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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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Litteratur

eben erschienenen Gedenkschriften zu diesen Tagen sei aufmerksam gemacht. Uz hat
in E. Pelzel einen so sorgfältigen Biographen und gerechten Würdiger gefunden,
wie ihn die heutige Methode der Litteraturgeschichte nur immer hervorbringen kann;
in Nahmen und Inhalt deckt seine kleine Schrift den Anspruch, den sie selbst macht,
ein bescheidnes wissenschaftliches Ehrendenkmal für ihren Helden darzustellen. Und
die Verfasser der Aufsätze über Immermann (auch der lieblichen und tüchtigen
Marianne, dem Urbild der Lisbeth im Münchhausen, ist ein Beitrag gewidmet)
stehen alle auf einer solchen Höhe, daß der Leser von etwaigen Verschiedenheiten
der Behandlung doch keine Einseitigkeiten des Urteils und damit Trübungen des
Gesamtbildes, das er sich zu schaffen sucht, zu befürchten hat. Der schönste Aufsatz
ist der erste (von O. H. Geffcken), der Immermann als Patrioten zeichnet; doch ist
die etwas allgemein gehaltene Einleitung über den lediglich aristokratischen Charakter
des deutscheu Natioualbewußtseius vor 1870 nach unsrer Auffassung einer ein¬
seitigen Ansicht der Dinge entsprungen. An Kenntnissen überbietet ihn der zweite
Aufsatz (von R. M. Meyer), der Tulifäntchen analysirt und Vor- und Nachklänge
zu ihm nachweist -- den souveränen Satz von "der jetzt wieder in Schwung
befindlichen Ansicht über die "Unechtheit" der Edda" hätten wir ihm geschenkt, und
Mirza Schaffys Verse:

gehen nicht auf einen Originalgedanken Immermanns zurück, denn die Worte Her¬
manns in den "Epigonen": "Mir war in dem Getreide zu Mute wie in einer
ewig klappernden und summenden Mühle; nur das Mehl sah ich nie, welches zu
gewinnen so viele Räder sich abarbeiteten" sind Lichtenberg entlehnt, dem Immer¬
mann ja auch sonst viel verdankt (Lichtenberg wieder hat das Bild aus einem
Aufsatze Justus Mösers über die verfeinerten Begriffe). Auch das bisweilen etwas
billige Geplauder Meyers (S. 76 "W. Grimm rühmt von Arnim: "Er wandelte,
getragen vou den Stahlfedern seines Geistes, in voller Gewandtheit auf seiner
Bahn" -- wobei natürlich nicht an unsre Stahlfedern gedacht werden kann"!) und
seine vielen Abschweifungen verschönern den zweiten Aufsatz nicht, und während
der erste durchaus erfüllt ist von einer gerechten Wertschätzung von Immermanns
Größe, schließt der zweite höchst frappant und "wohl doch" verfehlt: "Als Dichter
hat Platen wohl doch Immermann besiegt." Der dritte Aufsatz deutet Gestalten
und Stimmungen der "Epigonen" auf Zeitgenossen und Zeitgeschichte, der vierte
bringt eine große Zahl von Skizzen Immermanns als Beiträge zu einer Ent¬
stehungsgeschichte des "Münchhausen," der fünfte endlich eine sorgfältige Darstellung
von Immermanns Thätigkeit als Dramaturg in Düsseldorf.

Beide Gedenkschriften sind mit dem Bilde ihres Helden geschmückt, das Immer¬
manns ist ein prachtvoller Lichtdruck.






Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig
Verlag von Fr, Wilh, Grunow in Leipzig. -- Druck von Carl Marauart in Leipzig
Litteratur

eben erschienenen Gedenkschriften zu diesen Tagen sei aufmerksam gemacht. Uz hat
in E. Pelzel einen so sorgfältigen Biographen und gerechten Würdiger gefunden,
wie ihn die heutige Methode der Litteraturgeschichte nur immer hervorbringen kann;
in Nahmen und Inhalt deckt seine kleine Schrift den Anspruch, den sie selbst macht,
ein bescheidnes wissenschaftliches Ehrendenkmal für ihren Helden darzustellen. Und
die Verfasser der Aufsätze über Immermann (auch der lieblichen und tüchtigen
Marianne, dem Urbild der Lisbeth im Münchhausen, ist ein Beitrag gewidmet)
stehen alle auf einer solchen Höhe, daß der Leser von etwaigen Verschiedenheiten
der Behandlung doch keine Einseitigkeiten des Urteils und damit Trübungen des
Gesamtbildes, das er sich zu schaffen sucht, zu befürchten hat. Der schönste Aufsatz
ist der erste (von O. H. Geffcken), der Immermann als Patrioten zeichnet; doch ist
die etwas allgemein gehaltene Einleitung über den lediglich aristokratischen Charakter
des deutscheu Natioualbewußtseius vor 1870 nach unsrer Auffassung einer ein¬
seitigen Ansicht der Dinge entsprungen. An Kenntnissen überbietet ihn der zweite
Aufsatz (von R. M. Meyer), der Tulifäntchen analysirt und Vor- und Nachklänge
zu ihm nachweist — den souveränen Satz von „der jetzt wieder in Schwung
befindlichen Ansicht über die »Unechtheit« der Edda" hätten wir ihm geschenkt, und
Mirza Schaffys Verse:

gehen nicht auf einen Originalgedanken Immermanns zurück, denn die Worte Her¬
manns in den „Epigonen": „Mir war in dem Getreide zu Mute wie in einer
ewig klappernden und summenden Mühle; nur das Mehl sah ich nie, welches zu
gewinnen so viele Räder sich abarbeiteten" sind Lichtenberg entlehnt, dem Immer¬
mann ja auch sonst viel verdankt (Lichtenberg wieder hat das Bild aus einem
Aufsatze Justus Mösers über die verfeinerten Begriffe). Auch das bisweilen etwas
billige Geplauder Meyers (S. 76 „W. Grimm rühmt von Arnim: »Er wandelte,
getragen vou den Stahlfedern seines Geistes, in voller Gewandtheit auf seiner
Bahn« — wobei natürlich nicht an unsre Stahlfedern gedacht werden kann"!) und
seine vielen Abschweifungen verschönern den zweiten Aufsatz nicht, und während
der erste durchaus erfüllt ist von einer gerechten Wertschätzung von Immermanns
Größe, schließt der zweite höchst frappant und „wohl doch" verfehlt: „Als Dichter
hat Platen wohl doch Immermann besiegt." Der dritte Aufsatz deutet Gestalten
und Stimmungen der „Epigonen" auf Zeitgenossen und Zeitgeschichte, der vierte
bringt eine große Zahl von Skizzen Immermanns als Beiträge zu einer Ent¬
stehungsgeschichte des „Münchhausen," der fünfte endlich eine sorgfältige Darstellung
von Immermanns Thätigkeit als Dramaturg in Düsseldorf.

Beide Gedenkschriften sind mit dem Bilde ihres Helden geschmückt, das Immer¬
manns ist ein prachtvoller Lichtdruck.






Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig
Verlag von Fr, Wilh, Grunow in Leipzig. — Druck von Carl Marauart in Leipzig
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[0488] Litteratur eben erschienenen Gedenkschriften zu diesen Tagen sei aufmerksam gemacht. Uz hat in E. Pelzel einen so sorgfältigen Biographen und gerechten Würdiger gefunden, wie ihn die heutige Methode der Litteraturgeschichte nur immer hervorbringen kann; in Nahmen und Inhalt deckt seine kleine Schrift den Anspruch, den sie selbst macht, ein bescheidnes wissenschaftliches Ehrendenkmal für ihren Helden darzustellen. Und die Verfasser der Aufsätze über Immermann (auch der lieblichen und tüchtigen Marianne, dem Urbild der Lisbeth im Münchhausen, ist ein Beitrag gewidmet) stehen alle auf einer solchen Höhe, daß der Leser von etwaigen Verschiedenheiten der Behandlung doch keine Einseitigkeiten des Urteils und damit Trübungen des Gesamtbildes, das er sich zu schaffen sucht, zu befürchten hat. Der schönste Aufsatz ist der erste (von O. H. Geffcken), der Immermann als Patrioten zeichnet; doch ist die etwas allgemein gehaltene Einleitung über den lediglich aristokratischen Charakter des deutscheu Natioualbewußtseius vor 1870 nach unsrer Auffassung einer ein¬ seitigen Ansicht der Dinge entsprungen. An Kenntnissen überbietet ihn der zweite Aufsatz (von R. M. Meyer), der Tulifäntchen analysirt und Vor- und Nachklänge zu ihm nachweist — den souveränen Satz von „der jetzt wieder in Schwung befindlichen Ansicht über die »Unechtheit« der Edda" hätten wir ihm geschenkt, und Mirza Schaffys Verse: gehen nicht auf einen Originalgedanken Immermanns zurück, denn die Worte Her¬ manns in den „Epigonen": „Mir war in dem Getreide zu Mute wie in einer ewig klappernden und summenden Mühle; nur das Mehl sah ich nie, welches zu gewinnen so viele Räder sich abarbeiteten" sind Lichtenberg entlehnt, dem Immer¬ mann ja auch sonst viel verdankt (Lichtenberg wieder hat das Bild aus einem Aufsatze Justus Mösers über die verfeinerten Begriffe). Auch das bisweilen etwas billige Geplauder Meyers (S. 76 „W. Grimm rühmt von Arnim: »Er wandelte, getragen vou den Stahlfedern seines Geistes, in voller Gewandtheit auf seiner Bahn« — wobei natürlich nicht an unsre Stahlfedern gedacht werden kann"!) und seine vielen Abschweifungen verschönern den zweiten Aufsatz nicht, und während der erste durchaus erfüllt ist von einer gerechten Wertschätzung von Immermanns Größe, schließt der zweite höchst frappant und „wohl doch" verfehlt: „Als Dichter hat Platen wohl doch Immermann besiegt." Der dritte Aufsatz deutet Gestalten und Stimmungen der „Epigonen" auf Zeitgenossen und Zeitgeschichte, der vierte bringt eine große Zahl von Skizzen Immermanns als Beiträge zu einer Ent¬ stehungsgeschichte des „Münchhausen," der fünfte endlich eine sorgfältige Darstellung von Immermanns Thätigkeit als Dramaturg in Düsseldorf. Beide Gedenkschriften sind mit dem Bilde ihres Helden geschmückt, das Immer¬ manns ist ein prachtvoller Lichtdruck. Für die Redaktion verantwortlich: Johannes Grunow in Leipzig Verlag von Fr, Wilh, Grunow in Leipzig. — Druck von Carl Marauart in Leipzig

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/488>, abgerufen am 24.08.2024.