonders
charakteristische hervor, v. d. Marwitz schreibt: "Die Begierde nach Reich¬
tum bemächtigte sich in der Zeit steigender Güterpreise der Adlichen, und die
Leichtigkeit, Kapitalien in die Hand zu bekommen, verführte sie zum Güter¬
handel auf Spekulation, eine Verderbnis, die in einer deutschen Rechtsver¬
fassung ^, die sich notwendig zur Unveräußerlichkeit des Grundbesitzes hinaus¬
gebildet hätte, nimmermehr einreißen konnte." Auch der Bauer sei in das
Verderben hineingezogen worden; er bekomme Geld in die Hände, arbeite nicht
mehr, spiele den Herrn. "Statt daß er sonst auf seinem Acker arbeitete, sieht
man ihn jetzt ^d. h. 1823, seitdem muß er sich bedeutend gebessert haben,
wenn er damals wirklich so war, wie ihn dieser preußische Edelmann beschreibt^
vor der Hausthür oder im Wirtshause vor der Branntweinflasche sitzen. Wo
sonst im Sommer um drei Uhr morgens alles schon munter war, wird es jetzt
kaum um sechs Uhr lebendig." v. Bülow-Cummerow meint, ein Land, wo
das Schuldenmachen in ein System gebracht werde, gehe um so rascher seinem
Verderben entgegen, je besser die Zeiten seien. Kosegarten kommt in seinen
"Betrachtungen über die Veräußerung und Teilbarkeit des Landbesitzes" (1842)
zu demselben Ergebnis wie vor ihm Niebuhr: "Alle deutschen Staaten, die
nicht ganz stationär sind, gehen mit ihrer Gesetzgebung dahin, wo die Italiener
sind: in den Städten Pfuscher und Krämer, auf dem Lande zeitpachtendes
und taglöhnerndes Lumpengesindel."

So schlimm ist es nun glücklicherweise in den 54 Jahren, die seitdem
verflossen sind, im größern Teile Deutschlands noch nicht geworden, und es
ist schwer zu sagen, was bei Unteilbarkeit und Unverschuldbarkeit der Güter
aus den 22 bis 25 Millionen Menschen, um die sich seitdem die Bevölkerung
des Gebiets des jetzigen deutschen Reichs vermehrt hat, hätte werden sollen.
Vielleicht also haben die Staatsmänner, die, dem Drange der Not gehorchend,
als revolutionär verschrieene Neformmaßregeln trafen, nicht so ganz Unrecht
gehabt, und die Worte, die Meyer aus Hardenbergs Denkschrift von 1807
anführt, verdienen von Zeit zu Zeit immer wieder einmal erwogen zu werden:


<Lin unbequemer Konservativer

schon in dem Pfandbriefwesen der preußischen Landschaften das Verderben;
Verschuldung der Landgüter, meinen sie, dürfe, wenn überhaupt, so doch nur
unter der Bedingung der Zwangsamortisirung gestattet werden. Heute ist es
recht komisch anzusehen, wie die Landwirte in einem Atem über die Verschuldung
jammern und zugleich darüber, daß sie nicht geiuig Schulden machen können,
weil der Kredit zu teuer oder zu schwer zugänglich sei; auch das ist sehr hübsch,
wie sie beständig schreien: wir stehen vor dem Bankrott! und zugleich sich dar¬
über beschweren, daß sie keinen billigen Kredit finden; eine wirklich naive
Zumutung an Geldinstitute, daß sie Leute», die sich selbst für bankrott er¬
klären, Geld leihen sollen, und noch dazu billiges, besonders wenn diese Herren
außerdem noch den Wunsch aussprechen, Goldschulden mit Silber abtragen
zu dürfen. Aus den Äußerungen jener zehn heben wir nur ein paar besonders
charakteristische hervor, v. d. Marwitz schreibt: „Die Begierde nach Reich¬
tum bemächtigte sich in der Zeit steigender Güterpreise der Adlichen, und die
Leichtigkeit, Kapitalien in die Hand zu bekommen, verführte sie zum Güter¬
handel auf Spekulation, eine Verderbnis, die in einer deutschen Rechtsver¬
fassung ^, die sich notwendig zur Unveräußerlichkeit des Grundbesitzes hinaus¬
gebildet hätte, nimmermehr einreißen konnte." Auch der Bauer sei in das
Verderben hineingezogen worden; er bekomme Geld in die Hände, arbeite nicht
mehr, spiele den Herrn. „Statt daß er sonst auf seinem Acker arbeitete, sieht
man ihn jetzt ^d. h. 1823, seitdem muß er sich bedeutend gebessert haben,
wenn er damals wirklich so war, wie ihn dieser preußische Edelmann beschreibt^
vor der Hausthür oder im Wirtshause vor der Branntweinflasche sitzen. Wo
sonst im Sommer um drei Uhr morgens alles schon munter war, wird es jetzt
kaum um sechs Uhr lebendig." v. Bülow-Cummerow meint, ein Land, wo
das Schuldenmachen in ein System gebracht werde, gehe um so rascher seinem
Verderben entgegen, je besser die Zeiten seien. Kosegarten kommt in seinen
»Betrachtungen über die Veräußerung und Teilbarkeit des Landbesitzes" (1842)
zu demselben Ergebnis wie vor ihm Niebuhr: „Alle deutschen Staaten, die
nicht ganz stationär sind, gehen mit ihrer Gesetzgebung dahin, wo die Italiener
sind: in den Städten Pfuscher und Krämer, auf dem Lande zeitpachtendes
und taglöhnerndes Lumpengesindel."

So schlimm ist es nun glücklicherweise in den 54 Jahren, die seitdem
verflossen sind, im größern Teile Deutschlands noch nicht geworden, und es
ist schwer zu sagen, was bei Unteilbarkeit und Unverschuldbarkeit der Güter
aus den 22 bis 25 Millionen Menschen, um die sich seitdem die Bevölkerung
des Gebiets des jetzigen deutschen Reichs vermehrt hat, hätte werden sollen.
Vielleicht also haben die Staatsmänner, die, dem Drange der Not gehorchend,
als revolutionär verschrieene Neformmaßregeln trafen, nicht so ganz Unrecht
gehabt, und die Worte, die Meyer aus Hardenbergs Denkschrift von 1807
anführt, verdienen von Zeit zu Zeit immer wieder einmal erwogen zu werden:


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/359>, abgerufen am 26.11.2024.