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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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Leipziger pasquillanten des achtzehnten Jahrhunderts

reichte Dr, Jakob Friedrich Kees, Beisitzer des Oberhofgerichts und des Kon¬
sistoriums, Dozent an der Universität und Besitzer dreier Rittergüter bei Leipzig,
eine Beschwerde beim Rate ein, worin er klagt, es habe "ein ungenannter
Lotterbube" das beigefügte Pasquill drucken und seit einigen Tagen in den
hiesigen Buchhandlungen -- er nannte Böhme, Schneider und Kummer --
verkaufen lassen. Das Pasquill führte den Titel: Goldfitz Suseka, oder Er¬
zählungen aus dem Leben eines Geizhalses. Eine komisch tragische Geschichte.
1788 (119 Seiten 8°). Das Titelkupfer zeigte einen davonsprengenden Reiter,
dem ein Bettelweib Verwünschungen nachruft.

Es wurde sofort der Bücherinspektor herumgeschickt; er berichtete aber,
daß er nirgends ein Exemplar gefunden habe, nur Böhme habe eingeräumt,
daß er zwölf Exemplare von der Hemmerdischen Buchhandlung in Halle zu¬
geschickt bekommen habe, doch habe er sie schon alle verkauft bis auf eins, das
er für sich zu behalten wünsche. Darauf wurde das Buch verboten.

Der wunderliche Name Suseka ist durch Umstellung der Buchstaben von
es.86U8, dem lateinischen Wort für Käse (Kees) gebildet. Auch Kcesens Schwieger¬
vater, der reiche Kaufmann Satler, erscheint mit Namen: er wird stäter ge¬
nannt. Kees war ein berüchtigter Geizhals Leipzigs -- einen Erzgeizhalz, Erz-
knicker, Erzfilz und ErzWucherer nennt ihn der Verfasser in der Widmung des
Buches. Die Geldgier war in seiner Familie hergebracht, schon der Vater und
der Großvater waren Geizhalse gewesen. Die unglaublichsten Geschichten aber
erzählte man sich von ihm selbst: wie er schon als zehnjähriger Junge Geld
auf Zinsen ausgeliehen habe, wie er dann in Göttingen als Student die Phi¬
lister geprellt habe, was er für Wuchergeschäfte in Leipzig treibe, wie geizig
er lebe; dazu eine Anzahl von Proben der schmutzigsten Habgier, wie die,
auf die sich das Titelkupfer des Buches bezog: daß er einer Bettlerin ein Huf¬
eisen, das sie gefunden hatte, weggenommen habe und davongeritten sei, daß
er bei einer großen Zahlung die Annahme eines stolbergischen Zweigroschen-
stttcks verweigert habe, weil es zwei Pfennige weniger wert sei als die säch¬
sischen usw. Eine haarsträubende Geschichte aber erzählte man sich von ihm
als Familienvater. Er hatte fünf Kinder. Da ging er nun in seinem Geiz
so weit, daß er -- der reiche Mann! -- die eignen Kinder, um sie so billig
als möglich zu erhalten, eine Zeit lang zu einer Frau in der Vorstadt gab,
die sich mit der Aufziehung sogenannter Fallkinder abgab. Als in dem langen,
harten Winter 1784 auf 1785 eine Teuerung der Lebensmittel eintrat, nahm
er zwar die Kinder wieder zu sich, steckte sie aber, um Heizung zu sparen,
zu dem Gesinde in die Bodenkammer. Dort erkrankten sie alle, und eines
starb, ohne daß ein Arzt geholt worden wäre. Endlich ruft man einen Arzt,
aber es sterben noch zwei. Der Arzt verlangt, daß die noch übrigen zwei
aus der pestilenzialischen Luft, in der sie liegen, in ordentliche Zimmer gebracht
werden. Da läßt sie Kees aus -- eines seiner Rittergüter bringen! Der Arzt


Leipziger pasquillanten des achtzehnten Jahrhunderts

reichte Dr, Jakob Friedrich Kees, Beisitzer des Oberhofgerichts und des Kon¬
sistoriums, Dozent an der Universität und Besitzer dreier Rittergüter bei Leipzig,
eine Beschwerde beim Rate ein, worin er klagt, es habe „ein ungenannter
Lotterbube" das beigefügte Pasquill drucken und seit einigen Tagen in den
hiesigen Buchhandlungen — er nannte Böhme, Schneider und Kummer —
verkaufen lassen. Das Pasquill führte den Titel: Goldfitz Suseka, oder Er¬
zählungen aus dem Leben eines Geizhalses. Eine komisch tragische Geschichte.
1788 (119 Seiten 8°). Das Titelkupfer zeigte einen davonsprengenden Reiter,
dem ein Bettelweib Verwünschungen nachruft.

Es wurde sofort der Bücherinspektor herumgeschickt; er berichtete aber,
daß er nirgends ein Exemplar gefunden habe, nur Böhme habe eingeräumt,
daß er zwölf Exemplare von der Hemmerdischen Buchhandlung in Halle zu¬
geschickt bekommen habe, doch habe er sie schon alle verkauft bis auf eins, das
er für sich zu behalten wünsche. Darauf wurde das Buch verboten.

Der wunderliche Name Suseka ist durch Umstellung der Buchstaben von
es.86U8, dem lateinischen Wort für Käse (Kees) gebildet. Auch Kcesens Schwieger¬
vater, der reiche Kaufmann Satler, erscheint mit Namen: er wird stäter ge¬
nannt. Kees war ein berüchtigter Geizhals Leipzigs — einen Erzgeizhalz, Erz-
knicker, Erzfilz und ErzWucherer nennt ihn der Verfasser in der Widmung des
Buches. Die Geldgier war in seiner Familie hergebracht, schon der Vater und
der Großvater waren Geizhalse gewesen. Die unglaublichsten Geschichten aber
erzählte man sich von ihm selbst: wie er schon als zehnjähriger Junge Geld
auf Zinsen ausgeliehen habe, wie er dann in Göttingen als Student die Phi¬
lister geprellt habe, was er für Wuchergeschäfte in Leipzig treibe, wie geizig
er lebe; dazu eine Anzahl von Proben der schmutzigsten Habgier, wie die,
auf die sich das Titelkupfer des Buches bezog: daß er einer Bettlerin ein Huf¬
eisen, das sie gefunden hatte, weggenommen habe und davongeritten sei, daß
er bei einer großen Zahlung die Annahme eines stolbergischen Zweigroschen-
stttcks verweigert habe, weil es zwei Pfennige weniger wert sei als die säch¬
sischen usw. Eine haarsträubende Geschichte aber erzählte man sich von ihm
als Familienvater. Er hatte fünf Kinder. Da ging er nun in seinem Geiz
so weit, daß er — der reiche Mann! — die eignen Kinder, um sie so billig
als möglich zu erhalten, eine Zeit lang zu einer Frau in der Vorstadt gab,
die sich mit der Aufziehung sogenannter Fallkinder abgab. Als in dem langen,
harten Winter 1784 auf 1785 eine Teuerung der Lebensmittel eintrat, nahm
er zwar die Kinder wieder zu sich, steckte sie aber, um Heizung zu sparen,
zu dem Gesinde in die Bodenkammer. Dort erkrankten sie alle, und eines
starb, ohne daß ein Arzt geholt worden wäre. Endlich ruft man einen Arzt,
aber es sterben noch zwei. Der Arzt verlangt, daß die noch übrigen zwei
aus der pestilenzialischen Luft, in der sie liegen, in ordentliche Zimmer gebracht
werden. Da läßt sie Kees aus — eines seiner Rittergüter bringen! Der Arzt


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[0566] Leipziger pasquillanten des achtzehnten Jahrhunderts reichte Dr, Jakob Friedrich Kees, Beisitzer des Oberhofgerichts und des Kon¬ sistoriums, Dozent an der Universität und Besitzer dreier Rittergüter bei Leipzig, eine Beschwerde beim Rate ein, worin er klagt, es habe „ein ungenannter Lotterbube" das beigefügte Pasquill drucken und seit einigen Tagen in den hiesigen Buchhandlungen — er nannte Böhme, Schneider und Kummer — verkaufen lassen. Das Pasquill führte den Titel: Goldfitz Suseka, oder Er¬ zählungen aus dem Leben eines Geizhalses. Eine komisch tragische Geschichte. 1788 (119 Seiten 8°). Das Titelkupfer zeigte einen davonsprengenden Reiter, dem ein Bettelweib Verwünschungen nachruft. Es wurde sofort der Bücherinspektor herumgeschickt; er berichtete aber, daß er nirgends ein Exemplar gefunden habe, nur Böhme habe eingeräumt, daß er zwölf Exemplare von der Hemmerdischen Buchhandlung in Halle zu¬ geschickt bekommen habe, doch habe er sie schon alle verkauft bis auf eins, das er für sich zu behalten wünsche. Darauf wurde das Buch verboten. Der wunderliche Name Suseka ist durch Umstellung der Buchstaben von es.86U8, dem lateinischen Wort für Käse (Kees) gebildet. Auch Kcesens Schwieger¬ vater, der reiche Kaufmann Satler, erscheint mit Namen: er wird stäter ge¬ nannt. Kees war ein berüchtigter Geizhals Leipzigs — einen Erzgeizhalz, Erz- knicker, Erzfilz und ErzWucherer nennt ihn der Verfasser in der Widmung des Buches. Die Geldgier war in seiner Familie hergebracht, schon der Vater und der Großvater waren Geizhalse gewesen. Die unglaublichsten Geschichten aber erzählte man sich von ihm selbst: wie er schon als zehnjähriger Junge Geld auf Zinsen ausgeliehen habe, wie er dann in Göttingen als Student die Phi¬ lister geprellt habe, was er für Wuchergeschäfte in Leipzig treibe, wie geizig er lebe; dazu eine Anzahl von Proben der schmutzigsten Habgier, wie die, auf die sich das Titelkupfer des Buches bezog: daß er einer Bettlerin ein Huf¬ eisen, das sie gefunden hatte, weggenommen habe und davongeritten sei, daß er bei einer großen Zahlung die Annahme eines stolbergischen Zweigroschen- stttcks verweigert habe, weil es zwei Pfennige weniger wert sei als die säch¬ sischen usw. Eine haarsträubende Geschichte aber erzählte man sich von ihm als Familienvater. Er hatte fünf Kinder. Da ging er nun in seinem Geiz so weit, daß er — der reiche Mann! — die eignen Kinder, um sie so billig als möglich zu erhalten, eine Zeit lang zu einer Frau in der Vorstadt gab, die sich mit der Aufziehung sogenannter Fallkinder abgab. Als in dem langen, harten Winter 1784 auf 1785 eine Teuerung der Lebensmittel eintrat, nahm er zwar die Kinder wieder zu sich, steckte sie aber, um Heizung zu sparen, zu dem Gesinde in die Bodenkammer. Dort erkrankten sie alle, und eines starb, ohne daß ein Arzt geholt worden wäre. Endlich ruft man einen Arzt, aber es sterben noch zwei. Der Arzt verlangt, daß die noch übrigen zwei aus der pestilenzialischen Luft, in der sie liegen, in ordentliche Zimmer gebracht werden. Da läßt sie Kees aus — eines seiner Rittergüter bringen! Der Arzt

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/566>, abgerufen am 22.07.2024.