Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches deren Kustos Bentley ist, schlagen sich die Bücher mit einander -- keineswegs geist¬ Viel besser aber und viel feiner hat Swift in seinem spätern Leben in einer Gervinus spricht in seiner Geschichte der deutschen Dichtung von einem "Anti- "Dionysius Longinus" hat auch Gutzkow eine seiner letzten Schriften (zweite Maßgebliches und Unmaßgebliches deren Kustos Bentley ist, schlagen sich die Bücher mit einander — keineswegs geist¬ Viel besser aber und viel feiner hat Swift in seinem spätern Leben in einer Gervinus spricht in seiner Geschichte der deutschen Dichtung von einem „Anti- „Dionysius Longinus" hat auch Gutzkow eine seiner letzten Schriften (zweite <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0582" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/222886"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_1692" prev="#ID_1691"> deren Kustos Bentley ist, schlagen sich die Bücher mit einander — keineswegs geist¬<lb/> voll zu nennen. Man vergreift sich stark, wenn man diesen Jugendscherz, den ein<lb/> geistreicher Mann einem reichen Gönner zu Gefallen zu Papier gebracht hat, für<lb/> ein Meisterstück des journalistischen Humors ausgiebt, und erst recht, wenn man<lb/> sich bemüht, wie gewöhnlich geschieht, aus diesem Buche sür seinen Verfasser Swift<lb/> eine ernsthafte Rolle in dem Kampfe zwischen Altertum und neuer Zeit, zwischen<lb/> Klassizismus und Romantik zu entwickeln. Samuel Johnson hat fünfzig Jahre<lb/> später gesagt, Swift hätte den eigentlichen Streitpunkt gar nicht verstanden, oder<lb/> er hätte ihn absichtlich verschoben und entstellt. Beides ist unrichtig. Zu dem ersten<lb/> war Swift zu klug, und das zweite hatte er uicht nötig. Er gab sich gnr uicht<lb/> die Mühe, hier etwas ernsthaft zu nehmen, und machte seine Scherze darüber,<lb/> und weil nun seiue Gönner die antiken Schriftsteller schätzten, aber nicht verstanden,<lb/> ihr Gegner, der Magister Bentley, aber sie verstand und sowohl sie wie ihre Be¬<lb/> schützer kritisirte, und zwar recht unsanft, so war mit einemmale seltsamerweise<lb/> Swifts Gegner Bentley zu einem „Modernen" geworden, und die ganze Satire<lb/> Swifts verschob sich zu einer Polemik nicht gegen oder für den Klassizismus,<lb/> sondern gegen Bentley und alles Pedantische Gelehrtentum, in das dann sogar<lb/> Swifts eigner, inzwischen schon verstorbner Vetter Dryden mit einbegriffen wurde.<lb/> Swifts Satz ist etwa: Ihr behandelt die Alten fo, daß sie euch nicht anerkennen<lb/> würden und ihr selbst sie nicht von Angesicht erkenntet, wenn sie euch einmal plötzlich<lb/> leibhaftig begegneten! Man geht ganz fehl, wenn man in alleu diesen Ausführungen<lb/> irgendwelche Konsequenz und hinter dein Buche eine andre Absicht sucht, als die,<lb/> Bentley nach Möglichkeit zu ärger».</p><lb/> <p xml:id="ID_1693"> Viel besser aber und viel feiner hat Swift in seinem spätern Leben in einer<lb/> Frage des kritischen Geschmacks das Wort genommen und gezeigt, daß er sich von<lb/> den Alten vieles angeeignet hatte, wenn er auch persönlich ein völlig moderner<lb/> Mensch war. Das ist die Schrift „Über das Platte oder die Kunst des Niedrigen<lb/> in der Poesie," die zuerst in einer von Pope 1727 herausgegebnen Scunmel-<lb/> schrift stand und jedenfalls nicht Swifts alleiniges Eigentum ist. Aber leider ist<lb/> das Einzelne hierüber uicht mehr festzustellen, da uns Popes Mitteilungen im Stiche<lb/> lassen. Die Schrift behandelt ihren Gegenstand ironisch in Erinnerung an den Titel<lb/> eines bekannten griechischen Traktats: Über das Erhabne. Dieser Traktat ist<lb/> namenlos überliefert und geht infolge einer unrichtigen und dann falsch verstandnen<lb/> handschriftlichen Bezeichnung uuter dem Namen des Longinus. Er enthalt sehr<lb/> verständige Bemerkungen und ist deswegen oft auch in der schöuwisseuschaftlicheu<lb/> Kritik berücksichtigt oder uur genannt worden. Swifts Schrift aber ist in unsrer<lb/> Litteraturgeschichte von Anfang an, wie sie es verdiente, sehr hoch gestellt worden.</p><lb/> <p xml:id="ID_1694"> Gervinus spricht in seiner Geschichte der deutschen Dichtung von einem „Anti-<lb/> longin" Swifts. Das ist ein kleines Versehen. Denn wie der Alte über das Er¬<lb/> habne spricht und dabei den falschen Schwulst tadelt, so will Swift von dem Nied¬<lb/> rigen oder dem verwerflichen Schwulst der Neuern gleichfalls tadelnd sprechen.<lb/> Beide sind also einig, nur daß der Moderne die Form der Ironie wählt, wodurch<lb/> der Irrtum von Gervinus entstanden ist.</p><lb/> <p xml:id="ID_1695" next="#ID_1696"> „Dionysius Longinus" hat auch Gutzkow eine seiner letzten Schriften (zweite<lb/> Auflage 1878) genannt, von der er sich gewiß noch eine beträchtliche Wirkung<lb/> versprach. Sie giebt viel zu denken. Gutzkow, der ja vor Zeiten — allerdings<lb/> vor langen Zeiten — als Schriftsteller in Deutschland einen Namen gehabt hat,<lb/> giebt sich hier als Vorkämpfer der Alten zu erkennen, der „lateinischen Bildung,<lb/> die nur in Gymnasien langsam gewonnen werden kann" und die „ein Kraft gehendes<lb/> Erklimmen des Berges" genannt wird, während die Feuilletonistik „mit Händen</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0582]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
deren Kustos Bentley ist, schlagen sich die Bücher mit einander — keineswegs geist¬
voll zu nennen. Man vergreift sich stark, wenn man diesen Jugendscherz, den ein
geistreicher Mann einem reichen Gönner zu Gefallen zu Papier gebracht hat, für
ein Meisterstück des journalistischen Humors ausgiebt, und erst recht, wenn man
sich bemüht, wie gewöhnlich geschieht, aus diesem Buche sür seinen Verfasser Swift
eine ernsthafte Rolle in dem Kampfe zwischen Altertum und neuer Zeit, zwischen
Klassizismus und Romantik zu entwickeln. Samuel Johnson hat fünfzig Jahre
später gesagt, Swift hätte den eigentlichen Streitpunkt gar nicht verstanden, oder
er hätte ihn absichtlich verschoben und entstellt. Beides ist unrichtig. Zu dem ersten
war Swift zu klug, und das zweite hatte er uicht nötig. Er gab sich gnr uicht
die Mühe, hier etwas ernsthaft zu nehmen, und machte seine Scherze darüber,
und weil nun seiue Gönner die antiken Schriftsteller schätzten, aber nicht verstanden,
ihr Gegner, der Magister Bentley, aber sie verstand und sowohl sie wie ihre Be¬
schützer kritisirte, und zwar recht unsanft, so war mit einemmale seltsamerweise
Swifts Gegner Bentley zu einem „Modernen" geworden, und die ganze Satire
Swifts verschob sich zu einer Polemik nicht gegen oder für den Klassizismus,
sondern gegen Bentley und alles Pedantische Gelehrtentum, in das dann sogar
Swifts eigner, inzwischen schon verstorbner Vetter Dryden mit einbegriffen wurde.
Swifts Satz ist etwa: Ihr behandelt die Alten fo, daß sie euch nicht anerkennen
würden und ihr selbst sie nicht von Angesicht erkenntet, wenn sie euch einmal plötzlich
leibhaftig begegneten! Man geht ganz fehl, wenn man in alleu diesen Ausführungen
irgendwelche Konsequenz und hinter dein Buche eine andre Absicht sucht, als die,
Bentley nach Möglichkeit zu ärger».
Viel besser aber und viel feiner hat Swift in seinem spätern Leben in einer
Frage des kritischen Geschmacks das Wort genommen und gezeigt, daß er sich von
den Alten vieles angeeignet hatte, wenn er auch persönlich ein völlig moderner
Mensch war. Das ist die Schrift „Über das Platte oder die Kunst des Niedrigen
in der Poesie," die zuerst in einer von Pope 1727 herausgegebnen Scunmel-
schrift stand und jedenfalls nicht Swifts alleiniges Eigentum ist. Aber leider ist
das Einzelne hierüber uicht mehr festzustellen, da uns Popes Mitteilungen im Stiche
lassen. Die Schrift behandelt ihren Gegenstand ironisch in Erinnerung an den Titel
eines bekannten griechischen Traktats: Über das Erhabne. Dieser Traktat ist
namenlos überliefert und geht infolge einer unrichtigen und dann falsch verstandnen
handschriftlichen Bezeichnung uuter dem Namen des Longinus. Er enthalt sehr
verständige Bemerkungen und ist deswegen oft auch in der schöuwisseuschaftlicheu
Kritik berücksichtigt oder uur genannt worden. Swifts Schrift aber ist in unsrer
Litteraturgeschichte von Anfang an, wie sie es verdiente, sehr hoch gestellt worden.
Gervinus spricht in seiner Geschichte der deutschen Dichtung von einem „Anti-
longin" Swifts. Das ist ein kleines Versehen. Denn wie der Alte über das Er¬
habne spricht und dabei den falschen Schwulst tadelt, so will Swift von dem Nied¬
rigen oder dem verwerflichen Schwulst der Neuern gleichfalls tadelnd sprechen.
Beide sind also einig, nur daß der Moderne die Form der Ironie wählt, wodurch
der Irrtum von Gervinus entstanden ist.
„Dionysius Longinus" hat auch Gutzkow eine seiner letzten Schriften (zweite
Auflage 1878) genannt, von der er sich gewiß noch eine beträchtliche Wirkung
versprach. Sie giebt viel zu denken. Gutzkow, der ja vor Zeiten — allerdings
vor langen Zeiten — als Schriftsteller in Deutschland einen Namen gehabt hat,
giebt sich hier als Vorkämpfer der Alten zu erkennen, der „lateinischen Bildung,
die nur in Gymnasien langsam gewonnen werden kann" und die „ein Kraft gehendes
Erklimmen des Berges" genannt wird, während die Feuilletonistik „mit Händen
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