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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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Lin Wort zum deutsch-dänischen Streit

feindseligen Haltung der Sozialdemokratie dürfen wir uns doch nicht erbittern
lassen und mit denselben Waffen kämpfen, und es wäre verfehlt, wenn wir,
dem Rate gewisser Politiker folgend, nur auf gewaltsame Unterdrückung der
Sozialdemokratie bedacht sein wollten, damit wir uns über ihr Treiben nicht
mehr zu ürgeru brauchen. Die Aufgabe der bürgerliche" Gesellschaft besteht
vielmehr darin, sachlich diese Zeitströmung zu prüfen, ihre Ursachen zu er¬
forschen, und zu untersuchen, ob uicht manche der erhabnen Beschwerden gerecht
sind und die beklagten Übelstände sich abstellen lassen. In ähnlichem Sinne
wurde vor einiger Zeit in den Grenzboten unsre Aufgabe gegenüber der Sozial¬
demokratie bezeichnet. Und ich glaube, daß das, was dort gesagt wurde, auch
ziemlich für die nordschleswigschen Dänen zutrifft, deren feindselige Stimmung
gegen das Deutschtum das Erzeugnis eines jahrelangen verbitternden Streites ist.
Auch dürfte für diese Auffassung eher Verständnis zu finden sein beim großen
deutschen Publikum, als bei den Führern des Deutschtums in Nordschleswig.
Denn wenn auch das Urteil über die uordschleswigsche Frage durch den Partei¬
standpunkt beeinflußt wird, so kann doch von einer geradezu feindseligen Ge¬
sinnung gegen die Dänen bei dem großen deutschen Publikum nicht die Rede
sein. Man beurteilt die Sache mehr vom nüchtern Standpunkte der Zweck¬
mäßigkeit, möchte nur das ausgeführt wissen, was dem nationalen Interesse
dient, und Hütte man die Überzeugung, daß die gegenwärtige Germanisirungs-
weise in Nordschleswig ihren Zweck verfehlt, würde man nicht anstehen, eine
Änderung zu fordern. Auf die Verbreitung dieser Überzeugung hinzuwirken,
dazu wollen die vorstehenden Zeilen ihr bescheiden Teil beitragen.'

Meine persönlichen Gefühle freilich gehen über diesen Zweckmüßigteits-
standpunkt hinaus. Vielleicht mag gefunden werden, daß in meiner Dar¬
stellung hie und da etwas wie Partikularismus hervortritt. Der Volksstamm,
von dem hier die Rede ist, spricht dieselbe Sprache, die meine Bäter gesprochen
haben, wie sollte ich ein Gefühl der Verwandtschaft verleugnen können! Ich
habe im Verkehr mit dem Dänenvolke manche schätzenswerte Eigenschaften
an ihnen kennen gelernt. Die von dieser Seite dem Deutschtum bezeugte Feind¬
seligkeit erregt in mir Bedauern und uicht Haß. Ich kann es nicht leiden,
wenn auf Grund dieses gegenwärtigen Verhaltens der Dänen über sie einseitig
absprechende Urteile gefällt, ihre Bestrebungen mit Geringschätzung und Hohn
verdammt werden. Auf Grund der Erfahrungen meiner Kindheit und Jugend¬
zeit versetze ich mich in die Lage der Dänen und empfinde die ihnen zu
teil werdende Behandlung als ein Unrecht. In dem treuen Festhalten des
angestammten Volkstums liegt etwas, das auch dem Gegner Achtung ab¬
nötigen kann. Und ich glaube, daß ich mit diesen Anschauungen nicht allein
stehe. Will man den Dänen nicht Sympathien zuführen, so stelle man die
kleinlichen Verfolgungen ein, denen sie ausgesetzt sind; vor allem sehe man
davon ab, ihnen gewaltsam die Muttersprache rauben zu wollen.


Lin Wort zum deutsch-dänischen Streit

feindseligen Haltung der Sozialdemokratie dürfen wir uns doch nicht erbittern
lassen und mit denselben Waffen kämpfen, und es wäre verfehlt, wenn wir,
dem Rate gewisser Politiker folgend, nur auf gewaltsame Unterdrückung der
Sozialdemokratie bedacht sein wollten, damit wir uns über ihr Treiben nicht
mehr zu ürgeru brauchen. Die Aufgabe der bürgerliche» Gesellschaft besteht
vielmehr darin, sachlich diese Zeitströmung zu prüfen, ihre Ursachen zu er¬
forschen, und zu untersuchen, ob uicht manche der erhabnen Beschwerden gerecht
sind und die beklagten Übelstände sich abstellen lassen. In ähnlichem Sinne
wurde vor einiger Zeit in den Grenzboten unsre Aufgabe gegenüber der Sozial¬
demokratie bezeichnet. Und ich glaube, daß das, was dort gesagt wurde, auch
ziemlich für die nordschleswigschen Dänen zutrifft, deren feindselige Stimmung
gegen das Deutschtum das Erzeugnis eines jahrelangen verbitternden Streites ist.
Auch dürfte für diese Auffassung eher Verständnis zu finden sein beim großen
deutschen Publikum, als bei den Führern des Deutschtums in Nordschleswig.
Denn wenn auch das Urteil über die uordschleswigsche Frage durch den Partei¬
standpunkt beeinflußt wird, so kann doch von einer geradezu feindseligen Ge¬
sinnung gegen die Dänen bei dem großen deutschen Publikum nicht die Rede
sein. Man beurteilt die Sache mehr vom nüchtern Standpunkte der Zweck¬
mäßigkeit, möchte nur das ausgeführt wissen, was dem nationalen Interesse
dient, und Hütte man die Überzeugung, daß die gegenwärtige Germanisirungs-
weise in Nordschleswig ihren Zweck verfehlt, würde man nicht anstehen, eine
Änderung zu fordern. Auf die Verbreitung dieser Überzeugung hinzuwirken,
dazu wollen die vorstehenden Zeilen ihr bescheiden Teil beitragen.'

Meine persönlichen Gefühle freilich gehen über diesen Zweckmüßigteits-
standpunkt hinaus. Vielleicht mag gefunden werden, daß in meiner Dar¬
stellung hie und da etwas wie Partikularismus hervortritt. Der Volksstamm,
von dem hier die Rede ist, spricht dieselbe Sprache, die meine Bäter gesprochen
haben, wie sollte ich ein Gefühl der Verwandtschaft verleugnen können! Ich
habe im Verkehr mit dem Dänenvolke manche schätzenswerte Eigenschaften
an ihnen kennen gelernt. Die von dieser Seite dem Deutschtum bezeugte Feind¬
seligkeit erregt in mir Bedauern und uicht Haß. Ich kann es nicht leiden,
wenn auf Grund dieses gegenwärtigen Verhaltens der Dänen über sie einseitig
absprechende Urteile gefällt, ihre Bestrebungen mit Geringschätzung und Hohn
verdammt werden. Auf Grund der Erfahrungen meiner Kindheit und Jugend¬
zeit versetze ich mich in die Lage der Dänen und empfinde die ihnen zu
teil werdende Behandlung als ein Unrecht. In dem treuen Festhalten des
angestammten Volkstums liegt etwas, das auch dem Gegner Achtung ab¬
nötigen kann. Und ich glaube, daß ich mit diesen Anschauungen nicht allein
stehe. Will man den Dänen nicht Sympathien zuführen, so stelle man die
kleinlichen Verfolgungen ein, denen sie ausgesetzt sind; vor allem sehe man
davon ab, ihnen gewaltsam die Muttersprache rauben zu wollen.


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[0604] Lin Wort zum deutsch-dänischen Streit feindseligen Haltung der Sozialdemokratie dürfen wir uns doch nicht erbittern lassen und mit denselben Waffen kämpfen, und es wäre verfehlt, wenn wir, dem Rate gewisser Politiker folgend, nur auf gewaltsame Unterdrückung der Sozialdemokratie bedacht sein wollten, damit wir uns über ihr Treiben nicht mehr zu ürgeru brauchen. Die Aufgabe der bürgerliche» Gesellschaft besteht vielmehr darin, sachlich diese Zeitströmung zu prüfen, ihre Ursachen zu er¬ forschen, und zu untersuchen, ob uicht manche der erhabnen Beschwerden gerecht sind und die beklagten Übelstände sich abstellen lassen. In ähnlichem Sinne wurde vor einiger Zeit in den Grenzboten unsre Aufgabe gegenüber der Sozial¬ demokratie bezeichnet. Und ich glaube, daß das, was dort gesagt wurde, auch ziemlich für die nordschleswigschen Dänen zutrifft, deren feindselige Stimmung gegen das Deutschtum das Erzeugnis eines jahrelangen verbitternden Streites ist. Auch dürfte für diese Auffassung eher Verständnis zu finden sein beim großen deutschen Publikum, als bei den Führern des Deutschtums in Nordschleswig. Denn wenn auch das Urteil über die uordschleswigsche Frage durch den Partei¬ standpunkt beeinflußt wird, so kann doch von einer geradezu feindseligen Ge¬ sinnung gegen die Dänen bei dem großen deutschen Publikum nicht die Rede sein. Man beurteilt die Sache mehr vom nüchtern Standpunkte der Zweck¬ mäßigkeit, möchte nur das ausgeführt wissen, was dem nationalen Interesse dient, und Hütte man die Überzeugung, daß die gegenwärtige Germanisirungs- weise in Nordschleswig ihren Zweck verfehlt, würde man nicht anstehen, eine Änderung zu fordern. Auf die Verbreitung dieser Überzeugung hinzuwirken, dazu wollen die vorstehenden Zeilen ihr bescheiden Teil beitragen.' Meine persönlichen Gefühle freilich gehen über diesen Zweckmüßigteits- standpunkt hinaus. Vielleicht mag gefunden werden, daß in meiner Dar¬ stellung hie und da etwas wie Partikularismus hervortritt. Der Volksstamm, von dem hier die Rede ist, spricht dieselbe Sprache, die meine Bäter gesprochen haben, wie sollte ich ein Gefühl der Verwandtschaft verleugnen können! Ich habe im Verkehr mit dem Dänenvolke manche schätzenswerte Eigenschaften an ihnen kennen gelernt. Die von dieser Seite dem Deutschtum bezeugte Feind¬ seligkeit erregt in mir Bedauern und uicht Haß. Ich kann es nicht leiden, wenn auf Grund dieses gegenwärtigen Verhaltens der Dänen über sie einseitig absprechende Urteile gefällt, ihre Bestrebungen mit Geringschätzung und Hohn verdammt werden. Auf Grund der Erfahrungen meiner Kindheit und Jugend¬ zeit versetze ich mich in die Lage der Dänen und empfinde die ihnen zu teil werdende Behandlung als ein Unrecht. In dem treuen Festhalten des angestammten Volkstums liegt etwas, das auch dem Gegner Achtung ab¬ nötigen kann. Und ich glaube, daß ich mit diesen Anschauungen nicht allein stehe. Will man den Dänen nicht Sympathien zuführen, so stelle man die kleinlichen Verfolgungen ein, denen sie ausgesetzt sind; vor allem sehe man davon ab, ihnen gewaltsam die Muttersprache rauben zu wollen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/604>, abgerufen am 22.07.2024.