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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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Lin unbequemer Konservativer

Warenmenge vermehre und zugleich durch Lohndruck den Hauptkonsumenten,
den Arbeitern, die Konsumfähigkeit vermindre, so sei gerade die Sozialdemo¬
kratie die einzige Partei, die durch das Streben nach Lohnsteigerung das
wirkliche Interesse des Kapitals vertrete und den Kapitalismus am Leben zu
erhalten imstande sei.

Meyer bekämpft nun die Agrarzölle aufs entschiedenste und stellt sowohl
ihre wirtschaftlichen wie ihre politischen Wirkungen als höchst verderblich dar.
Er ist durchaus kein Feind der Junker; "aber, schreibt er, die 1200 bis 1500,
höchstens 2000 deutschen Latifundienbesitzer, die nur zum Teil deutsche oder
wendische Adliche, zum Teil Fremdlinge oder geadelte Geldleute sind, die sind
nicht jene ehemaligen 16000 preußischen adlichen Rittergutsbesitzer, die dem
Staate der Hohenzollern die tüchtigsten obern Beamten und fast alle Offiziere
geliefert haben. Diese darbten, dienten und starben für den Staat, jene leben
vom Staat. Nicht, daß die Latifundienbesitzer den Degen zur Verteidigung
ihrer persönlichen Ehre und des Vaterlandes nicht sichren wollten oder könnten.
Das thun sie im Kriege wie alle andern Staatsbürger. Aber sie sehen den
Staatsdienst nicht als Klassenberuf an und rechnen darauf, in solchem Falle
mit Oberpräsidenten- oder ähnlichen hohen Posten bedacht zu werden. Und
wenn sie allgemein dienten, wären sie zu wenig zahlreich, als daß es für den
Staat annähernd den Wert haben könnte, den der Junkerdienst hatte. Sie
haben aber mehr Junker ausgekauft, als sie selbst Offiziere stellen könnten."
Er bemerkt dann, in Österreich feien nicht so viel Bauern gelegt und so viel
kleine Rittergutsbesitzer ausgekauft worden wie in Preußen. Das mag richtig
sein, aber in Österreich, namentlich in Böhmen, Mähren, Galizien und Ungarn,
hat dafür die ländliche Bevölkerung andre Schmerzen, die sie in Preußen nicht,
wenigstens in diesem Grade nicht hat. Meyer scheint an dieser wie an andern
Stellen die österreichischen Verhältnisse doch zu rosig zu malen; über das Lob
des väterlichen Regiments des Fürsten Schwarzenberg würden die Leser der
Wiener Arbeiterzeitung nicht schlecht lachen, wenn sie es erführen. Meyer
hat nichts gegen die Personen, die Latifundien besitzen, ,,es giebt gewiß, sagt
er, wie in allen Klassen, recht brave und patriotische Männer uuter ihnen."
Er findet es auch begreiflich, daß sie ihr Klasseninteresse im Staate und durch
ihn zu fördern suchen und mit den Mitteln, die seit der Wendung von 1878
allgemein üblich wurden. Aber er glaubt, daß das ganze System der sich in
einer Zeit wirtschaftlichen Niedergangs und steigender militärischer Bedürfnisse
weiter entwickelnden Latifundienbildung mit Staatshilfe durch Zölle und Ex¬
portprämien ein ungesundes sei, und da es das platte Land entvölkert, eine
Gefahr für den nun einmal notwendigen Militärstaat Preußen. In wirt¬
schaftlicher Beziehung wirken die agrarischen Schutzzölle nach zwei Seiten hin
verderblich. Sie vermindern den Bauernstand, und zwar auf doppelte Weise,
indem die künstlich erhöhte Rentabilität des Ackerbaus die Großgrundbesitzer


Lin unbequemer Konservativer

Warenmenge vermehre und zugleich durch Lohndruck den Hauptkonsumenten,
den Arbeitern, die Konsumfähigkeit vermindre, so sei gerade die Sozialdemo¬
kratie die einzige Partei, die durch das Streben nach Lohnsteigerung das
wirkliche Interesse des Kapitals vertrete und den Kapitalismus am Leben zu
erhalten imstande sei.

Meyer bekämpft nun die Agrarzölle aufs entschiedenste und stellt sowohl
ihre wirtschaftlichen wie ihre politischen Wirkungen als höchst verderblich dar.
Er ist durchaus kein Feind der Junker; „aber, schreibt er, die 1200 bis 1500,
höchstens 2000 deutschen Latifundienbesitzer, die nur zum Teil deutsche oder
wendische Adliche, zum Teil Fremdlinge oder geadelte Geldleute sind, die sind
nicht jene ehemaligen 16000 preußischen adlichen Rittergutsbesitzer, die dem
Staate der Hohenzollern die tüchtigsten obern Beamten und fast alle Offiziere
geliefert haben. Diese darbten, dienten und starben für den Staat, jene leben
vom Staat. Nicht, daß die Latifundienbesitzer den Degen zur Verteidigung
ihrer persönlichen Ehre und des Vaterlandes nicht sichren wollten oder könnten.
Das thun sie im Kriege wie alle andern Staatsbürger. Aber sie sehen den
Staatsdienst nicht als Klassenberuf an und rechnen darauf, in solchem Falle
mit Oberpräsidenten- oder ähnlichen hohen Posten bedacht zu werden. Und
wenn sie allgemein dienten, wären sie zu wenig zahlreich, als daß es für den
Staat annähernd den Wert haben könnte, den der Junkerdienst hatte. Sie
haben aber mehr Junker ausgekauft, als sie selbst Offiziere stellen könnten."
Er bemerkt dann, in Österreich feien nicht so viel Bauern gelegt und so viel
kleine Rittergutsbesitzer ausgekauft worden wie in Preußen. Das mag richtig
sein, aber in Österreich, namentlich in Böhmen, Mähren, Galizien und Ungarn,
hat dafür die ländliche Bevölkerung andre Schmerzen, die sie in Preußen nicht,
wenigstens in diesem Grade nicht hat. Meyer scheint an dieser wie an andern
Stellen die österreichischen Verhältnisse doch zu rosig zu malen; über das Lob
des väterlichen Regiments des Fürsten Schwarzenberg würden die Leser der
Wiener Arbeiterzeitung nicht schlecht lachen, wenn sie es erführen. Meyer
hat nichts gegen die Personen, die Latifundien besitzen, ,,es giebt gewiß, sagt
er, wie in allen Klassen, recht brave und patriotische Männer uuter ihnen."
Er findet es auch begreiflich, daß sie ihr Klasseninteresse im Staate und durch
ihn zu fördern suchen und mit den Mitteln, die seit der Wendung von 1878
allgemein üblich wurden. Aber er glaubt, daß das ganze System der sich in
einer Zeit wirtschaftlichen Niedergangs und steigender militärischer Bedürfnisse
weiter entwickelnden Latifundienbildung mit Staatshilfe durch Zölle und Ex¬
portprämien ein ungesundes sei, und da es das platte Land entvölkert, eine
Gefahr für den nun einmal notwendigen Militärstaat Preußen. In wirt¬
schaftlicher Beziehung wirken die agrarischen Schutzzölle nach zwei Seiten hin
verderblich. Sie vermindern den Bauernstand, und zwar auf doppelte Weise,
indem die künstlich erhöhte Rentabilität des Ackerbaus die Großgrundbesitzer


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/314>, abgerufen am 01.09.2024.