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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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Leipziger Pasquillanten des achtzehnten Jahrhunderts

lottgen, einer Cortesteschwester, und Monsieur Aventurier, einem fremden Pas¬
sagier, welches im Gasthofe zum silbernen Tobacks-Röhrgen genannt gehalten
worden. 10. Verianders mit allerhand lustigen Erzehlungen angefüllte Ge¬
spräche des schlauen Friedrichs eines Kauffmanns-Jungen mit Mannheit
Blondingen, seines Dieners Monsieur Tuschurattretts jetziger scharmante auf
dem Wege nach dem Schönen Sonnen-Adler vor den Peters-Thore. 11.) Allen
artigen Mädgen und hübschen Büfgen Dübchen^ zum Zeitvertreib, Nutz und
Nachsinnen entworffenes Gespräch im Reiche der Todten zwischen Adam und
Eva, unsern ersten Eltern, und einem neumodischen (^limtuoininL. 12. Die
geschäfftigen Batsch-Händgens-Weiber, Gleich und gleich gesellt sich gerne.
13. Die listigen Kuppel-Weiber, zwei treuhertzige Schwestern.*)

Die meisten dieser Gespräche, wahrscheinlich alle, hatte ein Subaltern¬
beamter des Leipziger Rats(!) verfaßt, der Thorschreibermeßgehilfe Christian
Heinrich Lincke. Obwohl sie, wie man schon aus den Titeln vermuten kann, ziemlich
derb waren, konnte ihm doch die Bücherkommission nicht an den Kragen, denn
er konnte die Manuskripte vorlegen und beweisen, daß sie alle ordnungsmäßig
zensirt worden waren: unter die einen hatte Professor Kapp, unter die andern
Professor Christ sein Vial gesetzt. Es blieb also nichts weiter übrig, als ihm
mit Amtsentsetzung zu drohen, wenn er wieder "dergleichen schlechte Gespräche
und abgeschmackte Leg-rtsauen" drucken lassen würde. Er behauptete aber, er
könne "außer denen Messen keine Gelegenheit ausfindig machen, als diese einzige
Art, etwas zu verdienen," es erschienen auch viele andre Schriften, die "viel¬
leicht noch weniger als die seinen Nutzen schafften" und doch geduldet würden.

Das Urteil des Rates über diese Gespräche ist nicht zu hart. Der Ver¬
fasser ist sich zwar über die Bedingungen, unter denen ein Dialog entsteht,
vollkommen klar gewesen; er läßt fast immer zwei Personen, die in einem ge¬
wissen Gegensatz zu einander stehen, ihre Erfahrungen und Ansichten aus¬
tauschen. Aber der Inhalt ist doch meist ohne Witz, er ist fast nur schlüpfrig
und gemein. Auch die Mundart ist ungeschickt wiedergegeben. Dennoch läßt
sich manches über die gesellschaftlichen und sittlichen Zustände des damaligen
Leipzigs aus ihnen entnehmen, und die Sprache ist reich an Wörtern und
Redensarten aus der Umgangssprache des niedrigen Volkes, von denen manche
noch heute genau so erhalten, viele aber doch auch verloren gegangen sind.
Ausgezeichnet, vielleicht das Beste dieser Art, ist die ausführliche, mehr als
zwei Quartseiten füllende Antwort, die in dem 11. Stück der Galanthomme
dem ersten Elternpaar auf seine Frage giebt: Was heißt denn Galanterie, was
ist denn galant? Das Ganze läßt sich hier nicht mitteilen, der wichtigere Teil
ist natürlich der zweite, sachliche; der erste, sprachliche lautet:



Die Schriften sind sämtlich wie auch alle weitern hier noch zu behandelnden Bücher
auf der Leipziger Stndtlu'liliother,
Leipziger Pasquillanten des achtzehnten Jahrhunderts

lottgen, einer Cortesteschwester, und Monsieur Aventurier, einem fremden Pas¬
sagier, welches im Gasthofe zum silbernen Tobacks-Röhrgen genannt gehalten
worden. 10. Verianders mit allerhand lustigen Erzehlungen angefüllte Ge¬
spräche des schlauen Friedrichs eines Kauffmanns-Jungen mit Mannheit
Blondingen, seines Dieners Monsieur Tuschurattretts jetziger scharmante auf
dem Wege nach dem Schönen Sonnen-Adler vor den Peters-Thore. 11.) Allen
artigen Mädgen und hübschen Büfgen Dübchen^ zum Zeitvertreib, Nutz und
Nachsinnen entworffenes Gespräch im Reiche der Todten zwischen Adam und
Eva, unsern ersten Eltern, und einem neumodischen (^limtuoininL. 12. Die
geschäfftigen Batsch-Händgens-Weiber, Gleich und gleich gesellt sich gerne.
13. Die listigen Kuppel-Weiber, zwei treuhertzige Schwestern.*)

Die meisten dieser Gespräche, wahrscheinlich alle, hatte ein Subaltern¬
beamter des Leipziger Rats(!) verfaßt, der Thorschreibermeßgehilfe Christian
Heinrich Lincke. Obwohl sie, wie man schon aus den Titeln vermuten kann, ziemlich
derb waren, konnte ihm doch die Bücherkommission nicht an den Kragen, denn
er konnte die Manuskripte vorlegen und beweisen, daß sie alle ordnungsmäßig
zensirt worden waren: unter die einen hatte Professor Kapp, unter die andern
Professor Christ sein Vial gesetzt. Es blieb also nichts weiter übrig, als ihm
mit Amtsentsetzung zu drohen, wenn er wieder „dergleichen schlechte Gespräche
und abgeschmackte Leg-rtsauen" drucken lassen würde. Er behauptete aber, er
könne „außer denen Messen keine Gelegenheit ausfindig machen, als diese einzige
Art, etwas zu verdienen," es erschienen auch viele andre Schriften, die „viel¬
leicht noch weniger als die seinen Nutzen schafften" und doch geduldet würden.

Das Urteil des Rates über diese Gespräche ist nicht zu hart. Der Ver¬
fasser ist sich zwar über die Bedingungen, unter denen ein Dialog entsteht,
vollkommen klar gewesen; er läßt fast immer zwei Personen, die in einem ge¬
wissen Gegensatz zu einander stehen, ihre Erfahrungen und Ansichten aus¬
tauschen. Aber der Inhalt ist doch meist ohne Witz, er ist fast nur schlüpfrig
und gemein. Auch die Mundart ist ungeschickt wiedergegeben. Dennoch läßt
sich manches über die gesellschaftlichen und sittlichen Zustände des damaligen
Leipzigs aus ihnen entnehmen, und die Sprache ist reich an Wörtern und
Redensarten aus der Umgangssprache des niedrigen Volkes, von denen manche
noch heute genau so erhalten, viele aber doch auch verloren gegangen sind.
Ausgezeichnet, vielleicht das Beste dieser Art, ist die ausführliche, mehr als
zwei Quartseiten füllende Antwort, die in dem 11. Stück der Galanthomme
dem ersten Elternpaar auf seine Frage giebt: Was heißt denn Galanterie, was
ist denn galant? Das Ganze läßt sich hier nicht mitteilen, der wichtigere Teil
ist natürlich der zweite, sachliche; der erste, sprachliche lautet:



Die Schriften sind sämtlich wie auch alle weitern hier noch zu behandelnden Bücher
auf der Leipziger Stndtlu'liliother,
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/475>, abgerufen am 22.07.2024.