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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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Friedrich der Große und der Ursprung des siebenjährigen Krieges

zu ergänzen, um so weniger, eilf die durch Werbungen außerhalb der Landes-
grenze beschafften Rekruten höchst unzuverlässige Leute waren. Liefen doch
von den im Sommer 1749 cmgeworbnen 20000 ausländischen Rekruten nach
kurzer Zeit mehr als 15000 wieder davon.

Daß solche Notbehelfe in einem Kriege mit Preußen, das durch seine
Kantvnverfasfung ein entscheidendes Übergewicht hatte, nicht ausreichend waren,
lag auf der Hand. Man kam daher auf den Gedanken, eine Nationnlmiliz
aufzustellen, die im Kriegsfalle sofort von den regulären Infanterieregimentern
übernommen werden könnte. Diese Milizsoldaten sollten in den Monaten
April, Mai, Juni und November, "wo der Landmann am wenigsten durch
seinen Beruf in Anspruch genommen wird, auf bequem gelegnen Plätzen, jedoch
nur an Sonn- und Feiertagen von Offizieren und Unteroffizieren der benach¬
barten Garnisonen in den Kriegsexerzitien unterwiesen werden. Nachlässigkeit
und Widerspenstigkeit sollten wie bei der Armee, niemals aber mit Arrest be¬
straft werden; den Offizieren ihrerseits wurden Strafen angedroht, wenn sie
nicht alle Moderation gebrauchten. Für die Ausfüllung aller in Kriegs¬
und Friedenszeiten entstehenden Lücken hatten die Stände zu sorgen." Aber
es fand nicht eine einzige Übung der Miliz statt. Zur Annahme "selbst dieser
abgeblaßten Kopie des preußischen Militärsystems" war der österreichische
Staat nicht imstande. Es folgten dann neue Verhandlungen mit den Ständen
der deutschen Erdtaube. Aber obwohl die Stände endlich die geforderte
Nekrutenlieferung bewilligten, zeigte doch die österreichische Infanterie beim
Ausbruch des Krieges von 1756 einen Ausfall von 8 Prozent.

Ebenso traurig stand es mit den österreichischen Finanzen. Während
Preußen so gut wie keine Schulden hatte und ans den Überschüssen der Grund¬
steuern, der Domänenpacht und der Accise nicht nur seine großartigen mili¬
tärischen Aufwendungen bestreiten, sondern auch den Schatz füllen konnte, hatte
Österreich nichts von ähnlichen Einrichtungen aufzuweisen, seine Staatsschuld
belief sich im Jahre 1755 auf 118 Millionen, und ihre Verzinsung nahm die
Erträge ganzer Verwaltungen in Anspruch. Das Heer blieb auf Kontributionen
angewiesen, bei dein Partikularismus der Provinzen und ihrer Stunde eine
unzuverlässige, spärlich fließende Quelle. Die Folge war, daß die Truppen
und die vorhandnen Festungen nnr notdürftig ausgerüstet werden konnten.

Bei dieser Lage ist es begreiflich, daß die österreichischen Staatsmänner
daran verzweifelten, allein mit den Kräften ihres Gemeinwesens den König
von Preußen zu bewältigen. Sie suchten daher nach Bundesgenossen. Der
Stacitskauzler Kaunitz, der damals die österreichischen Geschicke lenkte, wandte
sich zuerst an Nußland und fand dort freundliches Entgegenkommen. Zwar
war das Moskowiterreich bisher in vielen Fragen der auswärtigen Politik,
insbesondre hinsichtlich Schwedens und Polens, mit Preußen zusammengegangen.
Als aber der große König mit Frankreich ein Bündnis schloß, das Nußland


Friedrich der Große und der Ursprung des siebenjährigen Krieges

zu ergänzen, um so weniger, eilf die durch Werbungen außerhalb der Landes-
grenze beschafften Rekruten höchst unzuverlässige Leute waren. Liefen doch
von den im Sommer 1749 cmgeworbnen 20000 ausländischen Rekruten nach
kurzer Zeit mehr als 15000 wieder davon.

Daß solche Notbehelfe in einem Kriege mit Preußen, das durch seine
Kantvnverfasfung ein entscheidendes Übergewicht hatte, nicht ausreichend waren,
lag auf der Hand. Man kam daher auf den Gedanken, eine Nationnlmiliz
aufzustellen, die im Kriegsfalle sofort von den regulären Infanterieregimentern
übernommen werden könnte. Diese Milizsoldaten sollten in den Monaten
April, Mai, Juni und November, „wo der Landmann am wenigsten durch
seinen Beruf in Anspruch genommen wird, auf bequem gelegnen Plätzen, jedoch
nur an Sonn- und Feiertagen von Offizieren und Unteroffizieren der benach¬
barten Garnisonen in den Kriegsexerzitien unterwiesen werden. Nachlässigkeit
und Widerspenstigkeit sollten wie bei der Armee, niemals aber mit Arrest be¬
straft werden; den Offizieren ihrerseits wurden Strafen angedroht, wenn sie
nicht alle Moderation gebrauchten. Für die Ausfüllung aller in Kriegs¬
und Friedenszeiten entstehenden Lücken hatten die Stände zu sorgen." Aber
es fand nicht eine einzige Übung der Miliz statt. Zur Annahme „selbst dieser
abgeblaßten Kopie des preußischen Militärsystems" war der österreichische
Staat nicht imstande. Es folgten dann neue Verhandlungen mit den Ständen
der deutschen Erdtaube. Aber obwohl die Stände endlich die geforderte
Nekrutenlieferung bewilligten, zeigte doch die österreichische Infanterie beim
Ausbruch des Krieges von 1756 einen Ausfall von 8 Prozent.

Ebenso traurig stand es mit den österreichischen Finanzen. Während
Preußen so gut wie keine Schulden hatte und ans den Überschüssen der Grund¬
steuern, der Domänenpacht und der Accise nicht nur seine großartigen mili¬
tärischen Aufwendungen bestreiten, sondern auch den Schatz füllen konnte, hatte
Österreich nichts von ähnlichen Einrichtungen aufzuweisen, seine Staatsschuld
belief sich im Jahre 1755 auf 118 Millionen, und ihre Verzinsung nahm die
Erträge ganzer Verwaltungen in Anspruch. Das Heer blieb auf Kontributionen
angewiesen, bei dein Partikularismus der Provinzen und ihrer Stunde eine
unzuverlässige, spärlich fließende Quelle. Die Folge war, daß die Truppen
und die vorhandnen Festungen nnr notdürftig ausgerüstet werden konnten.

Bei dieser Lage ist es begreiflich, daß die österreichischen Staatsmänner
daran verzweifelten, allein mit den Kräften ihres Gemeinwesens den König
von Preußen zu bewältigen. Sie suchten daher nach Bundesgenossen. Der
Stacitskauzler Kaunitz, der damals die österreichischen Geschicke lenkte, wandte
sich zuerst an Nußland und fand dort freundliches Entgegenkommen. Zwar
war das Moskowiterreich bisher in vielen Fragen der auswärtigen Politik,
insbesondre hinsichtlich Schwedens und Polens, mit Preußen zusammengegangen.
Als aber der große König mit Frankreich ein Bündnis schloß, das Nußland


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/30>, abgerufen am 01.09.2024.