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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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Lin wirtschaftspolitischer Rückblick

zwischen berechtigten und verfehlten wirtschaftlichen Maßregeln. Die hohe Ver¬
vollkommnung der Verkehrsmittel, die Bebauung und Besiedlung neuer Länder
und andres haben bewirkt, daß die Rohprodukte der Landwirtschaft ihren
frühern Preis nicht behaupten können. Wenn darauf aber vom Staate ver¬
langt wird, daß er hohe Preise mache, so ist das gerade so, als wenn der
Fuhrmann vom Staate Schadenersatz verlangen wollte für die Schädigung
seines Erwerbs durch die Eisenbahn.

Der Großgrundbesitz mußte wegen der Ausdehnung seiner Landslüche von
dieser Konkurrenz um härtesten betroffen werden. Es kommt hinzu, daß es
einer gesellschaftlich hoch stehenden Klasse dadurch sehr erschwert wird, ihre
Stellung zu behaupten. Diese Klasse aber hält sich selbst für eine besonders
wertvolle und unentbehrliche Stütze des Staats. Sie behauptet, daß es im
eignen Interesse des Staats liege, sie in ihrer Stellung zu schützen und ihr
die Weiterführung eines behaglichen Lebens zu ermöglichen. Und es scheint, daß
in den leitenden Kreisen Neigung vorhanden ist, auf solche Anschauungen ein¬
zugehen, und daß darauf die geradezu unbegreifliche den Agrariern bewiesene
Nachsicht zurückzuführen ist. Dadurch aber wird der Kampf für und wider
die agrarischen Bestrebungen nur um so bedenklicher, denn er gestaltet sich zu
einem Klassenkampf. Auf der einen Seite steht der demokratische Gleichheits¬
gedanke der Neuzeit, der von erblichen Vorrechten nichts wissen will, in ihrer
Festhaltung ein Unrecht und zugleich ein Hemmnis der Thatkraft sieht, da er
dem Emporstrebenden Bahn machen und dem Verdienste seinen Lohn zuerkennen
will. Auf der andern Seite steht eine Klasse, die mit grimmigem Haß die
ganze wirtschaftliche Entwicklung der Neuzeit betrachtet, weil sie fühlt, daß ihr
die Fähigkeit abgeht, sich in diesem wirtschaftlichen Kampfe zu behaupten. Sie
betrachtet jeden Reichtum, der außerhalb der landwirtschaftlichen Scholle er¬
worben wird, als ein Unrecht, nicht aus grundsätzlicher Abneigung gegen den
Mammon, aus Vorliebe für Schlichtheit und Einfachheit, sondern weil dieser
Reichtum "deplaeirt" sei, nicht dorthin gefallen sei, wohin er gehöre. Darum
scheint ihr die ganze heutige Wirtschaftsordnung verfehlt zu sein, und sie sucht
sie nach ihren Idealen zuzuschneiden, wobei sie in deu schärfsten Gegensatz gerät
zu deu Interessen und Bedürfnissen der ürmeru Bevölkerungsklasse, die doch
angeblich die höchste Richtschnur für die Gesetzgebung sein sollen. Bei der Un¬
wahrheit und Zeitwidrigkeit dieser Bestrebungen -- kann es da zweifelhaft sein,
daß ihre Macht vorübergehen wird?




Lin wirtschaftspolitischer Rückblick

zwischen berechtigten und verfehlten wirtschaftlichen Maßregeln. Die hohe Ver¬
vollkommnung der Verkehrsmittel, die Bebauung und Besiedlung neuer Länder
und andres haben bewirkt, daß die Rohprodukte der Landwirtschaft ihren
frühern Preis nicht behaupten können. Wenn darauf aber vom Staate ver¬
langt wird, daß er hohe Preise mache, so ist das gerade so, als wenn der
Fuhrmann vom Staate Schadenersatz verlangen wollte für die Schädigung
seines Erwerbs durch die Eisenbahn.

Der Großgrundbesitz mußte wegen der Ausdehnung seiner Landslüche von
dieser Konkurrenz um härtesten betroffen werden. Es kommt hinzu, daß es
einer gesellschaftlich hoch stehenden Klasse dadurch sehr erschwert wird, ihre
Stellung zu behaupten. Diese Klasse aber hält sich selbst für eine besonders
wertvolle und unentbehrliche Stütze des Staats. Sie behauptet, daß es im
eignen Interesse des Staats liege, sie in ihrer Stellung zu schützen und ihr
die Weiterführung eines behaglichen Lebens zu ermöglichen. Und es scheint, daß
in den leitenden Kreisen Neigung vorhanden ist, auf solche Anschauungen ein¬
zugehen, und daß darauf die geradezu unbegreifliche den Agrariern bewiesene
Nachsicht zurückzuführen ist. Dadurch aber wird der Kampf für und wider
die agrarischen Bestrebungen nur um so bedenklicher, denn er gestaltet sich zu
einem Klassenkampf. Auf der einen Seite steht der demokratische Gleichheits¬
gedanke der Neuzeit, der von erblichen Vorrechten nichts wissen will, in ihrer
Festhaltung ein Unrecht und zugleich ein Hemmnis der Thatkraft sieht, da er
dem Emporstrebenden Bahn machen und dem Verdienste seinen Lohn zuerkennen
will. Auf der andern Seite steht eine Klasse, die mit grimmigem Haß die
ganze wirtschaftliche Entwicklung der Neuzeit betrachtet, weil sie fühlt, daß ihr
die Fähigkeit abgeht, sich in diesem wirtschaftlichen Kampfe zu behaupten. Sie
betrachtet jeden Reichtum, der außerhalb der landwirtschaftlichen Scholle er¬
worben wird, als ein Unrecht, nicht aus grundsätzlicher Abneigung gegen den
Mammon, aus Vorliebe für Schlichtheit und Einfachheit, sondern weil dieser
Reichtum „deplaeirt" sei, nicht dorthin gefallen sei, wohin er gehöre. Darum
scheint ihr die ganze heutige Wirtschaftsordnung verfehlt zu sein, und sie sucht
sie nach ihren Idealen zuzuschneiden, wobei sie in deu schärfsten Gegensatz gerät
zu deu Interessen und Bedürfnissen der ürmeru Bevölkerungsklasse, die doch
angeblich die höchste Richtschnur für die Gesetzgebung sein sollen. Bei der Un¬
wahrheit und Zeitwidrigkeit dieser Bestrebungen — kann es da zweifelhaft sein,
daß ihre Macht vorübergehen wird?




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[0158] Lin wirtschaftspolitischer Rückblick zwischen berechtigten und verfehlten wirtschaftlichen Maßregeln. Die hohe Ver¬ vollkommnung der Verkehrsmittel, die Bebauung und Besiedlung neuer Länder und andres haben bewirkt, daß die Rohprodukte der Landwirtschaft ihren frühern Preis nicht behaupten können. Wenn darauf aber vom Staate ver¬ langt wird, daß er hohe Preise mache, so ist das gerade so, als wenn der Fuhrmann vom Staate Schadenersatz verlangen wollte für die Schädigung seines Erwerbs durch die Eisenbahn. Der Großgrundbesitz mußte wegen der Ausdehnung seiner Landslüche von dieser Konkurrenz um härtesten betroffen werden. Es kommt hinzu, daß es einer gesellschaftlich hoch stehenden Klasse dadurch sehr erschwert wird, ihre Stellung zu behaupten. Diese Klasse aber hält sich selbst für eine besonders wertvolle und unentbehrliche Stütze des Staats. Sie behauptet, daß es im eignen Interesse des Staats liege, sie in ihrer Stellung zu schützen und ihr die Weiterführung eines behaglichen Lebens zu ermöglichen. Und es scheint, daß in den leitenden Kreisen Neigung vorhanden ist, auf solche Anschauungen ein¬ zugehen, und daß darauf die geradezu unbegreifliche den Agrariern bewiesene Nachsicht zurückzuführen ist. Dadurch aber wird der Kampf für und wider die agrarischen Bestrebungen nur um so bedenklicher, denn er gestaltet sich zu einem Klassenkampf. Auf der einen Seite steht der demokratische Gleichheits¬ gedanke der Neuzeit, der von erblichen Vorrechten nichts wissen will, in ihrer Festhaltung ein Unrecht und zugleich ein Hemmnis der Thatkraft sieht, da er dem Emporstrebenden Bahn machen und dem Verdienste seinen Lohn zuerkennen will. Auf der andern Seite steht eine Klasse, die mit grimmigem Haß die ganze wirtschaftliche Entwicklung der Neuzeit betrachtet, weil sie fühlt, daß ihr die Fähigkeit abgeht, sich in diesem wirtschaftlichen Kampfe zu behaupten. Sie betrachtet jeden Reichtum, der außerhalb der landwirtschaftlichen Scholle er¬ worben wird, als ein Unrecht, nicht aus grundsätzlicher Abneigung gegen den Mammon, aus Vorliebe für Schlichtheit und Einfachheit, sondern weil dieser Reichtum „deplaeirt" sei, nicht dorthin gefallen sei, wohin er gehöre. Darum scheint ihr die ganze heutige Wirtschaftsordnung verfehlt zu sein, und sie sucht sie nach ihren Idealen zuzuschneiden, wobei sie in deu schärfsten Gegensatz gerät zu deu Interessen und Bedürfnissen der ürmeru Bevölkerungsklasse, die doch angeblich die höchste Richtschnur für die Gesetzgebung sein sollen. Bei der Un¬ wahrheit und Zeitwidrigkeit dieser Bestrebungen — kann es da zweifelhaft sein, daß ihre Macht vorübergehen wird?

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/158>, abgerufen am 01.09.2024.