Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Etwas von der Post

oder vielmehr stehen andre Beamte an den Hunderten von Fächern, die die
abzusendenden Briefe aufzunehmen haben, und schießen dieselben Böcke. Das
ist ja das Unglück bei der Reichspostverwaltung, daß die Beamten so oft
wechseln, daß sie aus fernen Gegenden in Verhältnisse kommen, die ihnen ganz
fremd sind, und nun natürlich Monate brauchen, um sich in den neuen Orten
zurechtzufinden. Während dieser Zeit muß das korrespondirende Publikum
leiden und sich gedulden. Man vergegenwärtige sich ferner, um nicht jede
Dienststelle eines Postamts durchzunehmen, daß selbst bei mittlern Postämtern
mehrere Hunderte von Korrespondenten ihre Postsachen durch Boten abholen
lassen. Da halten die Firmen Müller und Schulze und Schulze und Müller,
Gebrüder Schultze mit und ohne t, Jsaak Abraham und Abraham Jsaak,
Sally Cohn, L. Cohn und G. Cohn Nachfrage nach vorliegenden Sendungen.
Was nützt da dem jungen, aus den alten Provinzen nach dem Reichslande
versetzten Postsekretür, der sich bei seiner Vorbereitung zur Staatsprüfung
eifrig mit den verschiednen Reichs- und Landesgesetzen bekannt gemacht und
die Grundzüge der Staatswissenschaft, der Finanzwissenschaft, der Volkswirt¬
schaft und des Gerichtsverfahrens usw. studirt hat, sein ganzes Wissen? Er
muß sich erst wochenlang bemühen, die Firmen und die Abholer im Orte und
die vielen Fächer, die die Briefe aufzunehmen haben, kennen zu lernen. Welche
Irrtümer laufen dabei einem nicht eingearbeiteten Beamten unter, wie leicht
verwechselt er ähnlich klingende Namen, und wieviel Beschwerden werden her¬
vorgerufen! Im Warthebruch liegen verschiedne Orte mit sehr merkwürdigen
Namen, die seinerzeit von den Ansiedlern mitgebracht worden sind. Da
giebt es ein Jamaika, ein Saratoga, ein Philadelphia, ein Sumatra usw.
Kommt nun ein Beamter ans Westfalen nach einer Postanstalt in der Nähe
dieser Orte, so hat er natürlich keine Ahnung, daß der mit einer Zehnpfennig-
Marke frankirte, nach Jamaika bestimmte Brief nicht nach Westindien, sondern
nach dem nahe gelegnen Orte gehen soll, er sendet ihn daher auf eine nach
dem Westen gehende Bahnpost. Ist aber der Brief einmal über Berlin hinaus,
so wandert er weiter über das große Wasser, Hat er Glück, so kommt er
nach einigen Monaten von dort als unbestellbar zurück.

Es könnten tausende von Beispielen gesammelt werden, um die Notwendig¬
keit zu beweisen, bei den Postämtern ein möglichst ständiges Personal zu be¬
schäftigen. Gegenwärtig besteht bei einem Postamte etwa ein Viertel des
Personals aus nicht angestellten Beamten, aus Assistenten, Praktikanten,
Eleven und Gehilfen. Nun sind aber stets mehrere angestellte Beamte krank,
beurlaubt oder anderweitig beschäftigt, und einige Stellen aus irgend einem
Grunde nicht besetzt; so ist das Personal, namentlich in den Sommermonaten,
Zur Hülste aus jungen, unerfahrnen Leuten zusammengesetzt, die erst später
bei der ersten Prüfung den Nachweis liefern sollen, daß sie etwas gelernt
haben, und die dann diesen Nachweis durchschnittlich in recht mäßigem Um-


Etwas von der Post

oder vielmehr stehen andre Beamte an den Hunderten von Fächern, die die
abzusendenden Briefe aufzunehmen haben, und schießen dieselben Böcke. Das
ist ja das Unglück bei der Reichspostverwaltung, daß die Beamten so oft
wechseln, daß sie aus fernen Gegenden in Verhältnisse kommen, die ihnen ganz
fremd sind, und nun natürlich Monate brauchen, um sich in den neuen Orten
zurechtzufinden. Während dieser Zeit muß das korrespondirende Publikum
leiden und sich gedulden. Man vergegenwärtige sich ferner, um nicht jede
Dienststelle eines Postamts durchzunehmen, daß selbst bei mittlern Postämtern
mehrere Hunderte von Korrespondenten ihre Postsachen durch Boten abholen
lassen. Da halten die Firmen Müller und Schulze und Schulze und Müller,
Gebrüder Schultze mit und ohne t, Jsaak Abraham und Abraham Jsaak,
Sally Cohn, L. Cohn und G. Cohn Nachfrage nach vorliegenden Sendungen.
Was nützt da dem jungen, aus den alten Provinzen nach dem Reichslande
versetzten Postsekretür, der sich bei seiner Vorbereitung zur Staatsprüfung
eifrig mit den verschiednen Reichs- und Landesgesetzen bekannt gemacht und
die Grundzüge der Staatswissenschaft, der Finanzwissenschaft, der Volkswirt¬
schaft und des Gerichtsverfahrens usw. studirt hat, sein ganzes Wissen? Er
muß sich erst wochenlang bemühen, die Firmen und die Abholer im Orte und
die vielen Fächer, die die Briefe aufzunehmen haben, kennen zu lernen. Welche
Irrtümer laufen dabei einem nicht eingearbeiteten Beamten unter, wie leicht
verwechselt er ähnlich klingende Namen, und wieviel Beschwerden werden her¬
vorgerufen! Im Warthebruch liegen verschiedne Orte mit sehr merkwürdigen
Namen, die seinerzeit von den Ansiedlern mitgebracht worden sind. Da
giebt es ein Jamaika, ein Saratoga, ein Philadelphia, ein Sumatra usw.
Kommt nun ein Beamter ans Westfalen nach einer Postanstalt in der Nähe
dieser Orte, so hat er natürlich keine Ahnung, daß der mit einer Zehnpfennig-
Marke frankirte, nach Jamaika bestimmte Brief nicht nach Westindien, sondern
nach dem nahe gelegnen Orte gehen soll, er sendet ihn daher auf eine nach
dem Westen gehende Bahnpost. Ist aber der Brief einmal über Berlin hinaus,
so wandert er weiter über das große Wasser, Hat er Glück, so kommt er
nach einigen Monaten von dort als unbestellbar zurück.

Es könnten tausende von Beispielen gesammelt werden, um die Notwendig¬
keit zu beweisen, bei den Postämtern ein möglichst ständiges Personal zu be¬
schäftigen. Gegenwärtig besteht bei einem Postamte etwa ein Viertel des
Personals aus nicht angestellten Beamten, aus Assistenten, Praktikanten,
Eleven und Gehilfen. Nun sind aber stets mehrere angestellte Beamte krank,
beurlaubt oder anderweitig beschäftigt, und einige Stellen aus irgend einem
Grunde nicht besetzt; so ist das Personal, namentlich in den Sommermonaten,
Zur Hülste aus jungen, unerfahrnen Leuten zusammengesetzt, die erst später
bei der ersten Prüfung den Nachweis liefern sollen, daß sie etwas gelernt
haben, und die dann diesen Nachweis durchschnittlich in recht mäßigem Um-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0407" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/222711"/>
          <fw type="header" place="top"> Etwas von der Post</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1182" prev="#ID_1181"> oder vielmehr stehen andre Beamte an den Hunderten von Fächern, die die<lb/>
abzusendenden Briefe aufzunehmen haben, und schießen dieselben Böcke. Das<lb/>
ist ja das Unglück bei der Reichspostverwaltung, daß die Beamten so oft<lb/>
wechseln, daß sie aus fernen Gegenden in Verhältnisse kommen, die ihnen ganz<lb/>
fremd sind, und nun natürlich Monate brauchen, um sich in den neuen Orten<lb/>
zurechtzufinden. Während dieser Zeit muß das korrespondirende Publikum<lb/>
leiden und sich gedulden. Man vergegenwärtige sich ferner, um nicht jede<lb/>
Dienststelle eines Postamts durchzunehmen, daß selbst bei mittlern Postämtern<lb/>
mehrere Hunderte von Korrespondenten ihre Postsachen durch Boten abholen<lb/>
lassen. Da halten die Firmen Müller und Schulze und Schulze und Müller,<lb/>
Gebrüder Schultze mit und ohne t, Jsaak Abraham und Abraham Jsaak,<lb/>
Sally Cohn, L. Cohn und G. Cohn Nachfrage nach vorliegenden Sendungen.<lb/>
Was nützt da dem jungen, aus den alten Provinzen nach dem Reichslande<lb/>
versetzten Postsekretür, der sich bei seiner Vorbereitung zur Staatsprüfung<lb/>
eifrig mit den verschiednen Reichs- und Landesgesetzen bekannt gemacht und<lb/>
die Grundzüge der Staatswissenschaft, der Finanzwissenschaft, der Volkswirt¬<lb/>
schaft und des Gerichtsverfahrens usw. studirt hat, sein ganzes Wissen? Er<lb/>
muß sich erst wochenlang bemühen, die Firmen und die Abholer im Orte und<lb/>
die vielen Fächer, die die Briefe aufzunehmen haben, kennen zu lernen. Welche<lb/>
Irrtümer laufen dabei einem nicht eingearbeiteten Beamten unter, wie leicht<lb/>
verwechselt er ähnlich klingende Namen, und wieviel Beschwerden werden her¬<lb/>
vorgerufen! Im Warthebruch liegen verschiedne Orte mit sehr merkwürdigen<lb/>
Namen, die seinerzeit von den Ansiedlern mitgebracht worden sind. Da<lb/>
giebt es ein Jamaika, ein Saratoga, ein Philadelphia, ein Sumatra usw.<lb/>
Kommt nun ein Beamter ans Westfalen nach einer Postanstalt in der Nähe<lb/>
dieser Orte, so hat er natürlich keine Ahnung, daß der mit einer Zehnpfennig-<lb/>
Marke frankirte, nach Jamaika bestimmte Brief nicht nach Westindien, sondern<lb/>
nach dem nahe gelegnen Orte gehen soll, er sendet ihn daher auf eine nach<lb/>
dem Westen gehende Bahnpost. Ist aber der Brief einmal über Berlin hinaus,<lb/>
so wandert er weiter über das große Wasser, Hat er Glück, so kommt er<lb/>
nach einigen Monaten von dort als unbestellbar zurück.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1183" next="#ID_1184"> Es könnten tausende von Beispielen gesammelt werden, um die Notwendig¬<lb/>
keit zu beweisen, bei den Postämtern ein möglichst ständiges Personal zu be¬<lb/>
schäftigen. Gegenwärtig besteht bei einem Postamte etwa ein Viertel des<lb/>
Personals aus nicht angestellten Beamten, aus Assistenten, Praktikanten,<lb/>
Eleven und Gehilfen. Nun sind aber stets mehrere angestellte Beamte krank,<lb/>
beurlaubt oder anderweitig beschäftigt, und einige Stellen aus irgend einem<lb/>
Grunde nicht besetzt; so ist das Personal, namentlich in den Sommermonaten,<lb/>
Zur Hülste aus jungen, unerfahrnen Leuten zusammengesetzt, die erst später<lb/>
bei der ersten Prüfung den Nachweis liefern sollen, daß sie etwas gelernt<lb/>
haben, und die dann diesen Nachweis durchschnittlich in recht mäßigem Um-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0407] Etwas von der Post oder vielmehr stehen andre Beamte an den Hunderten von Fächern, die die abzusendenden Briefe aufzunehmen haben, und schießen dieselben Böcke. Das ist ja das Unglück bei der Reichspostverwaltung, daß die Beamten so oft wechseln, daß sie aus fernen Gegenden in Verhältnisse kommen, die ihnen ganz fremd sind, und nun natürlich Monate brauchen, um sich in den neuen Orten zurechtzufinden. Während dieser Zeit muß das korrespondirende Publikum leiden und sich gedulden. Man vergegenwärtige sich ferner, um nicht jede Dienststelle eines Postamts durchzunehmen, daß selbst bei mittlern Postämtern mehrere Hunderte von Korrespondenten ihre Postsachen durch Boten abholen lassen. Da halten die Firmen Müller und Schulze und Schulze und Müller, Gebrüder Schultze mit und ohne t, Jsaak Abraham und Abraham Jsaak, Sally Cohn, L. Cohn und G. Cohn Nachfrage nach vorliegenden Sendungen. Was nützt da dem jungen, aus den alten Provinzen nach dem Reichslande versetzten Postsekretür, der sich bei seiner Vorbereitung zur Staatsprüfung eifrig mit den verschiednen Reichs- und Landesgesetzen bekannt gemacht und die Grundzüge der Staatswissenschaft, der Finanzwissenschaft, der Volkswirt¬ schaft und des Gerichtsverfahrens usw. studirt hat, sein ganzes Wissen? Er muß sich erst wochenlang bemühen, die Firmen und die Abholer im Orte und die vielen Fächer, die die Briefe aufzunehmen haben, kennen zu lernen. Welche Irrtümer laufen dabei einem nicht eingearbeiteten Beamten unter, wie leicht verwechselt er ähnlich klingende Namen, und wieviel Beschwerden werden her¬ vorgerufen! Im Warthebruch liegen verschiedne Orte mit sehr merkwürdigen Namen, die seinerzeit von den Ansiedlern mitgebracht worden sind. Da giebt es ein Jamaika, ein Saratoga, ein Philadelphia, ein Sumatra usw. Kommt nun ein Beamter ans Westfalen nach einer Postanstalt in der Nähe dieser Orte, so hat er natürlich keine Ahnung, daß der mit einer Zehnpfennig- Marke frankirte, nach Jamaika bestimmte Brief nicht nach Westindien, sondern nach dem nahe gelegnen Orte gehen soll, er sendet ihn daher auf eine nach dem Westen gehende Bahnpost. Ist aber der Brief einmal über Berlin hinaus, so wandert er weiter über das große Wasser, Hat er Glück, so kommt er nach einigen Monaten von dort als unbestellbar zurück. Es könnten tausende von Beispielen gesammelt werden, um die Notwendig¬ keit zu beweisen, bei den Postämtern ein möglichst ständiges Personal zu be¬ schäftigen. Gegenwärtig besteht bei einem Postamte etwa ein Viertel des Personals aus nicht angestellten Beamten, aus Assistenten, Praktikanten, Eleven und Gehilfen. Nun sind aber stets mehrere angestellte Beamte krank, beurlaubt oder anderweitig beschäftigt, und einige Stellen aus irgend einem Grunde nicht besetzt; so ist das Personal, namentlich in den Sommermonaten, Zur Hülste aus jungen, unerfahrnen Leuten zusammengesetzt, die erst später bei der ersten Prüfung den Nachweis liefern sollen, daß sie etwas gelernt haben, und die dann diesen Nachweis durchschnittlich in recht mäßigem Um-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/407
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/407>, abgerufen am 22.07.2024.