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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

und auch aus dem Auslande herbeiflösse, so würde das Denkmal auch in dieser
Hinsicht recht zu einem Gegenstück von Gellerts Denkmal werden, denn auch zu
diesem hat seiner Zeit das Ausland reichlich beigesteuert: auch Gellert hatte weit
über Deutschlands Grenzen hinaus Verehrer. Es giebt von seinem Denkmal einen
Kupferstich aus dem vorigen Jahrhundert, an den ein Blatt angebogen ist, worauf
die Namen derer gedruckt steheu, die dazu beigesteuert haben. Das sind im ganzen
62 Personen; unter diesen sind aber nur 30 ans Leipzig und der nächsten Um¬
gebung Leipzigs, die andern sind zum größten Teil ans dem Auslande, die meisten
aus London (4), aus Livland (7) und aus -- Warschau (16). Der Nachruhm
hat freilich bei Gellert deu umgekehrten Weg eingeschlagen als bei Bach. Von
Gellert heißt es noch 1799 in der erwcihnren Beschreibung Leipzigs, daß seine
Asche "Königsgrüfte weihen sollte"; heute kennen auch Gebildete oft kaum mehr
von ihm als ein Paar Gesangbuchslieder und Fabeln. Wie wenige wissen etwas
davon, daß er zu den Klassikern der deutschen Prosa zählt und, wenn man sich
nur um ihn kümmerte, auf unsre heutige Schriftsprache und ihren krankhaften
Schwulst geradezu regcnerirend wirken könnte! Bach steht heute wie ein Niese
da, seitdem er durch Schumann und Mendelssohn zu neuem Leben erweckt worden
ist. Bei seinen Lebzeiten hat niemand seine wahre Größe geahnt, auch die nicht,
die ihn bewunderten, am wenigsten die, die ihm zunächst standen: die Leipziger.
Man lese nur bei Spitta, wie in Leipziger Ratssitzungen über Bach gesprochen
worden ist: wie über einen faulen, pflichtvergessenen kleinen Schulmeister.

Mancher würde es vielleicht lieber gesehen haben, die Gebeine Bachs wären
an die Hauptstätte seiner Wirksamkeit, die Thomaskirche, abgegeben worden, und
man hätte ihm dort ein Denkmal errichtet. Aber der Johmmiskirche als der
alten Gottesackerkirche Leipzigs gehören sie nun einmal an, und ans ein Denkmal
Bachs hat die neue Kirche auch stilistisch einen bessern Anspruch als die Thomas¬
kirche, denn sie ist eine Barockkirche, ist in den Bauformen gebaut, in denen man zu
Bachs Zeiten heute, während die Thomaskirche bei ihrem letzten großen Umbau
in den achtziger Jahren vollständig gotisirt und dabei aller Bau- und Schmuck¬
teile entkleidet worden ist, die noch an Bachs Zeiten erinnerten.

Wer aus dem Leserkreise dieser Blätter sich gedrungen fühlen sollte, zu dem
Denkmal Bachs einen Beitrag zu spenden, kann ihn um den Pfarrer der Johannis-
kirche in Leipzig, Herrn Pastor Tranzschel einsenden. Außerdem machen wir
darauf aufmerksam, daß von der Büste, die der Bildhauer sessiler über den
Schädel Bachs geformt hat, Gipsabgüsse zum Preise von 20 Mark in den Handel
gebracht worden sind (vergl. das Inserat auf dem Umschlage dieses Heftes).




Maßgebliches und Unmaßgebliches

und auch aus dem Auslande herbeiflösse, so würde das Denkmal auch in dieser
Hinsicht recht zu einem Gegenstück von Gellerts Denkmal werden, denn auch zu
diesem hat seiner Zeit das Ausland reichlich beigesteuert: auch Gellert hatte weit
über Deutschlands Grenzen hinaus Verehrer. Es giebt von seinem Denkmal einen
Kupferstich aus dem vorigen Jahrhundert, an den ein Blatt angebogen ist, worauf
die Namen derer gedruckt steheu, die dazu beigesteuert haben. Das sind im ganzen
62 Personen; unter diesen sind aber nur 30 ans Leipzig und der nächsten Um¬
gebung Leipzigs, die andern sind zum größten Teil ans dem Auslande, die meisten
aus London (4), aus Livland (7) und aus — Warschau (16). Der Nachruhm
hat freilich bei Gellert deu umgekehrten Weg eingeschlagen als bei Bach. Von
Gellert heißt es noch 1799 in der erwcihnren Beschreibung Leipzigs, daß seine
Asche „Königsgrüfte weihen sollte"; heute kennen auch Gebildete oft kaum mehr
von ihm als ein Paar Gesangbuchslieder und Fabeln. Wie wenige wissen etwas
davon, daß er zu den Klassikern der deutschen Prosa zählt und, wenn man sich
nur um ihn kümmerte, auf unsre heutige Schriftsprache und ihren krankhaften
Schwulst geradezu regcnerirend wirken könnte! Bach steht heute wie ein Niese
da, seitdem er durch Schumann und Mendelssohn zu neuem Leben erweckt worden
ist. Bei seinen Lebzeiten hat niemand seine wahre Größe geahnt, auch die nicht,
die ihn bewunderten, am wenigsten die, die ihm zunächst standen: die Leipziger.
Man lese nur bei Spitta, wie in Leipziger Ratssitzungen über Bach gesprochen
worden ist: wie über einen faulen, pflichtvergessenen kleinen Schulmeister.

Mancher würde es vielleicht lieber gesehen haben, die Gebeine Bachs wären
an die Hauptstätte seiner Wirksamkeit, die Thomaskirche, abgegeben worden, und
man hätte ihm dort ein Denkmal errichtet. Aber der Johmmiskirche als der
alten Gottesackerkirche Leipzigs gehören sie nun einmal an, und ans ein Denkmal
Bachs hat die neue Kirche auch stilistisch einen bessern Anspruch als die Thomas¬
kirche, denn sie ist eine Barockkirche, ist in den Bauformen gebaut, in denen man zu
Bachs Zeiten heute, während die Thomaskirche bei ihrem letzten großen Umbau
in den achtziger Jahren vollständig gotisirt und dabei aller Bau- und Schmuck¬
teile entkleidet worden ist, die noch an Bachs Zeiten erinnerten.

Wer aus dem Leserkreise dieser Blätter sich gedrungen fühlen sollte, zu dem
Denkmal Bachs einen Beitrag zu spenden, kann ihn um den Pfarrer der Johannis-
kirche in Leipzig, Herrn Pastor Tranzschel einsenden. Außerdem machen wir
darauf aufmerksam, daß von der Büste, die der Bildhauer sessiler über den
Schädel Bachs geformt hat, Gipsabgüsse zum Preise von 20 Mark in den Handel
gebracht worden sind (vergl. das Inserat auf dem Umschlage dieses Heftes).




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/54>, abgerufen am 15.01.2025.