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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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Leipziger Pasquilwnten des achtzehnten Jahrhunderts

infolge einer Anklage des preußischen Kammergerichts im November 1788 vor
die Vücherkommissivn gefordert wurden, logen beide in der unverschämtesten
Weise. Walther behauptete, sich gar nicht um das Buch gekümmert zu haben,
sein Kompagnon habe es für sich allein in Kommission genommen, was er
habe thun können, da sie sich so geeinigt hätten, daß jeder von beiden gewisse
Artikel auch für sich allein annehmen könne. Pott aber erzählte eine ganz
ähnliche Geschichte, wie seinerzeit Royer beim "Suscka": Kurz vor der Michaelis¬
messe sei ein Mann, den er zwar von Person gekannt habe, weil er auf andern
Messen auch hier gewesen sei, dessen Name er aber nicht wisse -- nach seiner
Aussprache müsse es ein Österreicher gewesen sein! --, zu ihm gekommen und
habe ihm die Hälfte des Manuskripts gebracht und ihm zum Verlag angeboten,
Da aber Professor Eck die Zensur verweigert habe, so habe er dem Manne
das Manuskript zurückgegeben. Darauf habe ihn dieser gefragt, ob er nicht
die Schrift, wenn sie gedruckt wäre, in Kommission nehmen wolle, und da er
sich dazu bereit erklärt habe, so habe ihm später ein Unbekannter 500 Exem¬
plare gegen Barzahlung in Kommission übergeben. "Wer die Schrift gedruckt
habe, wo sie gedruckt, ob und von wem sie eensiret worden, sei ihm gnr nicht
bekannt, und ebenso wenig, wer der Verfasser sei." Beide, Pott und Walther,
erklärten sich bereit, ihre Aussage zu beschwören. Walther hatte auch die
Frechheit, ein paar Tage darauf deu Eid zu leisten, während Pott allerhand
?insflüchte machte: er habe wegen der Schrift an Wollmar und auch an deu
König geschrieben, es könne jeden Tag Nachricht kommen, daß von weiteren
Verfahren gegen ihn Abstand genommen werden solle; außerdem werde er mit
einer schriftlichen Rechtfertigung einkommen.

Pott hatte wirklich an Wöllner geschrieben, aber Wöllner schickte das
"insolönw Schreiben" an den Leipziger Rat. In seiner "Rechtfertigung" er¬
klärte Pott, solange ihm nicht nachgewiesen würde, daß die Abfassung des
"Commentars" ein Verbrechen gewesen sei, glaube er auch "darüber einen Eid
gu leisten nicht verpflichtet zu sein, da der Eid eine zu wichtige Sache, um
ihn bei Kleinigkeiten und unbedeutenden Sachen abzulegen, indem, wie die Er¬
fahrung schon längst bewiesen, dnrch zu öftere Abnehmung der Eide die Wichtig¬
keit derselben bei dem Volke immer mehr verliere und dadurch Meineide ver¬
anlaßt würden." Unter "Friedrich dem Einzigen" habe der Grundsatz gegolten,
"daß man Ungezogenheiten der Schriftsteller mit Stillschweigen bestrafen, ge¬
gründet scheinende Beschuldigungen widerlegen müsse, nicht aber dagegen um
Rache klagen oder darüber Eide schwören lassen dürfe." Überdies wären eine
Menge Menschen eben deshalb, weil mau ihm einen Eid abfordere, in dem
"sonderbaren Wahn," daß er der Verfasser des Commentars sei; dies könne
ihm für seine Ehre unmöglich gleichgiltig sein.

Die Bücherkommissiou verbot den Verkauf des "Commentars" und berichtete
an das Konsistorium nach Dresden. Da aber das preußische Kammergericht


Leipziger Pasquilwnten des achtzehnten Jahrhunderts

infolge einer Anklage des preußischen Kammergerichts im November 1788 vor
die Vücherkommissivn gefordert wurden, logen beide in der unverschämtesten
Weise. Walther behauptete, sich gar nicht um das Buch gekümmert zu haben,
sein Kompagnon habe es für sich allein in Kommission genommen, was er
habe thun können, da sie sich so geeinigt hätten, daß jeder von beiden gewisse
Artikel auch für sich allein annehmen könne. Pott aber erzählte eine ganz
ähnliche Geschichte, wie seinerzeit Royer beim „Suscka": Kurz vor der Michaelis¬
messe sei ein Mann, den er zwar von Person gekannt habe, weil er auf andern
Messen auch hier gewesen sei, dessen Name er aber nicht wisse — nach seiner
Aussprache müsse es ein Österreicher gewesen sein! —, zu ihm gekommen und
habe ihm die Hälfte des Manuskripts gebracht und ihm zum Verlag angeboten,
Da aber Professor Eck die Zensur verweigert habe, so habe er dem Manne
das Manuskript zurückgegeben. Darauf habe ihn dieser gefragt, ob er nicht
die Schrift, wenn sie gedruckt wäre, in Kommission nehmen wolle, und da er
sich dazu bereit erklärt habe, so habe ihm später ein Unbekannter 500 Exem¬
plare gegen Barzahlung in Kommission übergeben. „Wer die Schrift gedruckt
habe, wo sie gedruckt, ob und von wem sie eensiret worden, sei ihm gnr nicht
bekannt, und ebenso wenig, wer der Verfasser sei." Beide, Pott und Walther,
erklärten sich bereit, ihre Aussage zu beschwören. Walther hatte auch die
Frechheit, ein paar Tage darauf deu Eid zu leisten, während Pott allerhand
?insflüchte machte: er habe wegen der Schrift an Wollmar und auch an deu
König geschrieben, es könne jeden Tag Nachricht kommen, daß von weiteren
Verfahren gegen ihn Abstand genommen werden solle; außerdem werde er mit
einer schriftlichen Rechtfertigung einkommen.

Pott hatte wirklich an Wöllner geschrieben, aber Wöllner schickte das
»insolönw Schreiben" an den Leipziger Rat. In seiner „Rechtfertigung" er¬
klärte Pott, solange ihm nicht nachgewiesen würde, daß die Abfassung des
"Commentars" ein Verbrechen gewesen sei, glaube er auch „darüber einen Eid
gu leisten nicht verpflichtet zu sein, da der Eid eine zu wichtige Sache, um
ihn bei Kleinigkeiten und unbedeutenden Sachen abzulegen, indem, wie die Er¬
fahrung schon längst bewiesen, dnrch zu öftere Abnehmung der Eide die Wichtig¬
keit derselben bei dem Volke immer mehr verliere und dadurch Meineide ver¬
anlaßt würden." Unter „Friedrich dem Einzigen" habe der Grundsatz gegolten,
"daß man Ungezogenheiten der Schriftsteller mit Stillschweigen bestrafen, ge¬
gründet scheinende Beschuldigungen widerlegen müsse, nicht aber dagegen um
Rache klagen oder darüber Eide schwören lassen dürfe." Überdies wären eine
Menge Menschen eben deshalb, weil mau ihm einen Eid abfordere, in dem
»sonderbaren Wahn," daß er der Verfasser des Commentars sei; dies könne
ihm für seine Ehre unmöglich gleichgiltig sein.

Die Bücherkommissiou verbot den Verkauf des „Commentars" und berichtete
an das Konsistorium nach Dresden. Da aber das preußische Kammergericht


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[0269] Leipziger Pasquilwnten des achtzehnten Jahrhunderts infolge einer Anklage des preußischen Kammergerichts im November 1788 vor die Vücherkommissivn gefordert wurden, logen beide in der unverschämtesten Weise. Walther behauptete, sich gar nicht um das Buch gekümmert zu haben, sein Kompagnon habe es für sich allein in Kommission genommen, was er habe thun können, da sie sich so geeinigt hätten, daß jeder von beiden gewisse Artikel auch für sich allein annehmen könne. Pott aber erzählte eine ganz ähnliche Geschichte, wie seinerzeit Royer beim „Suscka": Kurz vor der Michaelis¬ messe sei ein Mann, den er zwar von Person gekannt habe, weil er auf andern Messen auch hier gewesen sei, dessen Name er aber nicht wisse — nach seiner Aussprache müsse es ein Österreicher gewesen sein! —, zu ihm gekommen und habe ihm die Hälfte des Manuskripts gebracht und ihm zum Verlag angeboten, Da aber Professor Eck die Zensur verweigert habe, so habe er dem Manne das Manuskript zurückgegeben. Darauf habe ihn dieser gefragt, ob er nicht die Schrift, wenn sie gedruckt wäre, in Kommission nehmen wolle, und da er sich dazu bereit erklärt habe, so habe ihm später ein Unbekannter 500 Exem¬ plare gegen Barzahlung in Kommission übergeben. „Wer die Schrift gedruckt habe, wo sie gedruckt, ob und von wem sie eensiret worden, sei ihm gnr nicht bekannt, und ebenso wenig, wer der Verfasser sei." Beide, Pott und Walther, erklärten sich bereit, ihre Aussage zu beschwören. Walther hatte auch die Frechheit, ein paar Tage darauf deu Eid zu leisten, während Pott allerhand ?insflüchte machte: er habe wegen der Schrift an Wollmar und auch an deu König geschrieben, es könne jeden Tag Nachricht kommen, daß von weiteren Verfahren gegen ihn Abstand genommen werden solle; außerdem werde er mit einer schriftlichen Rechtfertigung einkommen. Pott hatte wirklich an Wöllner geschrieben, aber Wöllner schickte das »insolönw Schreiben" an den Leipziger Rat. In seiner „Rechtfertigung" er¬ klärte Pott, solange ihm nicht nachgewiesen würde, daß die Abfassung des "Commentars" ein Verbrechen gewesen sei, glaube er auch „darüber einen Eid gu leisten nicht verpflichtet zu sein, da der Eid eine zu wichtige Sache, um ihn bei Kleinigkeiten und unbedeutenden Sachen abzulegen, indem, wie die Er¬ fahrung schon längst bewiesen, dnrch zu öftere Abnehmung der Eide die Wichtig¬ keit derselben bei dem Volke immer mehr verliere und dadurch Meineide ver¬ anlaßt würden." Unter „Friedrich dem Einzigen" habe der Grundsatz gegolten, "daß man Ungezogenheiten der Schriftsteller mit Stillschweigen bestrafen, ge¬ gründet scheinende Beschuldigungen widerlegen müsse, nicht aber dagegen um Rache klagen oder darüber Eide schwören lassen dürfe." Überdies wären eine Menge Menschen eben deshalb, weil mau ihm einen Eid abfordere, in dem »sonderbaren Wahn," daß er der Verfasser des Commentars sei; dies könne ihm für seine Ehre unmöglich gleichgiltig sein. Die Bücherkommissiou verbot den Verkauf des „Commentars" und berichtete an das Konsistorium nach Dresden. Da aber das preußische Kammergericht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/269>, abgerufen am 01.09.2024.