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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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Lin Wort zum deutsch-dänischen Streit

Seite gegen das Vordringen des Deutschtums ergriffnen Gegenmaßregeln dazu
beigetragen haben, die nationalen Gegensätze zu verschärfen und den Bruch un¬
vermeidlich zu machen. Die dänische Politik hat das gefördert, was sie hemmen
wollte. Sie hat in den Schleswig-Holsteinern die deutsche Gesinnung und die
Abneigung gegen die dänische Herrschaft bestärkt; sie hat die Teilnahme Deutsch¬
lands für die Stammesbrüder im Norden geweckt. Fehler der dänischen Politik
find den deutschen Interessen zu gute gekommen. Dies gilt schon für die von
dänischer Seite vor dem Kriege von 1848 bis 1850 betriebne Politik, ganz
besonders aber sür die gänzlich verfehlten Danisirnngsbestrelmngen während
des Zeitraums von 1850 bis 1863.

Diesen letztern Zeitraum habe ich als Kind mit durchlebt, und ich habe
mir eine sehr lebhafte Erinnerung bewahrt an alle Vorgänge, die sich damals
in meiner Heimat, der Landschaft Angeln, dem Hcinptschauplatz der verfehlten
Danisirungsmaßregeln, abspielten. Ich habe aus der Beobachtung dieser Vor¬
gänge eine Überzeugung geschöpft, die ich seitdem unbeirrt festgehalten habe,
und die aufzugeben ich mich um so weniger veranlaßt fühle, als ich sie neuer¬
dings wieder sehr deutlich bestätigt finde, nämlich daß es thöricht und verfehlt
ist, durch Gewaltmittel eine Bevölkerung entnationalisiren zu wollen, daß für
die herrschende Nationalität, wenn sie Aussöhnung bewirken will und auf
dauernde Sicherung ihres Besitzes bedacht ist, Schonung der Empfindungen
der unterworfnen Bevölkerung geboten ist, daß namentlich ihre teuersten na¬
tionalen Güter nicht angetastet werden dürfen.

Es ist mir darum auch ganz unbegreiflich, daß viele meiner engern Lands¬
leute in dieser Frage eine ganz entgegengesetzte Ansicht vertreten. Wir Schleswig-
Holsteiner sonderlich, meine ich, sollten die Mißerfolge der dänischen Gewalt¬
herrschaft als warnendes Beispiel im Gedächtnis behalten. Auch der Umstand,
daß das deutsche Reich so viel mächtiger ist als damals das kleine Dänemark,
rechtfertigt nicht ein ähnliches Verfahren von unsrer Seite, wie es damals von
den Dänen geübt wurde. Dieser Unterschied der Machtverhältnisse, diese
kolossale Übermacht auf unsrer Seite, die jeden Losreißungsversuch der Dünen,
wenigstens ohne Verbündete, gänzlich anssichtlos erscheinen läßt, kann sogar
leicht dazu verführen, daß man sich die Mißerfolge der Germainsirungsmciß-
regeln verbirgt und im Vertrauen auf die Macht ungestraft Fehler begehen
zu können glaubt, die dennoch üble Folgen nach sich ziehen. Germanisiren
heißt die Denkweise der dänischgesinnten Bevölkerung umwandeln, und das
können wir nie mit Machtmitteln erreichen. Wie stark wir diese auch anwenden
mögen, immer findet die deutschfeindliche Gesinnung Schlupfwinkel, wohin
die staatliche Macht sie uicht verfolgen kann.

Auch ist es ein unzutreffender Vergleich, wenn zur Rechtfertigung des
deutschen Verfahrens angeführt wird, die Dünen hätten es zur Zeit ihrer Herr¬
schaft noch etwas schlimmer gemacht, als wir jetzt. Nach vierzig Jahren ist


Lin Wort zum deutsch-dänischen Streit

Seite gegen das Vordringen des Deutschtums ergriffnen Gegenmaßregeln dazu
beigetragen haben, die nationalen Gegensätze zu verschärfen und den Bruch un¬
vermeidlich zu machen. Die dänische Politik hat das gefördert, was sie hemmen
wollte. Sie hat in den Schleswig-Holsteinern die deutsche Gesinnung und die
Abneigung gegen die dänische Herrschaft bestärkt; sie hat die Teilnahme Deutsch¬
lands für die Stammesbrüder im Norden geweckt. Fehler der dänischen Politik
find den deutschen Interessen zu gute gekommen. Dies gilt schon für die von
dänischer Seite vor dem Kriege von 1848 bis 1850 betriebne Politik, ganz
besonders aber sür die gänzlich verfehlten Danisirnngsbestrelmngen während
des Zeitraums von 1850 bis 1863.

Diesen letztern Zeitraum habe ich als Kind mit durchlebt, und ich habe
mir eine sehr lebhafte Erinnerung bewahrt an alle Vorgänge, die sich damals
in meiner Heimat, der Landschaft Angeln, dem Hcinptschauplatz der verfehlten
Danisirungsmaßregeln, abspielten. Ich habe aus der Beobachtung dieser Vor¬
gänge eine Überzeugung geschöpft, die ich seitdem unbeirrt festgehalten habe,
und die aufzugeben ich mich um so weniger veranlaßt fühle, als ich sie neuer¬
dings wieder sehr deutlich bestätigt finde, nämlich daß es thöricht und verfehlt
ist, durch Gewaltmittel eine Bevölkerung entnationalisiren zu wollen, daß für
die herrschende Nationalität, wenn sie Aussöhnung bewirken will und auf
dauernde Sicherung ihres Besitzes bedacht ist, Schonung der Empfindungen
der unterworfnen Bevölkerung geboten ist, daß namentlich ihre teuersten na¬
tionalen Güter nicht angetastet werden dürfen.

Es ist mir darum auch ganz unbegreiflich, daß viele meiner engern Lands¬
leute in dieser Frage eine ganz entgegengesetzte Ansicht vertreten. Wir Schleswig-
Holsteiner sonderlich, meine ich, sollten die Mißerfolge der dänischen Gewalt¬
herrschaft als warnendes Beispiel im Gedächtnis behalten. Auch der Umstand,
daß das deutsche Reich so viel mächtiger ist als damals das kleine Dänemark,
rechtfertigt nicht ein ähnliches Verfahren von unsrer Seite, wie es damals von
den Dänen geübt wurde. Dieser Unterschied der Machtverhältnisse, diese
kolossale Übermacht auf unsrer Seite, die jeden Losreißungsversuch der Dünen,
wenigstens ohne Verbündete, gänzlich anssichtlos erscheinen läßt, kann sogar
leicht dazu verführen, daß man sich die Mißerfolge der Germainsirungsmciß-
regeln verbirgt und im Vertrauen auf die Macht ungestraft Fehler begehen
zu können glaubt, die dennoch üble Folgen nach sich ziehen. Germanisiren
heißt die Denkweise der dänischgesinnten Bevölkerung umwandeln, und das
können wir nie mit Machtmitteln erreichen. Wie stark wir diese auch anwenden
mögen, immer findet die deutschfeindliche Gesinnung Schlupfwinkel, wohin
die staatliche Macht sie uicht verfolgen kann.

Auch ist es ein unzutreffender Vergleich, wenn zur Rechtfertigung des
deutschen Verfahrens angeführt wird, die Dünen hätten es zur Zeit ihrer Herr¬
schaft noch etwas schlimmer gemacht, als wir jetzt. Nach vierzig Jahren ist


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[0548] Lin Wort zum deutsch-dänischen Streit Seite gegen das Vordringen des Deutschtums ergriffnen Gegenmaßregeln dazu beigetragen haben, die nationalen Gegensätze zu verschärfen und den Bruch un¬ vermeidlich zu machen. Die dänische Politik hat das gefördert, was sie hemmen wollte. Sie hat in den Schleswig-Holsteinern die deutsche Gesinnung und die Abneigung gegen die dänische Herrschaft bestärkt; sie hat die Teilnahme Deutsch¬ lands für die Stammesbrüder im Norden geweckt. Fehler der dänischen Politik find den deutschen Interessen zu gute gekommen. Dies gilt schon für die von dänischer Seite vor dem Kriege von 1848 bis 1850 betriebne Politik, ganz besonders aber sür die gänzlich verfehlten Danisirnngsbestrelmngen während des Zeitraums von 1850 bis 1863. Diesen letztern Zeitraum habe ich als Kind mit durchlebt, und ich habe mir eine sehr lebhafte Erinnerung bewahrt an alle Vorgänge, die sich damals in meiner Heimat, der Landschaft Angeln, dem Hcinptschauplatz der verfehlten Danisirungsmaßregeln, abspielten. Ich habe aus der Beobachtung dieser Vor¬ gänge eine Überzeugung geschöpft, die ich seitdem unbeirrt festgehalten habe, und die aufzugeben ich mich um so weniger veranlaßt fühle, als ich sie neuer¬ dings wieder sehr deutlich bestätigt finde, nämlich daß es thöricht und verfehlt ist, durch Gewaltmittel eine Bevölkerung entnationalisiren zu wollen, daß für die herrschende Nationalität, wenn sie Aussöhnung bewirken will und auf dauernde Sicherung ihres Besitzes bedacht ist, Schonung der Empfindungen der unterworfnen Bevölkerung geboten ist, daß namentlich ihre teuersten na¬ tionalen Güter nicht angetastet werden dürfen. Es ist mir darum auch ganz unbegreiflich, daß viele meiner engern Lands¬ leute in dieser Frage eine ganz entgegengesetzte Ansicht vertreten. Wir Schleswig- Holsteiner sonderlich, meine ich, sollten die Mißerfolge der dänischen Gewalt¬ herrschaft als warnendes Beispiel im Gedächtnis behalten. Auch der Umstand, daß das deutsche Reich so viel mächtiger ist als damals das kleine Dänemark, rechtfertigt nicht ein ähnliches Verfahren von unsrer Seite, wie es damals von den Dänen geübt wurde. Dieser Unterschied der Machtverhältnisse, diese kolossale Übermacht auf unsrer Seite, die jeden Losreißungsversuch der Dünen, wenigstens ohne Verbündete, gänzlich anssichtlos erscheinen läßt, kann sogar leicht dazu verführen, daß man sich die Mißerfolge der Germainsirungsmciß- regeln verbirgt und im Vertrauen auf die Macht ungestraft Fehler begehen zu können glaubt, die dennoch üble Folgen nach sich ziehen. Germanisiren heißt die Denkweise der dänischgesinnten Bevölkerung umwandeln, und das können wir nie mit Machtmitteln erreichen. Wie stark wir diese auch anwenden mögen, immer findet die deutschfeindliche Gesinnung Schlupfwinkel, wohin die staatliche Macht sie uicht verfolgen kann. Auch ist es ein unzutreffender Vergleich, wenn zur Rechtfertigung des deutschen Verfahrens angeführt wird, die Dünen hätten es zur Zeit ihrer Herr¬ schaft noch etwas schlimmer gemacht, als wir jetzt. Nach vierzig Jahren ist

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/548>, abgerufen am 26.06.2024.