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Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr.

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Englands Flottenrüstungen

Englands Seemacht, mit der die britische Weltherrschaft steht und fällt,
befindet sich gerade jetzt in einem Stärkezustande, wie wohl kaum je zuvor nach
einer so langen Friedensperivde. Das gilt nicht nur hinsichtlich der Zahl und
Güte der Schiffe, ihrer Besatzungen und ihrer Bewaffnung, sondern auch hin¬
sichtlich ihrer Organisation, in der ebenfalls seit den achtziger Jahren sehr
wichtige Verbesserungen eingeführt sind. So wurden z. B. die Küstenwacht-
und Reservedienstverhültnifse neu geregelt, eine besondre Abteilung zur Er¬
kundung fremder Mariner, sowie zur Ausarbeitung der Mobilmachung in der
Admiralität geschaffen, und seit längerer Zeit schon werden alljährlich große
Geschwader mobilmachuugsmäßig in Dienst gestellt, um anhaltende taktische
und strategische Manöver größten Stils auszuführen.*) Und trotz aller
Fortschritte und Vervollkommnungen rüstet Großbritannien unablässig weiter.
Meist mit Überstunden und sogar in der Nacht wird in vielen Staats- und
Privatwerften, Geschütz-, Panzer- und Maschinenfabriken des Jnselreichs ge¬
arbeitet, um den vereinigten Flotten Deutschlands, Rußlands und Frank¬
reichs überlegen zu werden und über die Welt zu triumphiren. Wer könnte
angesichts solcher opferfreudigen, patriotischen Einmütigkeit dem britischen Volke
seine Verwunderung versagen! Schon jetzt herrschen die 39 Millionen**) Eng¬
länder über mehr als 300 Millionen Menschen, und mit Riesenschritten nähert
sich das britische Volk dein Ziele, die Herrschaft der Welt zu gewinnen, der
unanfechtbaren Wahrheit Sir Walther Raleighs folgend: ^Vllosoevsr "zoinmancls
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Als Maßstab für die jeweilige Größe ihrer Seemacht galt der englischen
Negierung nach der ruhmreichen Nelsonischen Zeit bis in unsre Tage herein
die französische Flotte, der man stets gewachsen bleiben mußte. Wir haben
gesehen, wie dieses Streben seit der Annäherung Frankreichs an Nußland dahin
erweitert worden ist, den vereinigten Geschwadern Frankreichs und Rußlands
überlegen zu werden, und schließlich, als die jüngste Zeit die Möglichkeit eines
Dreibundes Deutschland-Frankreich-Nußland brachte, sogar dahin, die englische
Seemacht so zu vergrößern, daß sie selbst gegenüber einer solchen Vereinigung
die Herrschaft der See und damit die Weltherrschaft behaupten könnte. Dies
Ziel zu erreichen, sind die Engländer auf dem besten Wege, einerseits durch
ihre gewaltigen eignen Rüstungen, andrerseits infolge unsrer Gleichgiltigkeit.
Und doch haben wir Deutschen den größten Schaden durch die weitere Aus¬
dehnung des englischen Weltreichs zu befürchten: den Verfall unsrer eignen Welt¬
machtstellung und den Ruin unsers Volkswohlstandes durch den Verlust unsers




*) Ferner sind die Docks im Mutterlands und den Kolonien ebenso wie die BefestiaunnS-
cmlagen beträchtlich ausgedehnt worden.
^) Deutschland hat 52 Millionen Einwohner!
Englands Flottenrüstungen

Englands Seemacht, mit der die britische Weltherrschaft steht und fällt,
befindet sich gerade jetzt in einem Stärkezustande, wie wohl kaum je zuvor nach
einer so langen Friedensperivde. Das gilt nicht nur hinsichtlich der Zahl und
Güte der Schiffe, ihrer Besatzungen und ihrer Bewaffnung, sondern auch hin¬
sichtlich ihrer Organisation, in der ebenfalls seit den achtziger Jahren sehr
wichtige Verbesserungen eingeführt sind. So wurden z. B. die Küstenwacht-
und Reservedienstverhültnifse neu geregelt, eine besondre Abteilung zur Er¬
kundung fremder Mariner, sowie zur Ausarbeitung der Mobilmachung in der
Admiralität geschaffen, und seit längerer Zeit schon werden alljährlich große
Geschwader mobilmachuugsmäßig in Dienst gestellt, um anhaltende taktische
und strategische Manöver größten Stils auszuführen.*) Und trotz aller
Fortschritte und Vervollkommnungen rüstet Großbritannien unablässig weiter.
Meist mit Überstunden und sogar in der Nacht wird in vielen Staats- und
Privatwerften, Geschütz-, Panzer- und Maschinenfabriken des Jnselreichs ge¬
arbeitet, um den vereinigten Flotten Deutschlands, Rußlands und Frank¬
reichs überlegen zu werden und über die Welt zu triumphiren. Wer könnte
angesichts solcher opferfreudigen, patriotischen Einmütigkeit dem britischen Volke
seine Verwunderung versagen! Schon jetzt herrschen die 39 Millionen**) Eng¬
länder über mehr als 300 Millionen Menschen, und mit Riesenschritten nähert
sich das britische Volk dein Ziele, die Herrschaft der Welt zu gewinnen, der
unanfechtbaren Wahrheit Sir Walther Raleighs folgend: ^Vllosoevsr «zoinmancls
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Als Maßstab für die jeweilige Größe ihrer Seemacht galt der englischen
Negierung nach der ruhmreichen Nelsonischen Zeit bis in unsre Tage herein
die französische Flotte, der man stets gewachsen bleiben mußte. Wir haben
gesehen, wie dieses Streben seit der Annäherung Frankreichs an Nußland dahin
erweitert worden ist, den vereinigten Geschwadern Frankreichs und Rußlands
überlegen zu werden, und schließlich, als die jüngste Zeit die Möglichkeit eines
Dreibundes Deutschland-Frankreich-Nußland brachte, sogar dahin, die englische
Seemacht so zu vergrößern, daß sie selbst gegenüber einer solchen Vereinigung
die Herrschaft der See und damit die Weltherrschaft behaupten könnte. Dies
Ziel zu erreichen, sind die Engländer auf dem besten Wege, einerseits durch
ihre gewaltigen eignen Rüstungen, andrerseits infolge unsrer Gleichgiltigkeit.
Und doch haben wir Deutschen den größten Schaden durch die weitere Aus¬
dehnung des englischen Weltreichs zu befürchten: den Verfall unsrer eignen Welt¬
machtstellung und den Ruin unsers Volkswohlstandes durch den Verlust unsers




*) Ferner sind die Docks im Mutterlands und den Kolonien ebenso wie die BefestiaunnS-
cmlagen beträchtlich ausgedehnt worden.
^) Deutschland hat 52 Millionen Einwohner!
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[0398] Englands Flottenrüstungen Englands Seemacht, mit der die britische Weltherrschaft steht und fällt, befindet sich gerade jetzt in einem Stärkezustande, wie wohl kaum je zuvor nach einer so langen Friedensperivde. Das gilt nicht nur hinsichtlich der Zahl und Güte der Schiffe, ihrer Besatzungen und ihrer Bewaffnung, sondern auch hin¬ sichtlich ihrer Organisation, in der ebenfalls seit den achtziger Jahren sehr wichtige Verbesserungen eingeführt sind. So wurden z. B. die Küstenwacht- und Reservedienstverhültnifse neu geregelt, eine besondre Abteilung zur Er¬ kundung fremder Mariner, sowie zur Ausarbeitung der Mobilmachung in der Admiralität geschaffen, und seit längerer Zeit schon werden alljährlich große Geschwader mobilmachuugsmäßig in Dienst gestellt, um anhaltende taktische und strategische Manöver größten Stils auszuführen.*) Und trotz aller Fortschritte und Vervollkommnungen rüstet Großbritannien unablässig weiter. Meist mit Überstunden und sogar in der Nacht wird in vielen Staats- und Privatwerften, Geschütz-, Panzer- und Maschinenfabriken des Jnselreichs ge¬ arbeitet, um den vereinigten Flotten Deutschlands, Rußlands und Frank¬ reichs überlegen zu werden und über die Welt zu triumphiren. Wer könnte angesichts solcher opferfreudigen, patriotischen Einmütigkeit dem britischen Volke seine Verwunderung versagen! Schon jetzt herrschen die 39 Millionen**) Eng¬ länder über mehr als 300 Millionen Menschen, und mit Riesenschritten nähert sich das britische Volk dein Ziele, die Herrschaft der Welt zu gewinnen, der unanfechtbaren Wahrheit Sir Walther Raleighs folgend: ^Vllosoevsr «zoinmancls et<z 8SS,, ooinniÄncls lenz trg,ac, vliososvsr <zoinnmncl8 tu<z trg-as, ooming-nah dirs rivliss ok tus porta, Ana <zon8sauont1/ tluz vorlÄ itsslk. Als Maßstab für die jeweilige Größe ihrer Seemacht galt der englischen Negierung nach der ruhmreichen Nelsonischen Zeit bis in unsre Tage herein die französische Flotte, der man stets gewachsen bleiben mußte. Wir haben gesehen, wie dieses Streben seit der Annäherung Frankreichs an Nußland dahin erweitert worden ist, den vereinigten Geschwadern Frankreichs und Rußlands überlegen zu werden, und schließlich, als die jüngste Zeit die Möglichkeit eines Dreibundes Deutschland-Frankreich-Nußland brachte, sogar dahin, die englische Seemacht so zu vergrößern, daß sie selbst gegenüber einer solchen Vereinigung die Herrschaft der See und damit die Weltherrschaft behaupten könnte. Dies Ziel zu erreichen, sind die Engländer auf dem besten Wege, einerseits durch ihre gewaltigen eignen Rüstungen, andrerseits infolge unsrer Gleichgiltigkeit. Und doch haben wir Deutschen den größten Schaden durch die weitere Aus¬ dehnung des englischen Weltreichs zu befürchten: den Verfall unsrer eignen Welt¬ machtstellung und den Ruin unsers Volkswohlstandes durch den Verlust unsers *) Ferner sind die Docks im Mutterlands und den Kolonien ebenso wie die BefestiaunnS- cmlagen beträchtlich ausgedehnt worden. ^) Deutschland hat 52 Millionen Einwohner!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 55, 1896, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341863_222303/398>, abgerufen am 26.06.2024.