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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

Verstehen, daß die Postdirektoren, Vorsteher von Postämtern mit einer Kopfzahl
von oft hundert bis dreihundert Personen, nicht mehr Befugnisse haben als die
PostVerwalter oder die Vorsteher von kleinen Ämtern mit zwei bis drei Köpfen.
Dort stehen Männer an der Spitze, die das Gymnasium durchgemacht haben, hier
Männer mit ganz elementarer Bildung; dort walten Beamte, die das höhere Post¬
verwaltungsexamen bestanden haben, hier solche, die sich nur einem Examen, bei
dem sehr geringe Anforderungen gestellt werden, haben unterwerfen müssen. Den
Postdirektoren wird wegen der Umsicht und Thatkraft, die sie bei Verwaltung eines
großen Amts zu bethätigen haben, der Rang von Räten vierter Klasse verliehen,
aber man giebt ihnen nicht mehr Befugnisse als den PostVerwaltern. Liegt darin
nicht ein Widerspruch? Dem Vernehmen nach soll die Frage der Kompetenz¬
erweiterung der Postdirektoren schon vor Jahren erwogen worden sein, aber man
hat sie angesichts der umfangreichen Arbeit, die dadurch die allgemeine Dienst¬
anweisung für Post und Telegraphie erfahren würde, fallen lassen. In den letzten
zehn Jahren hat sich aber der Geschäftsumfang der großen Postämter aus Anlaß
der sozialen Gesetzgebung derart erweitert, daß man sich endlich dazu wird ver¬
stehen müssen, die Kompetenzen sämtlicher großem Ämter zu erweitern.

Der Postdirektor hat das Recht, dem Unterbeamten eiuen Urlaub von drei
Tagen zu bewilligen, aber er hat nicht die Befugnis, einen Stellvertreter für ihn
gegen Gewährung eines Tagegeldes anzunehmen. Um diesen Stellvertreter an¬
nehmen zu können, muß er erst an die vorgesetzte Oberpostdirektion berichten. Er¬
krankt ein Unterbeamter und wird ihm vom Arzt der Rat erteilt, der bessern
Pflege wegen zu seinen Eltern oder sonstigen Verwandten überzusiedeln, so muß
der Postdirektor erst an seine vorgesetzte Behörde berichten, um die Genehmigung
zu erwirken. Wozu dieser Bericht? Kann der Amtsvorsteher nicht am besten be¬
urteilen, ob der Aufenthalt des Erkrankten bei seinen Eltern usw. notwendig sei?
Selbstverständlich verfügt die Oberpostdirektion stets nach den Vorschlägen des be¬
handelnden Arztes. Wenn es sich um die Niederschlagung von Porto- oder Tele¬
grammgebühren handelt, muß, auch wenn diese unzweifelhaft gerechtfertigt erscheint,
dennoch bei der vorgesetzten Behörde ein Antrag gestellt werden.

Auch innerhalb der Postämter wird auf höhere Veranlassung noch viel zu
viel geschrieben. Im Jahre 1883 wurde bekanntlich der Geldbriefträger Kossäth
in Berlin auf dem Bestellgange hinterrücks überfallen und seiner Geldtasche be¬
raubt. Dieser Raubanfall wird nun aller halben Jahre sämtlichen Briefträgern
"verhandlungsschriftlich" in Erinnerung gebracht, damit sie bei der Bestellung Vor¬
sicht üben. Dabei enthält aber die Dienstanweisung für Briefträger im Anhange
eine ausführliche gedruckte Ermahnung zur Beobachtung der nötigen Vorsicht beim
Austragen von Geldbriefen usw. Wozu diese überflüssigen Schreibereien? Wird
man unsern Enkelkindern den Kossäthschen Fall anch noch in Erinnerung bringen?




Maßgebliches und Unmaßgebliches

Verstehen, daß die Postdirektoren, Vorsteher von Postämtern mit einer Kopfzahl
von oft hundert bis dreihundert Personen, nicht mehr Befugnisse haben als die
PostVerwalter oder die Vorsteher von kleinen Ämtern mit zwei bis drei Köpfen.
Dort stehen Männer an der Spitze, die das Gymnasium durchgemacht haben, hier
Männer mit ganz elementarer Bildung; dort walten Beamte, die das höhere Post¬
verwaltungsexamen bestanden haben, hier solche, die sich nur einem Examen, bei
dem sehr geringe Anforderungen gestellt werden, haben unterwerfen müssen. Den
Postdirektoren wird wegen der Umsicht und Thatkraft, die sie bei Verwaltung eines
großen Amts zu bethätigen haben, der Rang von Räten vierter Klasse verliehen,
aber man giebt ihnen nicht mehr Befugnisse als den PostVerwaltern. Liegt darin
nicht ein Widerspruch? Dem Vernehmen nach soll die Frage der Kompetenz¬
erweiterung der Postdirektoren schon vor Jahren erwogen worden sein, aber man
hat sie angesichts der umfangreichen Arbeit, die dadurch die allgemeine Dienst¬
anweisung für Post und Telegraphie erfahren würde, fallen lassen. In den letzten
zehn Jahren hat sich aber der Geschäftsumfang der großen Postämter aus Anlaß
der sozialen Gesetzgebung derart erweitert, daß man sich endlich dazu wird ver¬
stehen müssen, die Kompetenzen sämtlicher großem Ämter zu erweitern.

Der Postdirektor hat das Recht, dem Unterbeamten eiuen Urlaub von drei
Tagen zu bewilligen, aber er hat nicht die Befugnis, einen Stellvertreter für ihn
gegen Gewährung eines Tagegeldes anzunehmen. Um diesen Stellvertreter an¬
nehmen zu können, muß er erst an die vorgesetzte Oberpostdirektion berichten. Er¬
krankt ein Unterbeamter und wird ihm vom Arzt der Rat erteilt, der bessern
Pflege wegen zu seinen Eltern oder sonstigen Verwandten überzusiedeln, so muß
der Postdirektor erst an seine vorgesetzte Behörde berichten, um die Genehmigung
zu erwirken. Wozu dieser Bericht? Kann der Amtsvorsteher nicht am besten be¬
urteilen, ob der Aufenthalt des Erkrankten bei seinen Eltern usw. notwendig sei?
Selbstverständlich verfügt die Oberpostdirektion stets nach den Vorschlägen des be¬
handelnden Arztes. Wenn es sich um die Niederschlagung von Porto- oder Tele¬
grammgebühren handelt, muß, auch wenn diese unzweifelhaft gerechtfertigt erscheint,
dennoch bei der vorgesetzten Behörde ein Antrag gestellt werden.

Auch innerhalb der Postämter wird auf höhere Veranlassung noch viel zu
viel geschrieben. Im Jahre 1883 wurde bekanntlich der Geldbriefträger Kossäth
in Berlin auf dem Bestellgange hinterrücks überfallen und seiner Geldtasche be¬
raubt. Dieser Raubanfall wird nun aller halben Jahre sämtlichen Briefträgern
„verhandlungsschriftlich" in Erinnerung gebracht, damit sie bei der Bestellung Vor¬
sicht üben. Dabei enthält aber die Dienstanweisung für Briefträger im Anhange
eine ausführliche gedruckte Ermahnung zur Beobachtung der nötigen Vorsicht beim
Austragen von Geldbriefen usw. Wozu diese überflüssigen Schreibereien? Wird
man unsern Enkelkindern den Kossäthschen Fall anch noch in Erinnerung bringen?




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[0148] Maßgebliches und Unmaßgebliches Verstehen, daß die Postdirektoren, Vorsteher von Postämtern mit einer Kopfzahl von oft hundert bis dreihundert Personen, nicht mehr Befugnisse haben als die PostVerwalter oder die Vorsteher von kleinen Ämtern mit zwei bis drei Köpfen. Dort stehen Männer an der Spitze, die das Gymnasium durchgemacht haben, hier Männer mit ganz elementarer Bildung; dort walten Beamte, die das höhere Post¬ verwaltungsexamen bestanden haben, hier solche, die sich nur einem Examen, bei dem sehr geringe Anforderungen gestellt werden, haben unterwerfen müssen. Den Postdirektoren wird wegen der Umsicht und Thatkraft, die sie bei Verwaltung eines großen Amts zu bethätigen haben, der Rang von Räten vierter Klasse verliehen, aber man giebt ihnen nicht mehr Befugnisse als den PostVerwaltern. Liegt darin nicht ein Widerspruch? Dem Vernehmen nach soll die Frage der Kompetenz¬ erweiterung der Postdirektoren schon vor Jahren erwogen worden sein, aber man hat sie angesichts der umfangreichen Arbeit, die dadurch die allgemeine Dienst¬ anweisung für Post und Telegraphie erfahren würde, fallen lassen. In den letzten zehn Jahren hat sich aber der Geschäftsumfang der großen Postämter aus Anlaß der sozialen Gesetzgebung derart erweitert, daß man sich endlich dazu wird ver¬ stehen müssen, die Kompetenzen sämtlicher großem Ämter zu erweitern. Der Postdirektor hat das Recht, dem Unterbeamten eiuen Urlaub von drei Tagen zu bewilligen, aber er hat nicht die Befugnis, einen Stellvertreter für ihn gegen Gewährung eines Tagegeldes anzunehmen. Um diesen Stellvertreter an¬ nehmen zu können, muß er erst an die vorgesetzte Oberpostdirektion berichten. Er¬ krankt ein Unterbeamter und wird ihm vom Arzt der Rat erteilt, der bessern Pflege wegen zu seinen Eltern oder sonstigen Verwandten überzusiedeln, so muß der Postdirektor erst an seine vorgesetzte Behörde berichten, um die Genehmigung zu erwirken. Wozu dieser Bericht? Kann der Amtsvorsteher nicht am besten be¬ urteilen, ob der Aufenthalt des Erkrankten bei seinen Eltern usw. notwendig sei? Selbstverständlich verfügt die Oberpostdirektion stets nach den Vorschlägen des be¬ handelnden Arztes. Wenn es sich um die Niederschlagung von Porto- oder Tele¬ grammgebühren handelt, muß, auch wenn diese unzweifelhaft gerechtfertigt erscheint, dennoch bei der vorgesetzten Behörde ein Antrag gestellt werden. Auch innerhalb der Postämter wird auf höhere Veranlassung noch viel zu viel geschrieben. Im Jahre 1883 wurde bekanntlich der Geldbriefträger Kossäth in Berlin auf dem Bestellgange hinterrücks überfallen und seiner Geldtasche be¬ raubt. Dieser Raubanfall wird nun aller halben Jahre sämtlichen Briefträgern „verhandlungsschriftlich" in Erinnerung gebracht, damit sie bei der Bestellung Vor¬ sicht üben. Dabei enthält aber die Dienstanweisung für Briefträger im Anhange eine ausführliche gedruckte Ermahnung zur Beobachtung der nötigen Vorsicht beim Austragen von Geldbriefen usw. Wozu diese überflüssigen Schreibereien? Wird man unsern Enkelkindern den Kossäthschen Fall anch noch in Erinnerung bringen?

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/148>, abgerufen am 01.09.2024.