Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.Ncitionalökonomik und Rechtswissenschaft Obgleich das Amt der Bürgermeister nicht eigentlich zum "höhern Verwaltungs¬ Ausdrücklich sei übrigens bemerkt, daß hier unter der Verwaltung der Ncitionalökonomik und Rechtswissenschaft Obgleich das Amt der Bürgermeister nicht eigentlich zum „höhern Verwaltungs¬ Ausdrücklich sei übrigens bemerkt, daß hier unter der Verwaltung der <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0503" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/222807"/> <fw type="header" place="top"> Ncitionalökonomik und Rechtswissenschaft</fw><lb/> <p xml:id="ID_1439" prev="#ID_1438"> Obgleich das Amt der Bürgermeister nicht eigentlich zum „höhern Verwaltungs¬<lb/> dienst" gerechnet werden kann, so ist es doch eine Lücke, daß in dem Aufsatze<lb/> in.den Preußischen Jahrbüchern die Vorbildung zum Kommunaldienst mit keinem<lb/> Wort erwähnt wird. Selbst mittlere und kleinere Städte in Preußen, bis<lb/> uuter 10000 Einwohner, pflegen heute Juristen als Bürgermeister zu be¬<lb/> rufen, Gerichtsassessoren, auch wohl Gerichtsreferendare, fast niemals Re¬<lb/> gierungsassessoren und Regierungsreferendare. Eigentlich nur in Großstädten<lb/> finden sich vereinzelt Gemeindebeamte, die aus dem Staatsverwaltungsdienste<lb/> hervorgegangen sind. So sehen wir, daß die überaus selbständigen, überaus<lb/> wichtigen und, wenn die Inhaber nur wollen und dazu befähigt sind, sozial¬<lb/> politisch und volkswirtschaftlich außerordentlich einflußreichen Stellungen an<lb/> der Spitze fast aller Stadtverwaltungen mit Leuten besetzt werden, die außer<lb/> einer ganz geringen wissenschaftlichen und meist recht unfertigen praktischen<lb/> Ausbildung in der Justiz nichts mit ins Amt bringen, was sie zu der ihnen<lb/> obliegenden wichtigen Aufgabe befähigte. Was dabei in der Regel — denn<lb/> rühmliche Ausnahmen giebt es gewiß — herauskommt, gereicht nicht sowohl<lb/> dem Einzelnen zum Vorwurf als dem Staat, der die Verhältnisse sich so hat<lb/> entwickeln lassen. Der Einfluß einer von diesen oder jenen Interessen be¬<lb/> herrschten Mehrheit im Magistrat oder in der Stadtverordnetenversammlung<lb/> kann selten etwas helfen, oft schaden. Wir wollen hoffen, daß die ein¬<lb/> heitliche Vorbildung der Justiz- und Verwaltungsbeamten hier über kurz<lb/> oder lang Wandel schaffen wird, denn darüber kann kein Zweifel bestehen:<lb/> die Vorbildung der zur Gemeindeverwaltung übertretenden preußischen Ge¬<lb/> richtsreferendare und Gerichtsassessoren für ihr Verwaltungsmut ist so schlecht,<lb/> daß sie gar nicht schlechter gedacht werden kann. Wir sind der Überzeugung,<lb/> daß trotz Freizügigkeit, Eisenbahnen und Fabriken die örtliche Gemeinschaft,<lb/> wie sie sich in der deutschen Gemeinde seit Jahrhunderten verkörpert, nach<lb/> wie vor eine hohe Bedeutung in wirtschaftlicher, politischer und sozialer Be¬<lb/> ziehung hat, und die Unterschätzung dieser Bedeutung — teilweise auch eine<lb/> Wirkung der Manchesterschule in Deutschland — eine große Gefahr in sich birgt.<lb/> Die wohlwollendste, sorgsamste Pflege des Gemeindesinus und des Gemeinde-<lb/> lcbens sollte heute der Negierung als heiligste Pflicht erscheinen, und dazu<lb/> wäre der erste, notwendigste Schritt die Sorge für tüchtige Gemeindevorsteher.<lb/> Bis jetzt ist davon in Preußen eigentlich noch niemals die Rede gewesen.<lb/> Aber die Not wird beten lehren. Alle Zukunftsmusik vom Aufbau der berufs¬<lb/> genossenschaftlichen Ordnung wird die natürliche Bedeutung der örtlichen Ge¬<lb/> meinschaft nicht aufheben, am wenigsten ihre sittliche und soziale Bedeutung.</p><lb/> <p xml:id="ID_1440"> Ausdrücklich sei übrigens bemerkt, daß hier unter der Verwaltung der<lb/> Eisenbahnbetrieb nicht mit verstanden ist. Hier ist der Jurist viel weniger<lb/> nötig und der Techniker und Spediteur viel mehr ausreichend und am Platze,<lb/> als man in der preußischen Staatseisenbahnverwaltung noch annimmt.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0503]
Ncitionalökonomik und Rechtswissenschaft
Obgleich das Amt der Bürgermeister nicht eigentlich zum „höhern Verwaltungs¬
dienst" gerechnet werden kann, so ist es doch eine Lücke, daß in dem Aufsatze
in.den Preußischen Jahrbüchern die Vorbildung zum Kommunaldienst mit keinem
Wort erwähnt wird. Selbst mittlere und kleinere Städte in Preußen, bis
uuter 10000 Einwohner, pflegen heute Juristen als Bürgermeister zu be¬
rufen, Gerichtsassessoren, auch wohl Gerichtsreferendare, fast niemals Re¬
gierungsassessoren und Regierungsreferendare. Eigentlich nur in Großstädten
finden sich vereinzelt Gemeindebeamte, die aus dem Staatsverwaltungsdienste
hervorgegangen sind. So sehen wir, daß die überaus selbständigen, überaus
wichtigen und, wenn die Inhaber nur wollen und dazu befähigt sind, sozial¬
politisch und volkswirtschaftlich außerordentlich einflußreichen Stellungen an
der Spitze fast aller Stadtverwaltungen mit Leuten besetzt werden, die außer
einer ganz geringen wissenschaftlichen und meist recht unfertigen praktischen
Ausbildung in der Justiz nichts mit ins Amt bringen, was sie zu der ihnen
obliegenden wichtigen Aufgabe befähigte. Was dabei in der Regel — denn
rühmliche Ausnahmen giebt es gewiß — herauskommt, gereicht nicht sowohl
dem Einzelnen zum Vorwurf als dem Staat, der die Verhältnisse sich so hat
entwickeln lassen. Der Einfluß einer von diesen oder jenen Interessen be¬
herrschten Mehrheit im Magistrat oder in der Stadtverordnetenversammlung
kann selten etwas helfen, oft schaden. Wir wollen hoffen, daß die ein¬
heitliche Vorbildung der Justiz- und Verwaltungsbeamten hier über kurz
oder lang Wandel schaffen wird, denn darüber kann kein Zweifel bestehen:
die Vorbildung der zur Gemeindeverwaltung übertretenden preußischen Ge¬
richtsreferendare und Gerichtsassessoren für ihr Verwaltungsmut ist so schlecht,
daß sie gar nicht schlechter gedacht werden kann. Wir sind der Überzeugung,
daß trotz Freizügigkeit, Eisenbahnen und Fabriken die örtliche Gemeinschaft,
wie sie sich in der deutschen Gemeinde seit Jahrhunderten verkörpert, nach
wie vor eine hohe Bedeutung in wirtschaftlicher, politischer und sozialer Be¬
ziehung hat, und die Unterschätzung dieser Bedeutung — teilweise auch eine
Wirkung der Manchesterschule in Deutschland — eine große Gefahr in sich birgt.
Die wohlwollendste, sorgsamste Pflege des Gemeindesinus und des Gemeinde-
lcbens sollte heute der Negierung als heiligste Pflicht erscheinen, und dazu
wäre der erste, notwendigste Schritt die Sorge für tüchtige Gemeindevorsteher.
Bis jetzt ist davon in Preußen eigentlich noch niemals die Rede gewesen.
Aber die Not wird beten lehren. Alle Zukunftsmusik vom Aufbau der berufs¬
genossenschaftlichen Ordnung wird die natürliche Bedeutung der örtlichen Ge¬
meinschaft nicht aufheben, am wenigsten ihre sittliche und soziale Bedeutung.
Ausdrücklich sei übrigens bemerkt, daß hier unter der Verwaltung der
Eisenbahnbetrieb nicht mit verstanden ist. Hier ist der Jurist viel weniger
nötig und der Techniker und Spediteur viel mehr ausreichend und am Platze,
als man in der preußischen Staatseisenbahnverwaltung noch annimmt.
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