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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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Die schlechte Wirtschaft in der Arbeiterverfichermig

tuts- und Altersversicherung. Ohne die Zusammenfassung dieser zusammen¬
hängenden drei Zweige der Arbeiterversicherung geraten wir auch in Deutsch¬
land in ungesunde und unhaltbare Zustände, in eine Vergeudung von
Nationalvermögen, wie wir sie uns unter keinen Umständen erlaube"
können. Das ist, und zwar schon jetzt, die schlechte Wirtschaft in der
Arbeiterversicherung bei uns, deren Abstellung man nicht nach öster¬
reichischem Muster auf die lange Bank schieben sollte. Natürlich ist die Zu¬
sammenfassung der deutscheu Arbeiterversicherung nicht möglich, ohne daß die
bisherige Organisation auch der Unfallversicherung wesentlich geändert und
namentlich ihrer Selbständigkeit in sehr wesentlichen Veziehnngen ent¬
kleidet wird.

Ganz besonders nötig ist es, wenn eine bessere Wirtschaft in der deutschen
Arbeiterversicherung herbeigeführt werden soll, daß die rein bcrufsgenossen-
schaftlichc Organisation der Unfallversicherung zu Gunsten einer territorialen
Verwaltung aufgegeben wird, die deshalb keineswegs eines genossenschaft¬
lichen Charakters ganz beraubt zu werden braucht. Ferner ist es unerläßlich,
daß in der neu zu schaffenden territorialen Verwaltung, ähnlich wie es
schon jetzt in der Zentralstelle des Reichsversicherungsamts und in den An¬
stalten der Invalidität"- und Altersversicherung der Fall ist, zusammen mit
den sogenannten Interessenten ein vom Staate fachgemäß vorgebildetes und
ihm allein verantwortliches, von den Interessenten unabhängiges Beamten¬
tum zur leitenden und entscheidenden Thätigkeit berufen wird. In den
Unfallberufsgenossenschaften, wie sie jetzt organisirt sind, nehmen weder un¬
mittelbare noch mittelbare Staatsbeamte an der eigentliche!? Verwaltung teil,
sondern es herrscht eine angeblich ideale Selbstverwaltung, in der unter
den ehrenamtlich thätigen erwählten Vorständen der Berufsgenossenschaften
nur sozusagen Privatangestellte, sei es als Büreaubeamte, als Vertrauens
ärzte oder als Revisionsingenieure, berufsmäßig und gegen Bezahlung
arbeiten.

Wer die Einseitigkeit, Oberflächlichkeit und, offen gesagt, Narrheit kennt,
mit der sich die Leute durch das Schlagwort "Selbstverwaltung" blenden
lassen, ohne sich um den Begriff auch nur zu kümmern, der wird verstehe:,,
mit welchem Eifer, mit welcher Überlegenheit und mit welchem Erfolg die
Freunde der heutigen Unfallberufsgenosfenschaften auf den Mißerfolg in Öster¬
reich hinwiesen. Da habt ihr ja die gewünschten territorialen Anstalten unter
staatlicher Verwaltung -- so sagten und schrieben sie unaufhörlich --, sie
können, dank der büreaukratischen Wirtschaft natürlich nur mit wachsendem
Defizit arbeiten. An der reinen, unverfälschten Selbstverwaltung lassen wir
nicht rütteln! Dabei übersah man freilich die Kleinigkeit, daß in dieser
idealen Selbstverwaltung nicht nur die Thätigkeit der ehrenamtlichen Vorstünde,
sondern auch die der bezahlten Büreaubeamten, Ärzte und Nevisionsingenieure


Die schlechte Wirtschaft in der Arbeiterverfichermig

tuts- und Altersversicherung. Ohne die Zusammenfassung dieser zusammen¬
hängenden drei Zweige der Arbeiterversicherung geraten wir auch in Deutsch¬
land in ungesunde und unhaltbare Zustände, in eine Vergeudung von
Nationalvermögen, wie wir sie uns unter keinen Umständen erlaube»
können. Das ist, und zwar schon jetzt, die schlechte Wirtschaft in der
Arbeiterversicherung bei uns, deren Abstellung man nicht nach öster¬
reichischem Muster auf die lange Bank schieben sollte. Natürlich ist die Zu¬
sammenfassung der deutscheu Arbeiterversicherung nicht möglich, ohne daß die
bisherige Organisation auch der Unfallversicherung wesentlich geändert und
namentlich ihrer Selbständigkeit in sehr wesentlichen Veziehnngen ent¬
kleidet wird.

Ganz besonders nötig ist es, wenn eine bessere Wirtschaft in der deutschen
Arbeiterversicherung herbeigeführt werden soll, daß die rein bcrufsgenossen-
schaftlichc Organisation der Unfallversicherung zu Gunsten einer territorialen
Verwaltung aufgegeben wird, die deshalb keineswegs eines genossenschaft¬
lichen Charakters ganz beraubt zu werden braucht. Ferner ist es unerläßlich,
daß in der neu zu schaffenden territorialen Verwaltung, ähnlich wie es
schon jetzt in der Zentralstelle des Reichsversicherungsamts und in den An¬
stalten der Invalidität«- und Altersversicherung der Fall ist, zusammen mit
den sogenannten Interessenten ein vom Staate fachgemäß vorgebildetes und
ihm allein verantwortliches, von den Interessenten unabhängiges Beamten¬
tum zur leitenden und entscheidenden Thätigkeit berufen wird. In den
Unfallberufsgenossenschaften, wie sie jetzt organisirt sind, nehmen weder un¬
mittelbare noch mittelbare Staatsbeamte an der eigentliche!? Verwaltung teil,
sondern es herrscht eine angeblich ideale Selbstverwaltung, in der unter
den ehrenamtlich thätigen erwählten Vorständen der Berufsgenossenschaften
nur sozusagen Privatangestellte, sei es als Büreaubeamte, als Vertrauens
ärzte oder als Revisionsingenieure, berufsmäßig und gegen Bezahlung
arbeiten.

Wer die Einseitigkeit, Oberflächlichkeit und, offen gesagt, Narrheit kennt,
mit der sich die Leute durch das Schlagwort „Selbstverwaltung" blenden
lassen, ohne sich um den Begriff auch nur zu kümmern, der wird verstehe:,,
mit welchem Eifer, mit welcher Überlegenheit und mit welchem Erfolg die
Freunde der heutigen Unfallberufsgenosfenschaften auf den Mißerfolg in Öster¬
reich hinwiesen. Da habt ihr ja die gewünschten territorialen Anstalten unter
staatlicher Verwaltung — so sagten und schrieben sie unaufhörlich —, sie
können, dank der büreaukratischen Wirtschaft natürlich nur mit wachsendem
Defizit arbeiten. An der reinen, unverfälschten Selbstverwaltung lassen wir
nicht rütteln! Dabei übersah man freilich die Kleinigkeit, daß in dieser
idealen Selbstverwaltung nicht nur die Thätigkeit der ehrenamtlichen Vorstünde,
sondern auch die der bezahlten Büreaubeamten, Ärzte und Nevisionsingenieure


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[0251] Die schlechte Wirtschaft in der Arbeiterverfichermig tuts- und Altersversicherung. Ohne die Zusammenfassung dieser zusammen¬ hängenden drei Zweige der Arbeiterversicherung geraten wir auch in Deutsch¬ land in ungesunde und unhaltbare Zustände, in eine Vergeudung von Nationalvermögen, wie wir sie uns unter keinen Umständen erlaube» können. Das ist, und zwar schon jetzt, die schlechte Wirtschaft in der Arbeiterversicherung bei uns, deren Abstellung man nicht nach öster¬ reichischem Muster auf die lange Bank schieben sollte. Natürlich ist die Zu¬ sammenfassung der deutscheu Arbeiterversicherung nicht möglich, ohne daß die bisherige Organisation auch der Unfallversicherung wesentlich geändert und namentlich ihrer Selbständigkeit in sehr wesentlichen Veziehnngen ent¬ kleidet wird. Ganz besonders nötig ist es, wenn eine bessere Wirtschaft in der deutschen Arbeiterversicherung herbeigeführt werden soll, daß die rein bcrufsgenossen- schaftlichc Organisation der Unfallversicherung zu Gunsten einer territorialen Verwaltung aufgegeben wird, die deshalb keineswegs eines genossenschaft¬ lichen Charakters ganz beraubt zu werden braucht. Ferner ist es unerläßlich, daß in der neu zu schaffenden territorialen Verwaltung, ähnlich wie es schon jetzt in der Zentralstelle des Reichsversicherungsamts und in den An¬ stalten der Invalidität«- und Altersversicherung der Fall ist, zusammen mit den sogenannten Interessenten ein vom Staate fachgemäß vorgebildetes und ihm allein verantwortliches, von den Interessenten unabhängiges Beamten¬ tum zur leitenden und entscheidenden Thätigkeit berufen wird. In den Unfallberufsgenossenschaften, wie sie jetzt organisirt sind, nehmen weder un¬ mittelbare noch mittelbare Staatsbeamte an der eigentliche!? Verwaltung teil, sondern es herrscht eine angeblich ideale Selbstverwaltung, in der unter den ehrenamtlich thätigen erwählten Vorständen der Berufsgenossenschaften nur sozusagen Privatangestellte, sei es als Büreaubeamte, als Vertrauens ärzte oder als Revisionsingenieure, berufsmäßig und gegen Bezahlung arbeiten. Wer die Einseitigkeit, Oberflächlichkeit und, offen gesagt, Narrheit kennt, mit der sich die Leute durch das Schlagwort „Selbstverwaltung" blenden lassen, ohne sich um den Begriff auch nur zu kümmern, der wird verstehe:,, mit welchem Eifer, mit welcher Überlegenheit und mit welchem Erfolg die Freunde der heutigen Unfallberufsgenosfenschaften auf den Mißerfolg in Öster¬ reich hinwiesen. Da habt ihr ja die gewünschten territorialen Anstalten unter staatlicher Verwaltung — so sagten und schrieben sie unaufhörlich —, sie können, dank der büreaukratischen Wirtschaft natürlich nur mit wachsendem Defizit arbeiten. An der reinen, unverfälschten Selbstverwaltung lassen wir nicht rütteln! Dabei übersah man freilich die Kleinigkeit, daß in dieser idealen Selbstverwaltung nicht nur die Thätigkeit der ehrenamtlichen Vorstünde, sondern auch die der bezahlten Büreaubeamten, Ärzte und Nevisionsingenieure

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/251>, abgerufen am 25.11.2024.