Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Ausdehnung des Hochschulunterrichts

facher und einleuchtender Gedanke. Daß Geistesbildung, als Lebensbedingung
betrachtet, mit der Schule nicht aufhören soll, und daß regelmäßiges Weiter¬
lernen auf jeder Altersstufe aufgenommen werden kann, daß es auch uicht
dem Einzelnen überlassen, sondern angeregt und geleitet werden soll, leuchtet
ebenfalls ohne weiteres ein. Wir wollen von allen Einzelkenntnissen absehen,
die in vielen Fällen der Hörer als einen Wertvollen Besitz mit sich fortnimmt,
ebenso vou den Anregungen, die sein geistiges Leben erfrischen und in eine
kräftigere Bewegung bringen können, endlich vou dem ästhetischen Gewinn, daß
er aus den dumpfen, gewohnten und gewöhnlichen Tiefen des Alltagslebens
mit der Eintönigkeit seiner Leistungen und schalen Erholungen in eine hellere,
frischere Atmosphäre steigt. Das sind bekannte, oft genannte Vorteile. Höher
steht die Bethätigung des Willens, und zwar auf beiden Seiten, beim Lehrer
wie beim Hörer. Ohne Zwang, ohne Vorschrift sich Arbeiten zu widmen, die
nicht zur nächsten Aufgabe des Lebens gehören, und darin zu verharren, das
ist ein ideales Streben weit über das Brot- und Fachstudium hinaus. Umso
mehr muß man ihm entgegenkommen, je tiefer es im modernen Leben wurzelt,
denn umso eher ist zu hoffen, daß es veredelnd auf dieses Leben zurückwirkt.

Die Ausdehnung des Wirkungskreises einer deutschen Universität denken
wir uns so, daß der erste Schritt mit der Organisation von Vortragsreihen zu
thun wäre. Dieser Schritt wird sicherlich gelingen, so gut er in den engern Kreisen
der kaufmännischen Vereine, Frauenbilduugsvereiue u. a. gelungen ist. Er ist
insofern der Nächstliegende, als die Unzulänglichkeit der Einzelvorträge auf
der einen Seite allgemein empfunden wird, aber für alles weitergehende auf
der andern Seite in unserm schulenreichen Lande zunächst nicht das Bedürfnis
sein truü wie in England oder Amerika. Die Prüfungen und Zulassungen
müßten ja ganz anders werden, als sie sind, und damit würden auch die Bildungs¬
gange andre werden, wozu wiederum kein dringendes Bedürfnis ist. Es würde
also ein ganz ähnliches Vorgehen naheliegen wie bei den Wiener "Volkstüm¬
lichen Universitätskursen," die 1895 von dem dortigen Volksbildungsverein an¬
geregt wurden, der auch früher schon Vortragsreihen mit Hilfe von Lehrern
der Wiener Universität veranstaltet hatte. Es ist das der erste größere Versuch
einer deutschen Universität und schon insofern sehr beachtenswert. Von Pro¬
fessoren, die den Volksbildungsverein mit leiten, ging die Anregung an den
akademischen Senat, der sich günstig für das Unternehmen aussprach, worauf
das Ministerium versuchsweise 6000 Gulden bewilligte. Damit wurden Saal¬
miete, Beleuchtung, Skivptikon und andre Darstellungsmittel, sowie Honorare
um die vortragenden Privatdozenten und Assistenten der Universität bezahlt.
Die Stellung der Universität zu der neuen Einrichtung geht aus den durch
Ministerialerlaß vom 14. Oktober 1895 genehmigten Statut hervor, worin es
heißt: Die Wiener Universität übernimmt die Aufgabe, durch Einrichtung von
volkstümlichen Universitätsvorträgen, welche außerhalb des Universitätsgebäudes


Ausdehnung des Hochschulunterrichts

facher und einleuchtender Gedanke. Daß Geistesbildung, als Lebensbedingung
betrachtet, mit der Schule nicht aufhören soll, und daß regelmäßiges Weiter¬
lernen auf jeder Altersstufe aufgenommen werden kann, daß es auch uicht
dem Einzelnen überlassen, sondern angeregt und geleitet werden soll, leuchtet
ebenfalls ohne weiteres ein. Wir wollen von allen Einzelkenntnissen absehen,
die in vielen Fällen der Hörer als einen Wertvollen Besitz mit sich fortnimmt,
ebenso vou den Anregungen, die sein geistiges Leben erfrischen und in eine
kräftigere Bewegung bringen können, endlich vou dem ästhetischen Gewinn, daß
er aus den dumpfen, gewohnten und gewöhnlichen Tiefen des Alltagslebens
mit der Eintönigkeit seiner Leistungen und schalen Erholungen in eine hellere,
frischere Atmosphäre steigt. Das sind bekannte, oft genannte Vorteile. Höher
steht die Bethätigung des Willens, und zwar auf beiden Seiten, beim Lehrer
wie beim Hörer. Ohne Zwang, ohne Vorschrift sich Arbeiten zu widmen, die
nicht zur nächsten Aufgabe des Lebens gehören, und darin zu verharren, das
ist ein ideales Streben weit über das Brot- und Fachstudium hinaus. Umso
mehr muß man ihm entgegenkommen, je tiefer es im modernen Leben wurzelt,
denn umso eher ist zu hoffen, daß es veredelnd auf dieses Leben zurückwirkt.

Die Ausdehnung des Wirkungskreises einer deutschen Universität denken
wir uns so, daß der erste Schritt mit der Organisation von Vortragsreihen zu
thun wäre. Dieser Schritt wird sicherlich gelingen, so gut er in den engern Kreisen
der kaufmännischen Vereine, Frauenbilduugsvereiue u. a. gelungen ist. Er ist
insofern der Nächstliegende, als die Unzulänglichkeit der Einzelvorträge auf
der einen Seite allgemein empfunden wird, aber für alles weitergehende auf
der andern Seite in unserm schulenreichen Lande zunächst nicht das Bedürfnis
sein truü wie in England oder Amerika. Die Prüfungen und Zulassungen
müßten ja ganz anders werden, als sie sind, und damit würden auch die Bildungs¬
gange andre werden, wozu wiederum kein dringendes Bedürfnis ist. Es würde
also ein ganz ähnliches Vorgehen naheliegen wie bei den Wiener „Volkstüm¬
lichen Universitätskursen," die 1895 von dem dortigen Volksbildungsverein an¬
geregt wurden, der auch früher schon Vortragsreihen mit Hilfe von Lehrern
der Wiener Universität veranstaltet hatte. Es ist das der erste größere Versuch
einer deutschen Universität und schon insofern sehr beachtenswert. Von Pro¬
fessoren, die den Volksbildungsverein mit leiten, ging die Anregung an den
akademischen Senat, der sich günstig für das Unternehmen aussprach, worauf
das Ministerium versuchsweise 6000 Gulden bewilligte. Damit wurden Saal¬
miete, Beleuchtung, Skivptikon und andre Darstellungsmittel, sowie Honorare
um die vortragenden Privatdozenten und Assistenten der Universität bezahlt.
Die Stellung der Universität zu der neuen Einrichtung geht aus den durch
Ministerialerlaß vom 14. Oktober 1895 genehmigten Statut hervor, worin es
heißt: Die Wiener Universität übernimmt die Aufgabe, durch Einrichtung von
volkstümlichen Universitätsvorträgen, welche außerhalb des Universitätsgebäudes


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0429" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/222733"/>
          <fw type="header" place="top"> Ausdehnung des Hochschulunterrichts</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1240" prev="#ID_1239"> facher und einleuchtender Gedanke. Daß Geistesbildung, als Lebensbedingung<lb/>
betrachtet, mit der Schule nicht aufhören soll, und daß regelmäßiges Weiter¬<lb/>
lernen auf jeder Altersstufe aufgenommen werden kann, daß es auch uicht<lb/>
dem Einzelnen überlassen, sondern angeregt und geleitet werden soll, leuchtet<lb/>
ebenfalls ohne weiteres ein. Wir wollen von allen Einzelkenntnissen absehen,<lb/>
die in vielen Fällen der Hörer als einen Wertvollen Besitz mit sich fortnimmt,<lb/>
ebenso vou den Anregungen, die sein geistiges Leben erfrischen und in eine<lb/>
kräftigere Bewegung bringen können, endlich vou dem ästhetischen Gewinn, daß<lb/>
er aus den dumpfen, gewohnten und gewöhnlichen Tiefen des Alltagslebens<lb/>
mit der Eintönigkeit seiner Leistungen und schalen Erholungen in eine hellere,<lb/>
frischere Atmosphäre steigt. Das sind bekannte, oft genannte Vorteile. Höher<lb/>
steht die Bethätigung des Willens, und zwar auf beiden Seiten, beim Lehrer<lb/>
wie beim Hörer. Ohne Zwang, ohne Vorschrift sich Arbeiten zu widmen, die<lb/>
nicht zur nächsten Aufgabe des Lebens gehören, und darin zu verharren, das<lb/>
ist ein ideales Streben weit über das Brot- und Fachstudium hinaus. Umso<lb/>
mehr muß man ihm entgegenkommen, je tiefer es im modernen Leben wurzelt,<lb/>
denn umso eher ist zu hoffen, daß es veredelnd auf dieses Leben zurückwirkt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1241" next="#ID_1242"> Die Ausdehnung des Wirkungskreises einer deutschen Universität denken<lb/>
wir uns so, daß der erste Schritt mit der Organisation von Vortragsreihen zu<lb/>
thun wäre. Dieser Schritt wird sicherlich gelingen, so gut er in den engern Kreisen<lb/>
der kaufmännischen Vereine, Frauenbilduugsvereiue u. a. gelungen ist. Er ist<lb/>
insofern der Nächstliegende, als die Unzulänglichkeit der Einzelvorträge auf<lb/>
der einen Seite allgemein empfunden wird, aber für alles weitergehende auf<lb/>
der andern Seite in unserm schulenreichen Lande zunächst nicht das Bedürfnis<lb/>
sein truü wie in England oder Amerika. Die Prüfungen und Zulassungen<lb/>
müßten ja ganz anders werden, als sie sind, und damit würden auch die Bildungs¬<lb/>
gange andre werden, wozu wiederum kein dringendes Bedürfnis ist. Es würde<lb/>
also ein ganz ähnliches Vorgehen naheliegen wie bei den Wiener &#x201E;Volkstüm¬<lb/>
lichen Universitätskursen," die 1895 von dem dortigen Volksbildungsverein an¬<lb/>
geregt wurden, der auch früher schon Vortragsreihen mit Hilfe von Lehrern<lb/>
der Wiener Universität veranstaltet hatte. Es ist das der erste größere Versuch<lb/>
einer deutschen Universität und schon insofern sehr beachtenswert. Von Pro¬<lb/>
fessoren, die den Volksbildungsverein mit leiten, ging die Anregung an den<lb/>
akademischen Senat, der sich günstig für das Unternehmen aussprach, worauf<lb/>
das Ministerium versuchsweise 6000 Gulden bewilligte. Damit wurden Saal¬<lb/>
miete, Beleuchtung, Skivptikon und andre Darstellungsmittel, sowie Honorare<lb/>
um die vortragenden Privatdozenten und Assistenten der Universität bezahlt.<lb/>
Die Stellung der Universität zu der neuen Einrichtung geht aus den durch<lb/>
Ministerialerlaß vom 14. Oktober 1895 genehmigten Statut hervor, worin es<lb/>
heißt: Die Wiener Universität übernimmt die Aufgabe, durch Einrichtung von<lb/>
volkstümlichen Universitätsvorträgen, welche außerhalb des Universitätsgebäudes</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0429] Ausdehnung des Hochschulunterrichts facher und einleuchtender Gedanke. Daß Geistesbildung, als Lebensbedingung betrachtet, mit der Schule nicht aufhören soll, und daß regelmäßiges Weiter¬ lernen auf jeder Altersstufe aufgenommen werden kann, daß es auch uicht dem Einzelnen überlassen, sondern angeregt und geleitet werden soll, leuchtet ebenfalls ohne weiteres ein. Wir wollen von allen Einzelkenntnissen absehen, die in vielen Fällen der Hörer als einen Wertvollen Besitz mit sich fortnimmt, ebenso vou den Anregungen, die sein geistiges Leben erfrischen und in eine kräftigere Bewegung bringen können, endlich vou dem ästhetischen Gewinn, daß er aus den dumpfen, gewohnten und gewöhnlichen Tiefen des Alltagslebens mit der Eintönigkeit seiner Leistungen und schalen Erholungen in eine hellere, frischere Atmosphäre steigt. Das sind bekannte, oft genannte Vorteile. Höher steht die Bethätigung des Willens, und zwar auf beiden Seiten, beim Lehrer wie beim Hörer. Ohne Zwang, ohne Vorschrift sich Arbeiten zu widmen, die nicht zur nächsten Aufgabe des Lebens gehören, und darin zu verharren, das ist ein ideales Streben weit über das Brot- und Fachstudium hinaus. Umso mehr muß man ihm entgegenkommen, je tiefer es im modernen Leben wurzelt, denn umso eher ist zu hoffen, daß es veredelnd auf dieses Leben zurückwirkt. Die Ausdehnung des Wirkungskreises einer deutschen Universität denken wir uns so, daß der erste Schritt mit der Organisation von Vortragsreihen zu thun wäre. Dieser Schritt wird sicherlich gelingen, so gut er in den engern Kreisen der kaufmännischen Vereine, Frauenbilduugsvereiue u. a. gelungen ist. Er ist insofern der Nächstliegende, als die Unzulänglichkeit der Einzelvorträge auf der einen Seite allgemein empfunden wird, aber für alles weitergehende auf der andern Seite in unserm schulenreichen Lande zunächst nicht das Bedürfnis sein truü wie in England oder Amerika. Die Prüfungen und Zulassungen müßten ja ganz anders werden, als sie sind, und damit würden auch die Bildungs¬ gange andre werden, wozu wiederum kein dringendes Bedürfnis ist. Es würde also ein ganz ähnliches Vorgehen naheliegen wie bei den Wiener „Volkstüm¬ lichen Universitätskursen," die 1895 von dem dortigen Volksbildungsverein an¬ geregt wurden, der auch früher schon Vortragsreihen mit Hilfe von Lehrern der Wiener Universität veranstaltet hatte. Es ist das der erste größere Versuch einer deutschen Universität und schon insofern sehr beachtenswert. Von Pro¬ fessoren, die den Volksbildungsverein mit leiten, ging die Anregung an den akademischen Senat, der sich günstig für das Unternehmen aussprach, worauf das Ministerium versuchsweise 6000 Gulden bewilligte. Damit wurden Saal¬ miete, Beleuchtung, Skivptikon und andre Darstellungsmittel, sowie Honorare um die vortragenden Privatdozenten und Assistenten der Universität bezahlt. Die Stellung der Universität zu der neuen Einrichtung geht aus den durch Ministerialerlaß vom 14. Oktober 1895 genehmigten Statut hervor, worin es heißt: Die Wiener Universität übernimmt die Aufgabe, durch Einrichtung von volkstümlichen Universitätsvorträgen, welche außerhalb des Universitätsgebäudes

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/429
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/429>, abgerufen am 22.07.2024.