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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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Professuren für deutsches Altertum

Griechisch und Latein könne so lange nicht durch Deutsch, klassisches Altertum
so lange nicht durch deutsches Altertum und deutsche Volkskunde ersetzt werden,
als es keine Lehrer für Deutsch in diesem Sinne gebe. Und solche Lehrer
könne es nicht geben, solange nicht auf den Universitäten deutsche Philologie
in dem umfassenden Herder-Humboldtschen Sinne von Philologie als "Wissen¬
schaft von einer Nationalität" gebe, den sich die klassische Philologie in der
Ausgestaltung ihres Universitätsunterrichts längst zur Richtschnur genommen
habe, indem sie das ganze Volkstum der Griechen und Römer nmspanne.
Der Germanist erfahre eben auf der Universität nichts von Volkskunde und
sei darum auch gar nicht in der Lage, die reichen Beziehungen des deutschen
Altertums zur Gegenwart später seinen Schülern zu Gemüte zu führen. Dieser
Unterschied des Begriffs Philologie zeige sich klar in der Prüfungsordnung
von 1887, die zwar von dem klassischen Philologen auch Kenntnis der
politischen, Verfasfungs- und Rechtsgeschichte, der Mythologie, Philosophie und
Kunstgeschichte des klassischen Altertums verlange, von den Germanisten aber
außer Grammatik und Litteraturgeschichte nur die Anhängsel der Metrik, Rhe¬
torik und Stilistik. Dementsprechend bewegten sich auch die germanistischen
Vorlesungen fast ausschließlich auf jenen beiden Gebieten. Die Schuld an
diesem "zirouIuL vitiosus treffe aber nicht die Schule, die niemals lange hinter
der Entwicklung des deutschen Geisteslebens zurückbleiben könne; vielmehr sei
es klar, daß hier notwendig die Universität vorangehen müsse.

Es kann nicht überraschen, zu sehen, mit welcher Klarheit und Sicherheit
gerade von einem Vertreter des jüngern Geschlechts hier ein wunder Punkt
unsrer Universitäten aufgedeckt wird. Denn wenn die Universitäten ein Spiegel¬
bild aller zur Zeit in unserm Volke zur Selbständigkeit ausgewachsenen Wissen¬
schaftszweige bieten, d. h. besondre Vertreter aller der Spezialitäten aufweisen
sollen, für die nicht nur besondre Gelehrte vorhanden sind, sondern die auch
infolge des Umfangs ihres Gebiets und infolge ihrer hohen Bedeutung mit
Erfolg nur von besondern Vertretern getrieben werden können, so liegt hier
eben eine sehr fühlbare Lücke in der Ausgestaltung der philosophischen Fakultät
vor. Und diese Lücke ist um so erstaunlicher und betrübender, als es sich um
die wissenschaftliche Erforschung unsers eignen Volkstums handelt, die doch seit
1870 nicht mehr privaten Händen überlassen werden, sondern von Reichs und
Staats wegen in die richtigen Wege geleitet werden muß. Wir stehen hier
vor einer Frage, die man mit Recht eine "nationale" nennen kann, die aber
nicht nur vom Standpunkte der begeisternngsfähigen Schuljugend und der lern¬
begierigen Studentenschaft beurteilt sein will, sondern die auch für die richtige
Organisation und Pflege der Wissenschaft von höchster Bedeutung ist.

Die Klage des deutschen Studenten über die germanistischen Vorlesungen
ist nur zu berechtigt. sehen wir von der Litteraturgeschichte der neuern wie
der ältern Zeit ab, so bewegen sich die meisten ordentlichen Professoren in


Grenzboten II 1896 7V
Professuren für deutsches Altertum

Griechisch und Latein könne so lange nicht durch Deutsch, klassisches Altertum
so lange nicht durch deutsches Altertum und deutsche Volkskunde ersetzt werden,
als es keine Lehrer für Deutsch in diesem Sinne gebe. Und solche Lehrer
könne es nicht geben, solange nicht auf den Universitäten deutsche Philologie
in dem umfassenden Herder-Humboldtschen Sinne von Philologie als „Wissen¬
schaft von einer Nationalität" gebe, den sich die klassische Philologie in der
Ausgestaltung ihres Universitätsunterrichts längst zur Richtschnur genommen
habe, indem sie das ganze Volkstum der Griechen und Römer nmspanne.
Der Germanist erfahre eben auf der Universität nichts von Volkskunde und
sei darum auch gar nicht in der Lage, die reichen Beziehungen des deutschen
Altertums zur Gegenwart später seinen Schülern zu Gemüte zu führen. Dieser
Unterschied des Begriffs Philologie zeige sich klar in der Prüfungsordnung
von 1887, die zwar von dem klassischen Philologen auch Kenntnis der
politischen, Verfasfungs- und Rechtsgeschichte, der Mythologie, Philosophie und
Kunstgeschichte des klassischen Altertums verlange, von den Germanisten aber
außer Grammatik und Litteraturgeschichte nur die Anhängsel der Metrik, Rhe¬
torik und Stilistik. Dementsprechend bewegten sich auch die germanistischen
Vorlesungen fast ausschließlich auf jenen beiden Gebieten. Die Schuld an
diesem «zirouIuL vitiosus treffe aber nicht die Schule, die niemals lange hinter
der Entwicklung des deutschen Geisteslebens zurückbleiben könne; vielmehr sei
es klar, daß hier notwendig die Universität vorangehen müsse.

Es kann nicht überraschen, zu sehen, mit welcher Klarheit und Sicherheit
gerade von einem Vertreter des jüngern Geschlechts hier ein wunder Punkt
unsrer Universitäten aufgedeckt wird. Denn wenn die Universitäten ein Spiegel¬
bild aller zur Zeit in unserm Volke zur Selbständigkeit ausgewachsenen Wissen¬
schaftszweige bieten, d. h. besondre Vertreter aller der Spezialitäten aufweisen
sollen, für die nicht nur besondre Gelehrte vorhanden sind, sondern die auch
infolge des Umfangs ihres Gebiets und infolge ihrer hohen Bedeutung mit
Erfolg nur von besondern Vertretern getrieben werden können, so liegt hier
eben eine sehr fühlbare Lücke in der Ausgestaltung der philosophischen Fakultät
vor. Und diese Lücke ist um so erstaunlicher und betrübender, als es sich um
die wissenschaftliche Erforschung unsers eignen Volkstums handelt, die doch seit
1870 nicht mehr privaten Händen überlassen werden, sondern von Reichs und
Staats wegen in die richtigen Wege geleitet werden muß. Wir stehen hier
vor einer Frage, die man mit Recht eine „nationale" nennen kann, die aber
nicht nur vom Standpunkte der begeisternngsfähigen Schuljugend und der lern¬
begierigen Studentenschaft beurteilt sein will, sondern die auch für die richtige
Organisation und Pflege der Wissenschaft von höchster Bedeutung ist.

Die Klage des deutschen Studenten über die germanistischen Vorlesungen
ist nur zu berechtigt. sehen wir von der Litteraturgeschichte der neuern wie
der ältern Zeit ab, so bewegen sich die meisten ordentlichen Professoren in


Grenzboten II 1896 7V
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[0609] Professuren für deutsches Altertum Griechisch und Latein könne so lange nicht durch Deutsch, klassisches Altertum so lange nicht durch deutsches Altertum und deutsche Volkskunde ersetzt werden, als es keine Lehrer für Deutsch in diesem Sinne gebe. Und solche Lehrer könne es nicht geben, solange nicht auf den Universitäten deutsche Philologie in dem umfassenden Herder-Humboldtschen Sinne von Philologie als „Wissen¬ schaft von einer Nationalität" gebe, den sich die klassische Philologie in der Ausgestaltung ihres Universitätsunterrichts längst zur Richtschnur genommen habe, indem sie das ganze Volkstum der Griechen und Römer nmspanne. Der Germanist erfahre eben auf der Universität nichts von Volkskunde und sei darum auch gar nicht in der Lage, die reichen Beziehungen des deutschen Altertums zur Gegenwart später seinen Schülern zu Gemüte zu führen. Dieser Unterschied des Begriffs Philologie zeige sich klar in der Prüfungsordnung von 1887, die zwar von dem klassischen Philologen auch Kenntnis der politischen, Verfasfungs- und Rechtsgeschichte, der Mythologie, Philosophie und Kunstgeschichte des klassischen Altertums verlange, von den Germanisten aber außer Grammatik und Litteraturgeschichte nur die Anhängsel der Metrik, Rhe¬ torik und Stilistik. Dementsprechend bewegten sich auch die germanistischen Vorlesungen fast ausschließlich auf jenen beiden Gebieten. Die Schuld an diesem «zirouIuL vitiosus treffe aber nicht die Schule, die niemals lange hinter der Entwicklung des deutschen Geisteslebens zurückbleiben könne; vielmehr sei es klar, daß hier notwendig die Universität vorangehen müsse. Es kann nicht überraschen, zu sehen, mit welcher Klarheit und Sicherheit gerade von einem Vertreter des jüngern Geschlechts hier ein wunder Punkt unsrer Universitäten aufgedeckt wird. Denn wenn die Universitäten ein Spiegel¬ bild aller zur Zeit in unserm Volke zur Selbständigkeit ausgewachsenen Wissen¬ schaftszweige bieten, d. h. besondre Vertreter aller der Spezialitäten aufweisen sollen, für die nicht nur besondre Gelehrte vorhanden sind, sondern die auch infolge des Umfangs ihres Gebiets und infolge ihrer hohen Bedeutung mit Erfolg nur von besondern Vertretern getrieben werden können, so liegt hier eben eine sehr fühlbare Lücke in der Ausgestaltung der philosophischen Fakultät vor. Und diese Lücke ist um so erstaunlicher und betrübender, als es sich um die wissenschaftliche Erforschung unsers eignen Volkstums handelt, die doch seit 1870 nicht mehr privaten Händen überlassen werden, sondern von Reichs und Staats wegen in die richtigen Wege geleitet werden muß. Wir stehen hier vor einer Frage, die man mit Recht eine „nationale" nennen kann, die aber nicht nur vom Standpunkte der begeisternngsfähigen Schuljugend und der lern¬ begierigen Studentenschaft beurteilt sein will, sondern die auch für die richtige Organisation und Pflege der Wissenschaft von höchster Bedeutung ist. Die Klage des deutschen Studenten über die germanistischen Vorlesungen ist nur zu berechtigt. sehen wir von der Litteraturgeschichte der neuern wie der ältern Zeit ab, so bewegen sich die meisten ordentlichen Professoren in Grenzboten II 1896 7V

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/609>, abgerufen am 02.10.2024.