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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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ganz absolut gemeint, im Relativsatz dagegen wird er auf einen bestimmten
einzelnen Fall bezogen. Aber auch dieser Fehler, der -- gelind gesagt -- große
Unbeholfenheit verrät, ist schon etwas ganz gewöhnliches, wie folgende Bei¬
spiele zeigen: diese Versuche blieben nicht ohne Eindruck, der(!) aber durch
die nachfolgenden Ereignisse bald wieder verwischt wurde -- namentlich waren
die Schöpfungen der Pariser Architektur auf ihn von Einfluß, der(!) bis
zu seinen letzten Werken nachhallend geblieben ist -- ein solches Unternehmen
muß in Einzelheiten Widerspruch hervorrufen, der(!) dann auch auf die
Beratung des Ganzen Einfluß übt -- da stand er nun in Verlegenheit,
an die(!) er gar nicht gedacht hatte -- auf seine Bitten erhielt er in dieser
Sprache Unterricht, d,'en (!) er selbst so anziehend geschildert hat -- die
Scheune geriet in Brand, der(!) erst nach einer Stunde gelöscht wurde --
Bischer redet sich alle Galle vom Herzen, das (!) im deutschen Bruderkriege
1866 blutete.

Etwas erträglicher, wenn auch nicht viel erträglicher, wird der Fehler,
wenn man das Hauptwort der Redensart mit einer Art von Anaphora wieder¬
holt, z.B.: Man hat den Eindruck, daß beide im Augenblick der Entscheidung
Friede gemacht haben, einen Frieden, der auch dem unterliegenden
Teil zu gute kommt. Schwache Gemüter können hier zugleich rein äußerlich
sehen, worauf es ankommt: in der Redensart erscheint das Hauptwort ohne
Artikel, in der Anaphora mit Artikel; bezeichnend ist dabei der Unterschied,
den der Schreibende (unwillkürlich?) zwischen der ältern und der jüngern
Form Friede und Frieden gemacht hat. Oft berühren sich nämlich solche
unveränderliche formelhafte Redensarten nahe mit andern Wendungen, die
nichts formelhaftes haben, sondern im Augenblick gebildet sind und jeden Augen¬
blick anders gebildet werden können. Die sind aber dann von formelhaften
Redensarten leicht zu unterscheiden, äußerlich gewöhnlich schon daran, daß
in der Formel das Hauptwort keinen Artikel hat, weder den bestimmten noch
den unbestimmten. Eine zweifellos formelhafte Redensart ist: zu Ohren
kommen. Daher wird niemand sagen: es ist zu meinen Ohren gekommen,
oder: es ist zu Ohren des Ministers gekommen, sondern: es ist mir zu
Ohren gekommen, es ist dem Minister zu Ohren gekommen. Zweifeln
kann man dagegen, ob auch zur Kenntnis kommen formelhaft sei. Der
Vorgang kam zu meiner Kenntnis oder zur Kenntnis des großen
Publikums dürfte ebenso gut sein, wie: er kam mir zur Kenntnis oder
dem Publikum zur Kenntnis. Die Grenzen sind hier manchmal flüssig;
wer feineres Sprachgefühl hat, wird meist ohne weiteres das Nichtige treffen;
wer keins hat, wird auch bei aller Belehrung oft danebentappen.

Das tollste ist es wohl, das Hauptwort aus einer solchen Redensart
herauszunehmen und in einem besondern Satze zu verwenden. Aber auch das
habe ich gelesen. Da schreibt z. B. jemand: Wichtig war für meine spätern


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ganz absolut gemeint, im Relativsatz dagegen wird er auf einen bestimmten
einzelnen Fall bezogen. Aber auch dieser Fehler, der — gelind gesagt — große
Unbeholfenheit verrät, ist schon etwas ganz gewöhnliches, wie folgende Bei¬
spiele zeigen: diese Versuche blieben nicht ohne Eindruck, der(!) aber durch
die nachfolgenden Ereignisse bald wieder verwischt wurde — namentlich waren
die Schöpfungen der Pariser Architektur auf ihn von Einfluß, der(!) bis
zu seinen letzten Werken nachhallend geblieben ist — ein solches Unternehmen
muß in Einzelheiten Widerspruch hervorrufen, der(!) dann auch auf die
Beratung des Ganzen Einfluß übt — da stand er nun in Verlegenheit,
an die(!) er gar nicht gedacht hatte — auf seine Bitten erhielt er in dieser
Sprache Unterricht, d,'en (!) er selbst so anziehend geschildert hat — die
Scheune geriet in Brand, der(!) erst nach einer Stunde gelöscht wurde —
Bischer redet sich alle Galle vom Herzen, das (!) im deutschen Bruderkriege
1866 blutete.

Etwas erträglicher, wenn auch nicht viel erträglicher, wird der Fehler,
wenn man das Hauptwort der Redensart mit einer Art von Anaphora wieder¬
holt, z.B.: Man hat den Eindruck, daß beide im Augenblick der Entscheidung
Friede gemacht haben, einen Frieden, der auch dem unterliegenden
Teil zu gute kommt. Schwache Gemüter können hier zugleich rein äußerlich
sehen, worauf es ankommt: in der Redensart erscheint das Hauptwort ohne
Artikel, in der Anaphora mit Artikel; bezeichnend ist dabei der Unterschied,
den der Schreibende (unwillkürlich?) zwischen der ältern und der jüngern
Form Friede und Frieden gemacht hat. Oft berühren sich nämlich solche
unveränderliche formelhafte Redensarten nahe mit andern Wendungen, die
nichts formelhaftes haben, sondern im Augenblick gebildet sind und jeden Augen¬
blick anders gebildet werden können. Die sind aber dann von formelhaften
Redensarten leicht zu unterscheiden, äußerlich gewöhnlich schon daran, daß
in der Formel das Hauptwort keinen Artikel hat, weder den bestimmten noch
den unbestimmten. Eine zweifellos formelhafte Redensart ist: zu Ohren
kommen. Daher wird niemand sagen: es ist zu meinen Ohren gekommen,
oder: es ist zu Ohren des Ministers gekommen, sondern: es ist mir zu
Ohren gekommen, es ist dem Minister zu Ohren gekommen. Zweifeln
kann man dagegen, ob auch zur Kenntnis kommen formelhaft sei. Der
Vorgang kam zu meiner Kenntnis oder zur Kenntnis des großen
Publikums dürfte ebenso gut sein, wie: er kam mir zur Kenntnis oder
dem Publikum zur Kenntnis. Die Grenzen sind hier manchmal flüssig;
wer feineres Sprachgefühl hat, wird meist ohne weiteres das Nichtige treffen;
wer keins hat, wird auch bei aller Belehrung oft danebentappen.

Das tollste ist es wohl, das Hauptwort aus einer solchen Redensart
herauszunehmen und in einem besondern Satze zu verwenden. Aber auch das
habe ich gelesen. Da schreibt z. B. jemand: Wichtig war für meine spätern


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[0416] Neue Sxrachdummheiten ganz absolut gemeint, im Relativsatz dagegen wird er auf einen bestimmten einzelnen Fall bezogen. Aber auch dieser Fehler, der — gelind gesagt — große Unbeholfenheit verrät, ist schon etwas ganz gewöhnliches, wie folgende Bei¬ spiele zeigen: diese Versuche blieben nicht ohne Eindruck, der(!) aber durch die nachfolgenden Ereignisse bald wieder verwischt wurde — namentlich waren die Schöpfungen der Pariser Architektur auf ihn von Einfluß, der(!) bis zu seinen letzten Werken nachhallend geblieben ist — ein solches Unternehmen muß in Einzelheiten Widerspruch hervorrufen, der(!) dann auch auf die Beratung des Ganzen Einfluß übt — da stand er nun in Verlegenheit, an die(!) er gar nicht gedacht hatte — auf seine Bitten erhielt er in dieser Sprache Unterricht, d,'en (!) er selbst so anziehend geschildert hat — die Scheune geriet in Brand, der(!) erst nach einer Stunde gelöscht wurde — Bischer redet sich alle Galle vom Herzen, das (!) im deutschen Bruderkriege 1866 blutete. Etwas erträglicher, wenn auch nicht viel erträglicher, wird der Fehler, wenn man das Hauptwort der Redensart mit einer Art von Anaphora wieder¬ holt, z.B.: Man hat den Eindruck, daß beide im Augenblick der Entscheidung Friede gemacht haben, einen Frieden, der auch dem unterliegenden Teil zu gute kommt. Schwache Gemüter können hier zugleich rein äußerlich sehen, worauf es ankommt: in der Redensart erscheint das Hauptwort ohne Artikel, in der Anaphora mit Artikel; bezeichnend ist dabei der Unterschied, den der Schreibende (unwillkürlich?) zwischen der ältern und der jüngern Form Friede und Frieden gemacht hat. Oft berühren sich nämlich solche unveränderliche formelhafte Redensarten nahe mit andern Wendungen, die nichts formelhaftes haben, sondern im Augenblick gebildet sind und jeden Augen¬ blick anders gebildet werden können. Die sind aber dann von formelhaften Redensarten leicht zu unterscheiden, äußerlich gewöhnlich schon daran, daß in der Formel das Hauptwort keinen Artikel hat, weder den bestimmten noch den unbestimmten. Eine zweifellos formelhafte Redensart ist: zu Ohren kommen. Daher wird niemand sagen: es ist zu meinen Ohren gekommen, oder: es ist zu Ohren des Ministers gekommen, sondern: es ist mir zu Ohren gekommen, es ist dem Minister zu Ohren gekommen. Zweifeln kann man dagegen, ob auch zur Kenntnis kommen formelhaft sei. Der Vorgang kam zu meiner Kenntnis oder zur Kenntnis des großen Publikums dürfte ebenso gut sein, wie: er kam mir zur Kenntnis oder dem Publikum zur Kenntnis. Die Grenzen sind hier manchmal flüssig; wer feineres Sprachgefühl hat, wird meist ohne weiteres das Nichtige treffen; wer keins hat, wird auch bei aller Belehrung oft danebentappen. Das tollste ist es wohl, das Hauptwort aus einer solchen Redensart herauszunehmen und in einem besondern Satze zu verwenden. Aber auch das habe ich gelesen. Da schreibt z. B. jemand: Wichtig war für meine spätern

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/416>, abgerufen am 26.06.2024.