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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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Fürstenwürde und Partikularismus

und auf dem Lande wohl am verbreitetsten ist. Der Idealismus, der in dem
Streben für ein größeres Ganze liegt, findet bei dem niedrigen Bildungsgrade
in diesen Kreisen oft wenig Verständnis. Und die kleinliche Gesinnung, die
die Unterordnung unter ein größeres Ganze als lästigen Zwang empfindet,
wagt sich um so freier hervor, je mehr die Erinnerung an die großen Ereig¬
nisse des Krieges und die Waffengemeinschaft von Nord und Süd verbleicht,
je mehr auch andre Umstände dazu beigetragen haben, den Idealismus zu
schwächen.

Aber wie kräftig auch immer die Sigl und Genossen schimpfen mögen,
sie sind doch schwerlich die Leute, die eine Sonderpolitik mit Erfolg leiten
könnten. Man ist bei uus viel zu sehr an die Führung dnrch die Fürsten
gewöhnt, und die militärische Organisation ist viel zu mächtig, als daß nicht
im Ernstfalle die Haltung der Fürsten bestimmend sein sollte. Fürstenpolitik
hat im Jahre 1866 die Haltung der einzelnen deutschen Kleinstaaten bestimmt,
obgleich doch schon damals eine starke auf Einigung gerichtete Bewegung lange
im deutschen Volke bestanden hatte. So wird auch in Zukunft der bramar-
basirende Preußenhaß erst dann zu einer Gefahr werden, wenn er sich mit
Machtgelüsten eines Fürsten verbindet, wenn er an der fürstlichen Politik eine
Stütze und einen Mittelpunkt findet. Und wie aufrichtig immer die Versiche¬
rung gemeint sein mag, daß ernsthaft an eine Sonderpolitik nicht gedacht werde,
es muß eben, wie gesagt, jede Möglichkeit für die Zukunft erwogen werden,
und bei der geographischen Lage Süddeutschlands, bei der ansehnlichen Volks¬
zahl dieses Ländergebiets, liegt die Gefahr einer Rückkehr zu alten Überliefe¬
rungen dort am nächsten. Darum sollte sorgfältig auf jedes Zeichen wachsender
Entfremdung in den Bolkskreiscn geachtet werden, aber auch auf jedes Zeichen
zunehmenden Selbständigkeitsgcfühls bei dem einen oder andern Fürsten. Es
ist schon nicht unbedenklich, wenn das Wachsen der Abneigung gegen Preußen
vielleicht doch nicht ganz ungern gesehen wird, weil diese Stimmung als ein
Gegengewicht betrachtet wird gegen die erdrückende Macht des Großstnats und
damit zugleich als eine Stärkung des Ansehns der einzelnen Fürsten, eine Er¬
höhung ihrer Popularität bei den eignen Unterthanen. Und da erinnern wir
wieder an das schon Gesagte von der Bedeutung der Fürstengewalt und des
Fürstenhofes mit allem, was damit zusammenhängt, sür den Partikularismus.
Man braucht wahrlich nicht hart zu urteilen, man braucht sich nur die Macht
der von Kindheit an auf die Fürsten einwirkenden, mit ihrer Erziehung und
Umgebung zusammenhängenden Einflüsse zu vergegenwärtigen, um zu begreifen,
daß sich ein Gefühl der Eifersucht einstellen kann, wenn z. B. die Ergebenheits¬
gefühle für den Kaiser und für den König mit einander in Konkurrenz treten.

Warum ist in Schleswig-Holstein der Partikularismus viel rascher und
gründlicher verschwunden als in Hannover? Warum hat dort sehr bald nach
dem 1870er Kriege die sogenannte Landespartei nnr noch ein kümmerliches


Fürstenwürde und Partikularismus

und auf dem Lande wohl am verbreitetsten ist. Der Idealismus, der in dem
Streben für ein größeres Ganze liegt, findet bei dem niedrigen Bildungsgrade
in diesen Kreisen oft wenig Verständnis. Und die kleinliche Gesinnung, die
die Unterordnung unter ein größeres Ganze als lästigen Zwang empfindet,
wagt sich um so freier hervor, je mehr die Erinnerung an die großen Ereig¬
nisse des Krieges und die Waffengemeinschaft von Nord und Süd verbleicht,
je mehr auch andre Umstände dazu beigetragen haben, den Idealismus zu
schwächen.

Aber wie kräftig auch immer die Sigl und Genossen schimpfen mögen,
sie sind doch schwerlich die Leute, die eine Sonderpolitik mit Erfolg leiten
könnten. Man ist bei uus viel zu sehr an die Führung dnrch die Fürsten
gewöhnt, und die militärische Organisation ist viel zu mächtig, als daß nicht
im Ernstfalle die Haltung der Fürsten bestimmend sein sollte. Fürstenpolitik
hat im Jahre 1866 die Haltung der einzelnen deutschen Kleinstaaten bestimmt,
obgleich doch schon damals eine starke auf Einigung gerichtete Bewegung lange
im deutschen Volke bestanden hatte. So wird auch in Zukunft der bramar-
basirende Preußenhaß erst dann zu einer Gefahr werden, wenn er sich mit
Machtgelüsten eines Fürsten verbindet, wenn er an der fürstlichen Politik eine
Stütze und einen Mittelpunkt findet. Und wie aufrichtig immer die Versiche¬
rung gemeint sein mag, daß ernsthaft an eine Sonderpolitik nicht gedacht werde,
es muß eben, wie gesagt, jede Möglichkeit für die Zukunft erwogen werden,
und bei der geographischen Lage Süddeutschlands, bei der ansehnlichen Volks¬
zahl dieses Ländergebiets, liegt die Gefahr einer Rückkehr zu alten Überliefe¬
rungen dort am nächsten. Darum sollte sorgfältig auf jedes Zeichen wachsender
Entfremdung in den Bolkskreiscn geachtet werden, aber auch auf jedes Zeichen
zunehmenden Selbständigkeitsgcfühls bei dem einen oder andern Fürsten. Es
ist schon nicht unbedenklich, wenn das Wachsen der Abneigung gegen Preußen
vielleicht doch nicht ganz ungern gesehen wird, weil diese Stimmung als ein
Gegengewicht betrachtet wird gegen die erdrückende Macht des Großstnats und
damit zugleich als eine Stärkung des Ansehns der einzelnen Fürsten, eine Er¬
höhung ihrer Popularität bei den eignen Unterthanen. Und da erinnern wir
wieder an das schon Gesagte von der Bedeutung der Fürstengewalt und des
Fürstenhofes mit allem, was damit zusammenhängt, sür den Partikularismus.
Man braucht wahrlich nicht hart zu urteilen, man braucht sich nur die Macht
der von Kindheit an auf die Fürsten einwirkenden, mit ihrer Erziehung und
Umgebung zusammenhängenden Einflüsse zu vergegenwärtigen, um zu begreifen,
daß sich ein Gefühl der Eifersucht einstellen kann, wenn z. B. die Ergebenheits¬
gefühle für den Kaiser und für den König mit einander in Konkurrenz treten.

Warum ist in Schleswig-Holstein der Partikularismus viel rascher und
gründlicher verschwunden als in Hannover? Warum hat dort sehr bald nach
dem 1870er Kriege die sogenannte Landespartei nnr noch ein kümmerliches


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[0586] Fürstenwürde und Partikularismus und auf dem Lande wohl am verbreitetsten ist. Der Idealismus, der in dem Streben für ein größeres Ganze liegt, findet bei dem niedrigen Bildungsgrade in diesen Kreisen oft wenig Verständnis. Und die kleinliche Gesinnung, die die Unterordnung unter ein größeres Ganze als lästigen Zwang empfindet, wagt sich um so freier hervor, je mehr die Erinnerung an die großen Ereig¬ nisse des Krieges und die Waffengemeinschaft von Nord und Süd verbleicht, je mehr auch andre Umstände dazu beigetragen haben, den Idealismus zu schwächen. Aber wie kräftig auch immer die Sigl und Genossen schimpfen mögen, sie sind doch schwerlich die Leute, die eine Sonderpolitik mit Erfolg leiten könnten. Man ist bei uus viel zu sehr an die Führung dnrch die Fürsten gewöhnt, und die militärische Organisation ist viel zu mächtig, als daß nicht im Ernstfalle die Haltung der Fürsten bestimmend sein sollte. Fürstenpolitik hat im Jahre 1866 die Haltung der einzelnen deutschen Kleinstaaten bestimmt, obgleich doch schon damals eine starke auf Einigung gerichtete Bewegung lange im deutschen Volke bestanden hatte. So wird auch in Zukunft der bramar- basirende Preußenhaß erst dann zu einer Gefahr werden, wenn er sich mit Machtgelüsten eines Fürsten verbindet, wenn er an der fürstlichen Politik eine Stütze und einen Mittelpunkt findet. Und wie aufrichtig immer die Versiche¬ rung gemeint sein mag, daß ernsthaft an eine Sonderpolitik nicht gedacht werde, es muß eben, wie gesagt, jede Möglichkeit für die Zukunft erwogen werden, und bei der geographischen Lage Süddeutschlands, bei der ansehnlichen Volks¬ zahl dieses Ländergebiets, liegt die Gefahr einer Rückkehr zu alten Überliefe¬ rungen dort am nächsten. Darum sollte sorgfältig auf jedes Zeichen wachsender Entfremdung in den Bolkskreiscn geachtet werden, aber auch auf jedes Zeichen zunehmenden Selbständigkeitsgcfühls bei dem einen oder andern Fürsten. Es ist schon nicht unbedenklich, wenn das Wachsen der Abneigung gegen Preußen vielleicht doch nicht ganz ungern gesehen wird, weil diese Stimmung als ein Gegengewicht betrachtet wird gegen die erdrückende Macht des Großstnats und damit zugleich als eine Stärkung des Ansehns der einzelnen Fürsten, eine Er¬ höhung ihrer Popularität bei den eignen Unterthanen. Und da erinnern wir wieder an das schon Gesagte von der Bedeutung der Fürstengewalt und des Fürstenhofes mit allem, was damit zusammenhängt, sür den Partikularismus. Man braucht wahrlich nicht hart zu urteilen, man braucht sich nur die Macht der von Kindheit an auf die Fürsten einwirkenden, mit ihrer Erziehung und Umgebung zusammenhängenden Einflüsse zu vergegenwärtigen, um zu begreifen, daß sich ein Gefühl der Eifersucht einstellen kann, wenn z. B. die Ergebenheits¬ gefühle für den Kaiser und für den König mit einander in Konkurrenz treten. Warum ist in Schleswig-Holstein der Partikularismus viel rascher und gründlicher verschwunden als in Hannover? Warum hat dort sehr bald nach dem 1870er Kriege die sogenannte Landespartei nnr noch ein kümmerliches

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/586>, abgerufen am 26.06.2024.