Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.Zur Litteraturgeschichte eigentliche Leser finden werden, liegt in der Natur der Sache. Wie weit der Zur Litteraturgeschichte eigentliche Leser finden werden, liegt in der Natur der Sache. Wie weit der <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0618" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/222922"/> <fw type="header" place="top"> Zur Litteraturgeschichte</fw><lb/> <p xml:id="ID_1785" prev="#ID_1784" next="#ID_1786"> eigentliche Leser finden werden, liegt in der Natur der Sache. Wie weit der<lb/> Litteraturfreund, der gebildete Mensch, den doch immer nur die Hauptzüge der<lb/> litterarischen Entwicklung, die Charakterköpfe und die ganzen Gestalten der ein¬<lb/> zelnen Perioden anziehen und fesseln, aus diesen Nachweisen Belehrung oder<lb/> gar Genuß schöpfen kann, lassen wir dahingestellt, es ist nicht der Zweck des<lb/> Unternehmens, die Wünsche gerade dieser Litteraturfreunde zu befriedigen. Wohl<lb/> aber ist zu hoffen, daß die unmittelbar beteiligten Kreise selbst durch eine Folge<lb/> von Jahrgängen der „Jahresberichte" nicht nur äußerlich im Sinne des Nach¬<lb/> weises und der Kenntnis des Vorhandnen gefordert werden, da die Ergebnisse,<lb/> die man hier überblickt, wahrlich nicht dazu angethan sind, überall die Stim¬<lb/> mung zu pflegen, „wie wirs so herrlich weit gebracht." Was zuletzt aus<lb/> diesen Wagenladungen voll Spezialwissenschcist, dieser Übermasse von Schreib¬<lb/> und Druckarbeit werden soll, muß die Litteraturgeschichte, wie manche andre<lb/> Wissenschaft unsrer Tage, Gott befehlen. Einstweilen werden die „Jahres¬<lb/> berichte" nicht bloß Zufriedenheit, sondern hoffentlich anch die Erkenntnis<lb/> wecken, wie gewaltige und klaffende Lücken all diese Betriebsamkeit und Einzel¬<lb/> forschung dennoch zeigt, wie sehr es an dem großen Zuge zur Vereinfachung<lb/> gebricht, welche Mängel der vermeinte Reichtum einschließt. Eine Rückwirkung<lb/> auf die Forschung und die Darstellung selbst läßt sich ja nicht augenblicklich<lb/> erwarten, kann aber mit der Zeit nicht ausbleiben. Die Verbreitung der<lb/> „Jahresberichte" wird über eine gewisse Linie nicht hinausgehen können; ihre<lb/> Benutzung ist durch ein sehr sorgfältiges Sach- und Personenregister, eine der<lb/> vielen schlichten und rühmlichen Leistungen der Redaktion, erleichtert. Daß<lb/> der Umfang der „Jahresberichte" im Verlauf der vier Jahrgänge beständig<lb/> gewachsen ist, mag auf die Erweiterung und Abrundung des Stoffgebiets und<lb/> zunächst nicht auf ein unmittelbares Anwachsen der litterargeschichtlichen Arbeit<lb/> zurückzuführen sein, gleichwohl wird es auf die Länge schwerlich durchführbar<lb/> fein, die Masse der litterarischen Notizen und kritischen Erörterungen in der<lb/> Tagespresse in den Rahmen dieser Berichte hereinzuziehen. Natürlich finden<lb/> sich gelegentlich selbst wichtige thatsächliche Mitteilungen in Verlornen Artikeln<lb/> von Zeitungen und Zeitschriften, und die kritische Einsicht und Schürfe eines<lb/> Feuilletonkritikers reicht manchmal über die zünftiger Literarhistoriker hinaus.<lb/> Doch sind das Ausnahmen, denen sich wohl noch in andrer Weise gerecht werden<lb/> läßt, als durch die Belastung der Übersichten mit dem Ballast minderwertigen<lb/> und überflüssigen Materials. Die Ungleichheiten des Textes, die der Re¬<lb/> daktion so große Schwierigkeiten bereiten, als der andauernde Wechsel unter<lb/> den Mitarbeitern werden sich mit der Zeit überwinden lassen, wenn man einen<lb/> glücklichen Ausweg aus der Sackgasse findet, in die hier die litterargeschicht-<lb/> liche Berichterstattung um der bibliographischen Vollständigkeit willen geraten<lb/> ist. Alles in allem, find die „Jahresberichte für neuere deutsche Litteratur¬<lb/> geschichte" zur Zeit wohl als festbegründetes Unternehmen anzusehen, dem wir</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0618]
Zur Litteraturgeschichte
eigentliche Leser finden werden, liegt in der Natur der Sache. Wie weit der
Litteraturfreund, der gebildete Mensch, den doch immer nur die Hauptzüge der
litterarischen Entwicklung, die Charakterköpfe und die ganzen Gestalten der ein¬
zelnen Perioden anziehen und fesseln, aus diesen Nachweisen Belehrung oder
gar Genuß schöpfen kann, lassen wir dahingestellt, es ist nicht der Zweck des
Unternehmens, die Wünsche gerade dieser Litteraturfreunde zu befriedigen. Wohl
aber ist zu hoffen, daß die unmittelbar beteiligten Kreise selbst durch eine Folge
von Jahrgängen der „Jahresberichte" nicht nur äußerlich im Sinne des Nach¬
weises und der Kenntnis des Vorhandnen gefordert werden, da die Ergebnisse,
die man hier überblickt, wahrlich nicht dazu angethan sind, überall die Stim¬
mung zu pflegen, „wie wirs so herrlich weit gebracht." Was zuletzt aus
diesen Wagenladungen voll Spezialwissenschcist, dieser Übermasse von Schreib¬
und Druckarbeit werden soll, muß die Litteraturgeschichte, wie manche andre
Wissenschaft unsrer Tage, Gott befehlen. Einstweilen werden die „Jahres¬
berichte" nicht bloß Zufriedenheit, sondern hoffentlich anch die Erkenntnis
wecken, wie gewaltige und klaffende Lücken all diese Betriebsamkeit und Einzel¬
forschung dennoch zeigt, wie sehr es an dem großen Zuge zur Vereinfachung
gebricht, welche Mängel der vermeinte Reichtum einschließt. Eine Rückwirkung
auf die Forschung und die Darstellung selbst läßt sich ja nicht augenblicklich
erwarten, kann aber mit der Zeit nicht ausbleiben. Die Verbreitung der
„Jahresberichte" wird über eine gewisse Linie nicht hinausgehen können; ihre
Benutzung ist durch ein sehr sorgfältiges Sach- und Personenregister, eine der
vielen schlichten und rühmlichen Leistungen der Redaktion, erleichtert. Daß
der Umfang der „Jahresberichte" im Verlauf der vier Jahrgänge beständig
gewachsen ist, mag auf die Erweiterung und Abrundung des Stoffgebiets und
zunächst nicht auf ein unmittelbares Anwachsen der litterargeschichtlichen Arbeit
zurückzuführen sein, gleichwohl wird es auf die Länge schwerlich durchführbar
fein, die Masse der litterarischen Notizen und kritischen Erörterungen in der
Tagespresse in den Rahmen dieser Berichte hereinzuziehen. Natürlich finden
sich gelegentlich selbst wichtige thatsächliche Mitteilungen in Verlornen Artikeln
von Zeitungen und Zeitschriften, und die kritische Einsicht und Schürfe eines
Feuilletonkritikers reicht manchmal über die zünftiger Literarhistoriker hinaus.
Doch sind das Ausnahmen, denen sich wohl noch in andrer Weise gerecht werden
läßt, als durch die Belastung der Übersichten mit dem Ballast minderwertigen
und überflüssigen Materials. Die Ungleichheiten des Textes, die der Re¬
daktion so große Schwierigkeiten bereiten, als der andauernde Wechsel unter
den Mitarbeitern werden sich mit der Zeit überwinden lassen, wenn man einen
glücklichen Ausweg aus der Sackgasse findet, in die hier die litterargeschicht-
liche Berichterstattung um der bibliographischen Vollständigkeit willen geraten
ist. Alles in allem, find die „Jahresberichte für neuere deutsche Litteratur¬
geschichte" zur Zeit wohl als festbegründetes Unternehmen anzusehen, dem wir
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