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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr.

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Die Aufgabe des preußischen Handelsministers

als sie ihm in Handels- und Gewerbckammern gegeben werden kann? Glauben
diese erfahrnen preußischen Geheimräte wirklich, durch die zünftlerischen Mehr¬
heiten gesonderter kleingewerblicher Vertretungskörper besser darüber unter¬
richtet zu werden, wo es fehlt, und wie zu helfen ist, als sie sich in ihrer
langen Praxis auch ohne solche Handwerkerkammern unterrichtet haben oder
doch hätten unterrichten können? Man wird aufs bestimmteste bestreiten dürfen,
daß die erfahrnen Räte im preußischen Handelsministerium in diesem Wahne
befangen seien. Sie müssen das besser wissen, und sie wissen das besser, sonst
müßte man ja an allem Zusammenhange der preußischen Verwaltung von heute
mit der alten hochverdienten preußisch-hohenzollerischen Beamtenschule zweifeln,
wie sie von den Zeiten des Großen Kurfürsten an gerade auf dem Gebiete der
Fürsorge für Handel und Gewerbe, trotz mancher Irrwege doch immer selb¬
ständig und ohne Schlendrian, vorbildlich und bahnbrechend war in Deutsch¬
land bis zur Mitte dieses Jahrhunderts. Die ganze Kläglichkeit der heutigen
Handwerkspolitik in Deutschland und Preußen hat Stieda neuerdings vortreff¬
lich gezeichnet/") "In Baden, in Hessen und in Württemberg -- schreibt er --
hat man es zwar verstanden, ohne an der Gewerbefreiheit zu rütteln, durch
zweckmüßige Maßregeln mannichfacher Art die Zustände (im Handwerk) erträg¬
licher zu machen. Das Gleiche gilt teilweise auch von Baiern. In Mittel-
und Norddeutschland aber und in den Kreisen der Reichsgesetzgebung herrscht
eine Haltungslosigkeit vor, die nur in Erstaunen setzen kann. Die Regierungs¬
vertreter fließen bei jeder Gelegenheit von Versicherungen des Wohlwollens
für die gedrückten Handwerker über, aber ein festes Programm tragen sie nicht
vor. In Preußen scheint diese schwankende Handwerkspolitik fast traditionell
geworden zu sein. Sie hat sich in der Novelle von 1849 bitter genug ge¬
rächt. Längst wäre man heute, wie in England und Frankreich, über die Dis¬
kussion der Notwendigkeit, die Gewerbefreiheit wieder einzuschränken, hinaus,
wenn jene Gewerbenovelle nicht erlassen worden wäre. Von Preußen aus
aber wirft diese Unentschlossenheit ihre Schatten in die Reichsgesetzgebung und
hat uns jene die Innungen begünstigenden Maßregeln von 1881 und den
folgenden Jahren gebracht, die die ganze heutige Handwerkerbemegung herauf¬
beschworen und doch dem deutschen Gewerbestande so wenig genützt haben. Es
muß endlich einmal bei aller Verehrung für den großen deutschen Staatsmann
ausgesprochen werden, daß Fürst Bismarck die Junungsgesetzgebung von 1881
vorzugsweise oder lediglich aus politischen Opportunitätsgründen zugelassen,
dem Handwerk und der Gesamtheit aber damit keinen Dienst geleistet hat."

Die Erbschaft dieser Fehler tritt der neue Handelsminister in Herrn von
Berlepschs Entwurf zur Organisation des Handwerks an; aber diese Erbschaft
wirkt auf die Organisation der gesamten Interessenvertretung in Handel und



*) Im ersten Supplementbnnde des Handwörterbuchs für die Swntswissenschnften.
Die Aufgabe des preußischen Handelsministers

als sie ihm in Handels- und Gewerbckammern gegeben werden kann? Glauben
diese erfahrnen preußischen Geheimräte wirklich, durch die zünftlerischen Mehr¬
heiten gesonderter kleingewerblicher Vertretungskörper besser darüber unter¬
richtet zu werden, wo es fehlt, und wie zu helfen ist, als sie sich in ihrer
langen Praxis auch ohne solche Handwerkerkammern unterrichtet haben oder
doch hätten unterrichten können? Man wird aufs bestimmteste bestreiten dürfen,
daß die erfahrnen Räte im preußischen Handelsministerium in diesem Wahne
befangen seien. Sie müssen das besser wissen, und sie wissen das besser, sonst
müßte man ja an allem Zusammenhange der preußischen Verwaltung von heute
mit der alten hochverdienten preußisch-hohenzollerischen Beamtenschule zweifeln,
wie sie von den Zeiten des Großen Kurfürsten an gerade auf dem Gebiete der
Fürsorge für Handel und Gewerbe, trotz mancher Irrwege doch immer selb¬
ständig und ohne Schlendrian, vorbildlich und bahnbrechend war in Deutsch¬
land bis zur Mitte dieses Jahrhunderts. Die ganze Kläglichkeit der heutigen
Handwerkspolitik in Deutschland und Preußen hat Stieda neuerdings vortreff¬
lich gezeichnet/") „In Baden, in Hessen und in Württemberg — schreibt er —
hat man es zwar verstanden, ohne an der Gewerbefreiheit zu rütteln, durch
zweckmüßige Maßregeln mannichfacher Art die Zustände (im Handwerk) erträg¬
licher zu machen. Das Gleiche gilt teilweise auch von Baiern. In Mittel-
und Norddeutschland aber und in den Kreisen der Reichsgesetzgebung herrscht
eine Haltungslosigkeit vor, die nur in Erstaunen setzen kann. Die Regierungs¬
vertreter fließen bei jeder Gelegenheit von Versicherungen des Wohlwollens
für die gedrückten Handwerker über, aber ein festes Programm tragen sie nicht
vor. In Preußen scheint diese schwankende Handwerkspolitik fast traditionell
geworden zu sein. Sie hat sich in der Novelle von 1849 bitter genug ge¬
rächt. Längst wäre man heute, wie in England und Frankreich, über die Dis¬
kussion der Notwendigkeit, die Gewerbefreiheit wieder einzuschränken, hinaus,
wenn jene Gewerbenovelle nicht erlassen worden wäre. Von Preußen aus
aber wirft diese Unentschlossenheit ihre Schatten in die Reichsgesetzgebung und
hat uns jene die Innungen begünstigenden Maßregeln von 1881 und den
folgenden Jahren gebracht, die die ganze heutige Handwerkerbemegung herauf¬
beschworen und doch dem deutschen Gewerbestande so wenig genützt haben. Es
muß endlich einmal bei aller Verehrung für den großen deutschen Staatsmann
ausgesprochen werden, daß Fürst Bismarck die Junungsgesetzgebung von 1881
vorzugsweise oder lediglich aus politischen Opportunitätsgründen zugelassen,
dem Handwerk und der Gesamtheit aber damit keinen Dienst geleistet hat."

Die Erbschaft dieser Fehler tritt der neue Handelsminister in Herrn von
Berlepschs Entwurf zur Organisation des Handwerks an; aber diese Erbschaft
wirkt auf die Organisation der gesamten Interessenvertretung in Handel und



*) Im ersten Supplementbnnde des Handwörterbuchs für die Swntswissenschnften.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222941/107>, abgerufen am 01.09.2024.