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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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thun dasselbe. Und es ist wunderbar, wie dieses eine Glas dem Gedächtnis
der alten Hofkavaliere zu Hilfe kommt. Nun kennen sie den alten Obersten
mit einemmale ganz genau, erinnern sich auch sehr unwahrscheinlicherweise
des Sohnes von seinen frühesten Kinderjahren her, und der vergessene Alte
hat eine Schar treuer Freunde gefunden, vor deren Liebenswürdigkeiten er sich
nicht zu bergen weiß.

Er kommt nach Hause. Er weiß kaum, was er aus der Welt machen
soll. Sein Sohn Affe! Er möchte ihm schreiben. Aber wie die Form finden,
er hat das ja nie gethan. Er setzt sich hin. Schon die Anrede will nicht
gelingen. Er geht ins Zimmer seiner Frau. Sie schreibt so eifrig, daß sie
den Eintretenden nicht bemerkt. "An wen schreibst du?" Sie zuckt zusammen
und flüstert kaum hörbar: "An Affe." "Grüß ihn von mir," sagt der Oberst.
Sie sieht ihn verwundert an. Aber der Oberst beugt sich über sie und drückt
einen Kuß auf ihre Lippen. Sie schlägt ihren Arm um seinen Hals. Zum
ersten mal verstehen sich die beiden. Sie haben sich gefunden in ihrem Sohn,
in dem blöden Affe. Und so bleibt es nun. Die Mutter schreibt weiter an
den Leutnant, Kapitän, Generalmajor; ihr Brief schließt mit: "Vater läßt dich
grüßen," und Asses Briefe an seine Mutter enden: "Grüß Vater." Vater und
Sohn bedürfen keiner weitern Auseinandersetzung. Und nach drei Jahren, bei
dem Einzuge der Truppen in die Stadt, betritt der Sohn zuerst wieder seines
Vaters Haus. Er hatte einst, als er zuletzt diese Stufen hinunter rannte,
dem Diener Palle Löwes auf die Frage: "Wohin, Herr Hjälm?" geantwortet:
"Ich mache nur einen kleinen Morgenspaziergang." Drei ganze Jahre hat der
Spaziergang gedauert. Nun soll der Vater den Sohn wiedersehen, für den
er nie ein freundliches Wort gehabt, ja dem er bei dem letzten Zwiegespräch
das Haus verboten hatte. In Spannung geht er im Wohnzimmer auf und
nieder und überlegt, wie er ihn anreden soll. Frau Hjälm sitzt am Fenster
und betet, daß ihr Herz nicht brechen mag vor Freude, wenn der lange
Ersehnte hereintritt. Tante Malene aber wirft stolz den Kopf in den Nacken
und blickt kampfesmutig nach einem Gegner aus, findet aber keinen. Als
der Oberst endlich herausgefunden hat, wie er seineu Sohn anreden will,
tritt dieser ein, aber dem Alten ist die Anrede entfallen, er wirft sich seinem
Sohn um den Hals, nimmt seinen Kopf zwischen beide Hände und küßt ihn.
Dann kommt die Mutter mit Nanna, überwältigt vom Glücke, und zuletzt
Tante Malene, die ihm treuherzig seinen breiten Rücken tätschelt.

Aber wer ist Nanna? Das führt wieder weit zurück in ein tief im Walde
des Herzogtums Schleswig verstecktes Försterhaus und zu einer zarten, schönen,
nicht tändelnden und in keinem einzigen Punkte albernen Liebesgeschichte. Zu¬
erst fragt der Freiwillige die Försterstochter an der Pforte ihres Gartens
nach dem Wege. Dann zieht er dem neben ihm gefallnen Waffengenossen im
Toben der Schlacht den Ring vom Finger, um ihn später der Braut zu bringen.


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thun dasselbe. Und es ist wunderbar, wie dieses eine Glas dem Gedächtnis
der alten Hofkavaliere zu Hilfe kommt. Nun kennen sie den alten Obersten
mit einemmale ganz genau, erinnern sich auch sehr unwahrscheinlicherweise
des Sohnes von seinen frühesten Kinderjahren her, und der vergessene Alte
hat eine Schar treuer Freunde gefunden, vor deren Liebenswürdigkeiten er sich
nicht zu bergen weiß.

Er kommt nach Hause. Er weiß kaum, was er aus der Welt machen
soll. Sein Sohn Affe! Er möchte ihm schreiben. Aber wie die Form finden,
er hat das ja nie gethan. Er setzt sich hin. Schon die Anrede will nicht
gelingen. Er geht ins Zimmer seiner Frau. Sie schreibt so eifrig, daß sie
den Eintretenden nicht bemerkt. „An wen schreibst du?" Sie zuckt zusammen
und flüstert kaum hörbar: „An Affe." „Grüß ihn von mir," sagt der Oberst.
Sie sieht ihn verwundert an. Aber der Oberst beugt sich über sie und drückt
einen Kuß auf ihre Lippen. Sie schlägt ihren Arm um seinen Hals. Zum
ersten mal verstehen sich die beiden. Sie haben sich gefunden in ihrem Sohn,
in dem blöden Affe. Und so bleibt es nun. Die Mutter schreibt weiter an
den Leutnant, Kapitän, Generalmajor; ihr Brief schließt mit: „Vater läßt dich
grüßen," und Asses Briefe an seine Mutter enden: „Grüß Vater." Vater und
Sohn bedürfen keiner weitern Auseinandersetzung. Und nach drei Jahren, bei
dem Einzuge der Truppen in die Stadt, betritt der Sohn zuerst wieder seines
Vaters Haus. Er hatte einst, als er zuletzt diese Stufen hinunter rannte,
dem Diener Palle Löwes auf die Frage: „Wohin, Herr Hjälm?" geantwortet:
„Ich mache nur einen kleinen Morgenspaziergang." Drei ganze Jahre hat der
Spaziergang gedauert. Nun soll der Vater den Sohn wiedersehen, für den
er nie ein freundliches Wort gehabt, ja dem er bei dem letzten Zwiegespräch
das Haus verboten hatte. In Spannung geht er im Wohnzimmer auf und
nieder und überlegt, wie er ihn anreden soll. Frau Hjälm sitzt am Fenster
und betet, daß ihr Herz nicht brechen mag vor Freude, wenn der lange
Ersehnte hereintritt. Tante Malene aber wirft stolz den Kopf in den Nacken
und blickt kampfesmutig nach einem Gegner aus, findet aber keinen. Als
der Oberst endlich herausgefunden hat, wie er seineu Sohn anreden will,
tritt dieser ein, aber dem Alten ist die Anrede entfallen, er wirft sich seinem
Sohn um den Hals, nimmt seinen Kopf zwischen beide Hände und küßt ihn.
Dann kommt die Mutter mit Nanna, überwältigt vom Glücke, und zuletzt
Tante Malene, die ihm treuherzig seinen breiten Rücken tätschelt.

Aber wer ist Nanna? Das führt wieder weit zurück in ein tief im Walde
des Herzogtums Schleswig verstecktes Försterhaus und zu einer zarten, schönen,
nicht tändelnden und in keinem einzigen Punkte albernen Liebesgeschichte. Zu¬
erst fragt der Freiwillige die Försterstochter an der Pforte ihres Gartens
nach dem Wege. Dann zieht er dem neben ihm gefallnen Waffengenossen im
Toben der Schlacht den Ring vom Finger, um ihn später der Braut zu bringen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/525>, abgerufen am 25.06.2024.